Vielen Dank für die Dekoration, die Unterhaltung und die Häppchen!
„Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ ist das diesjährige Stück des Sommertheaters der Cammerspiele Leipzig. Aus dem Hof der Moritzbastei klingt eine strahlende Open-Air-Hymne auf Jane Austen.
Nur eine Gehminute entfernt von der Campusbibliothek gibt es derzeit Romantik mit Musik, Klassenbewusstsein und dem perfekten Ball-Desaster. Es wird geheult, gesungen, in eine teure Vase gekotzt, geraucht, geflirtet, gestritten. Das Stück von Isobel McArthur spinnt weiter, was in „Stolz und Vorurteil“ von Jane Austen bereits thematisiert wird: Es gilt, diejenigen sichtbar zu machen, die selten Zentrum der Erzählung sind, und darzustellen, wie sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihr Lebensglück aktiv werden. Im Roman geht es um Differenzen innerhalb des Adels, hier im Theaterstück spricht endlich das weibliche Personal. Die Angestellten kleiden sich in passende Accessoires und verkörpern die Bennet-Familie und alle anderen Charaktere. Sie teilen die tragenden Figuren unter sich auf und geben im Dialog mithilfe zahlreicher Gesangseinlagen die Handlung wieder. Die musikalische Begleitung gestaltet Johanna Jäkel.
Beeindruckend schlüpfen die Schauspielerinnen von einer Rolle in die andere und wieder zurück. Das heißt nicht nur blitzschneller Outfit-Wechsel hinter einem kleinen Vorhang auf der Bühne, sondern auch konsequentes Eintauchen in eine ganz andere Mimik und Sprache. In einer Sekunde dirigiert Mrs. Bennet mit Megafon und Sonnenbrille lautstark gestikulierend von der Treppe aus ihre Töchter durch den Ball, in der anderen unterhält sich Mr. Darcy mitten auf der Bühne steif und unbeholfen mit Elizabeth Bennet (Jennifer Demmel). Marie Wolff überwindet diese riesige Kluft mit Leichtigkeit und spielt besonders die männliche Rolle verblüffend überzeugend. Der Text von Caroline Bingley (Lysann Schläfke), der missgünstigen Schwester von Charles Bingley (Lysann Schläfke), ist interessant aktualisiert. Sie tritt als klassisches pick-me-girl des 21. Jahrhunderts auf, das Mr. Darcy (Marie Wolff) auffordert ihre Club Dance Moves zu beurteilen. Dass sie in ihrer Rolle als weibliche Antagonistin jedoch die einzige mit auffällig großen Wasserbomben-Brüsten ist, reproduziert leider ein ungünstiges Klischee. Die überspitzten Interpretationen sind ansonsten sehr charmant und witzig. Zumindest steht das Lachen im Publikum nicht im Skript. Eindrucksvoll ist vor allem der Auftritt der Lady Catherine de Bourgh (Karoline Günst), die zitternd und von der Nebelmaschine begleitet über der Bühne schwebt.
Die bewachsenen Mauern der Bastei werden in der Dämmerung in verschiedenen Neonfarben angestrahlt und in der Pause surrt der Hof von den Gesprächen der Zuschauer*innen. An der Bar gibt es Getränke vor und während der Vorstellung. Ab und an schauen neugierige Passant*innen hinab ins Spektakel, weil die Schauspielerinnen die Möglichkeiten der Location voll ausnutzen und gelegentlich von der Treppe sprechen oder oben am Geländer erscheinen. Zum Schluss verabschieden sie sich die Treppe hinauf und sprechen noch einen direkten Gruß an Jane Austen. Ihr hätte die Inszenierung bestimmt gefallen.
Dafür braucht es aber gar keine Kenntnis des Werkes „Stolz und Vorurteil“. Es gibt Frauen in vielen Facetten auf der Bühne, verstrickt in zeitlosen Konflikten. Sogar Mary, die Bennet-Tochter, die sonst viel zu oft übersehen wird, bekommt ein überraschendes Happy End.
Weitere Spieltermine:
25.-27.07., 29.07., 01.-06.08., Beginn: 20 Uhr
Ticketpreis: 25€, 18€ oder 12€ (solidarisches Preissystem)
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