Farewell to Cambridge
Kolumnistin Michelle schreibt über ihr Erasmus-Auslandsjahr und die größte Sache, die sie daraus gelernt hat: Trotz 24/7 girlbossing Freundschaften mehr Raum im Alltag zu geben.
In Cambridge zu studieren hat etwas Magisches. Da sind die schönen Colleges und Bibliotheken, in die maus sich hereinschleichen kann. Dann gibt es regelmäßige Formal Dinners bestehend aus subventionierten Drei-Gänge-Menüs, für die maus sich etwas schicker anzieht und einen Umhang trägt – wie in Harry Potter. Oder gegen Ende des akademischen Jahres Mayballs, riesige Partys mit Kettenkarussels, Live Musik, wahlweise Pole Dancern, Wahrsagerinnen oder Feuerschluckern (mein Highlight), bei denen maus so viel essen und trinken kann wie maus möchte – für einen ordentlichen Ticketpreis natürlich.
Was ich vermissen werde: Freund:innen, mit denen ich oft lange Tage in der Bibliothek verbringe oder abends ausgehe; Englischen Frühstückstee als Ritual und Brunch an den Wochenenden. Die vibrierende Atmosphäre von Ehrgeiz und Begeisterung. Im Winter stehen Filmabende, Karaoke oder ein Pub Quiz an. Im Sommer stellen wir uns in die lange Schlange vor Jack’s Gelato, liegen in den Feldern, trinken Pimm‘s und springen in den weidenbehangenen Fluss. Wem eindeutig mein Herz gehört: Der University Library, deren Ausleihe sich automatisch verlängert und die wirklich alle Titel hat, die maus sich nur wünschen kann. Dazu hat sie die schönsten Lesesäle sowie Türme mit obskuren Ecken und schmalen Gängen.
Trotz der Magie, der Zielstrebigkeit und dem Enthusiasmus um mich herum fehlt mir manchmal etwas in meiner Zeit in Cambridge. Ein Jahr an einer rigoros akademischen Institution bringt auch leider, wer hätte das gedacht, einen rigorosen Workload mit sich. Deadlines reihen sich aneinander, Sekundärliteratur stapelt sich. In Deutschland habe ich sehr enge Freundschaften, deren Gewissheit mich durch meinen Alltag und durch dieses Jahr getragen haben. Aber es ist tatsächlich so, dass ich – als die Hustlemaus, die ich bin – in Leipzig bisher Arbeit über soziale Zeit priorisiert habe. In Cambridge führt das stundenlange Recherchieren und Essayschreiben zu dem starken Bedürfnis nach einem Gegengewicht: dem Wunsch nach Gemeinschaft und Verbindung.
Während der letzten Ferien erfahre ich einen Abend voll von Banalität und Intimität, den ich lange im Kopf behalte. In Berlin übernachte ich bei einer Freundin, die ich aus der Schulzeit kenne und die ich seit einem Jahr nicht gesehen hatte. Als ich meinen Koffer über die Türschwelle rolle, greifen wir augenblicklich den Gesprächsfaden wieder auf. Wir gehen zusammen einkaufen, unterhalten uns beim Greifen nach Pasta und Pesto über zukünftige Projekte und kalte Wintermonate in Berlin. Wir reden über Verlangen und Begehren, während wir Pfirsiche mit Zwiebeln und Feta in der Pfanne anbraten. Am nächsten Morgen schminkt sie sich im Bad, ich setze mich auf den Klodeckel und wir sprechen weiter über Stolz und Selbstzweifel. „Zieh einfach die Tür zu, bevor du gehst“, sagt sie.
Von der letzten Umarmung rieche ich noch eine Spur ihres Parfüms in meinem Haar und freue mich über die Herzlichkeit zwischen gehetzten Momenten.
Es ist eine Art des Beisammenseins, die ich genieße. Nicht immer einen Kaffee trinken oder an den See fahren zu müssen, sondern gemeinsam zur Post zu gehen oder sich während dem Kochen anzurufen. Nicht als Zeitoptimierung, sondern um trotz (Lohn-)Arbeit am Leben der anderen Person teilzuhaben und sich gegenseitig Halt zu bieten. In Cambridge habe ich trotz der Zeitspanne von neun Monaten und zahlreichen Deadlines verschiedene Menschen schätzen und lieben lernen können. Trotzdem nehme ich diesen Wunsch nach Verbindung nach Leipzig mit, er liegt ganz oben in meinem Koffer.
Fotos: privat
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