„Diversität wird zu homogen betrachtet“
Journalist*in Zain Salam Assaad erklärt im Interview mit luhze-Redakteur Eric Binnebößel, warum they das Verständnis von Vielfalt in der deutschen Medienbranche kritisch sieht.
Gendern in Stellenanzeigen oder BIPoC als Werbegesichter – immer mehr Vereine, Unternehmen und andere Institutionen schreiben sich mehr Diversität auf die Regenbogenflagge. Genauso wie die Redaktionen großer Tageszeitungen und kleiner Magazine. Doch was bedeutet das für die Personen, die in der Branche Diversität repräsentieren sollen? Zain Salam Assaad ist freie*r Journalist*in, Kurator*in und Übersetzer*in. They hat in Leipzig Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert und schreibt inzwischen für das Missy Magazine, unter anderem zu LGBTQIA+*-Themen und Migration. luhze-Redakteur Eric Binnebößel hat mit them über Identität, Scheindiversität und die Situation in der Medienbranche gesprochen.
luhze: Zain, du hast hier in Leipzig Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert. Bestand bei dir schon immer der Berufswunsch „Irgendwas mit Medien“?
Assaad: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich einen Plan hatte. In Syrien hatte ich angefangen, Pharmazie zu studieren. In Deutschland hatte ich die Ressourcen für dieses Studium nicht. Da ich schon immer irgendwie den Wunsch hatte, im Journalismus tätig zu sein, hatte ich mich für Medien- und Kommunikationswissenschaft entschieden. Das Studium war auch relativ flexibel, was mir zugutekam.
Du hast deine syrische Herkunft angesprochen. Vor einigen Monaten zerstörte ein Erdbeben Teile des Landes. Inwiefern hat dich diese Katastrophe selbst betroffen?
Ich fühle mich nicht wirklich direkt betroffen. Ich kann nur dazu „relaten“, da ich aufgrund meiner Herkunft doch schon eher mit der Region verbunden bin. Dennoch war es nicht so einfach, dass ich viele Menschen, die mir nahestehen, nicht erreichen konnte. Die mangelnde humanitäre Hilfe in der Region machte es schwerer, dies zu verdauen. Gleichzeitig war das Thema in den Medien präsent – aber irgendwie auch nicht. Das ist mit der Berichterstattung über die Revolution in Syrien vergleichbar: Man hat immer grob darüber berichtet, jedoch wenig detailliert oder lösungsorientiert. Das Framing erfolgt mehr über bestimmte Regionen oder Menschen, die einen Deutschland-Bezug haben.
Siehst du die Berichterstattung in Deutschland generell kritisch?
Es ist schwer, etwas zu pauschalisieren. Ich würde aber sagen, dass oft kein Interesse besteht, bestimmte Themen genau zu besprechen. Viele Themen könnten viel diverser behandelt werden. Ich habe das Gefühl, das Interesse der Menschen und Medienmacher*innen ist sehr selektiv. Zum Beispiel hatte ich ein Praktikum im vergangenen Jahr, wo der Ressortleiter im Zuge des russischen Angriffskrieges sagte: „Gut, dass du Arabisch sprichst. Doch jetzt brauchen wir Ukrainisch – und dich nicht mehr.“ Aus meiner Sicht hat er vernachlässigt, dass die ukrainische Perspektive auch schon lange vorher für den öffentlichen Diskurs notwendig war. Außerdem gibt es noch viele Themen aus arabisch-sprachigen Ländern, die es zu berichten gibt. Da kann mir kein Mensch sagen, dass die Sprache jetzt erstmal für ihn gestorben ist.
Hast du solche diskriminierenden Erfahrungen oft gemacht?
Ja. Manche Erfahrungen störten mich mehr als andere. Zum Beispiel sagte man mir: „Bearbeite doch mal dieses Thema zum Ramadan, du kennst dich doch da bestimmt aus, bist ja Muslim.“ Es ist nicht das Problem, dass ich solche Themen bearbeiten soll. Das Problem ist jedoch, dass ich darüber dann mit dem Blickwinkel der betreuenden Redaktion berichten soll. Oft habe ich dann einfach viele – auch lukrative – Aufträge ausgelassen. Denn: Lieber keine Karriere, als so eine Karriere.
In deinen Kolumnen begründest du dieses Problem mit dem vorherrschenden Verständnis von Diversität. Wie sieht das aus?
Die Frage ist oft: Wer passt gerade in das Bild? Diversität wird zu homogen betrachtet. Oft machen Menschen zu pauschale Aussagen. Nehmen wir das Beispiel „Akzent“: Nicht jede*r, der*die von Rassismus betroffen ist, hat einen. Die Karten werden stark vermischt. Man sieht nur ein einziges, homogenes Diversitätsproblem und übersieht die ganze Breite. Ich könnte jetzt beispielsweise nicht für andere Menschen über ihre Probleme sprechen und sie repräsentieren. Solange ich selber sprechen kann, brauche ich nicht diese Repräsentation. Man wird oft in eine bestimmte Position gedrückt. Bei vielen Aufträgen, die ich in der Vergangenheit bekam, hatte ich das Gefühl: Meine Funktion ist nicht, was ich tue, sondern etwas, das ich darstellen soll. Ich sollte für eine kurze Zeit die Diversitätskarte spielen – und wenn ich nicht mehr gebraucht werde, bin ich eben weg.
Im Zuge der Reaktionen auf die Erdbeben in Syrien hast du unter anderem „Diaspora Kids“ vorgeworfen, das Leid anderer für ihr eigenes „Opfernarrativ“ zu instrumentalisieren. Wie sollten sie sich stattdessen positionieren?
Ich kann niemandem vorschreiben, wie man selber handeln möchte. Ich würde mir jedoch wünschen, dass mir keine Person vorschreibt, wie ich in der Öffentlichkeit zu handeln habe: Dass Diversität definiert wird und ich nach diesen Regeln agieren muss. Menschen, die keine echte gelebte Realität in Syrien hatten, sollten sich überlegen, worüber sie sprechen. Mein Großvater beispielsweise war Vertragsarbeiter in Saudi-Arabien. Das hat mich auch geprägt. Jedoch kann ich nicht seine Erfahrung nutzen, um mich immer selbst zu bestätigen. Man sollte sich fragen: Ist das wirklich jetzt meine Rolle – oder übernehme ich die Rolle anderer Menschen?
Die eigene Identität definieren und keine fremde Rolle übernehmen: Was bedeutet für dich Identität?
Nichts. Ich denke oft, dass ich über Identitäten schreibe. Es ist jedoch mehr der Konflikt mit meinen eigenen Lebensumständen oder Erinnerungen. Es ist wichtig, dass man weiß, wo man in der Gesellschaft steht. Das hat etwas mit der eigenen Geschichte zu tun – und das wird häufig mit Identität verknüpft. Man kann das jedoch nicht so pauschal sehen. Identität ist nicht übertragbar. Meine Lebensumstände sind nicht die gleichen wie die von Menschen, welche dieselbe „Identität“ haben. Identität kann ein Hilfsmittel sein, die Realität zu verstehen. Sie ist jedoch nicht die Lösung an sich.
Siehst du weitere Probleme im Journalismus?
Es kommt darauf an, wo man im Journalismus tätig ist. Als ein Hauptproblem sehe ich jedoch auf jeden Fall den Einstieg in diese Branche. Oft sind mehr die persönlichen Kontakte als die Kompetenzen entscheidend. Außerdem geht es viel um die persönliche Vermarktung. Wenn diese auf der angesprochenen „Identität“ beruht, macht es das umso schwerer.
Welche Aufgabe sollte ein*e Journalist*in für sich selbst definieren?
Es sollte darum gehen, dass man Tatsachen benennen kann. Außerdem sollte man kritisch mit sich selbst und den Inhalten, die man produziert, umgehen. Ich habe oft das Gefühl, dass in der Medienbranche eine gewisse „Arroganz“ vorherrscht. Das gilt vor allem, wenn man denkt, man mache keine Fehler. Doch das stimmt nicht.
Wir haben über viele negative Themen gesprochen. Doch was lässt dich optimistisch in die Zukunft schauen?
Nichts, es gibt immer Krisen. (lacht)Klar, man kann schon optimistisch in die Zukunft schauen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass meine Handlungsmöglichkeiten beschränkt sind. Das betrifft nicht nur die Klimakrise, sondern beispielsweise auch Fragen über die eigene Karriere. Ich denke, dieses Gefühl teile ich mit vielen jungen Menschen. Vielleicht ist es schon optimistisch, wenn man sich traut, seine Gedanken mit anderen Menschen zu teilen.
Foto: Juliette Moarbes
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