Heilung kommt schleichend
Borderline ist jeden Tag ein neuer Kampf. Wie Kolumnist Leen mit den einhergehenden Problemen umgeht und versucht, sich selbst wertzuschätzen, berichtet er hier.
Was mache ich gerne? Was sind meine Interessen, wofür begeistere ich mich und wofür stehe ich ein? Fragen, die sicherlich viele Menschen über sich selbst beantworten könnten.
Für Menschen mit Borderline kann so was weitaus schwieriger aussehen. Ein fehlendes Gefühl von Persönlichkeit oder Identität gehört zu vielen, auch mir, die daran leiden.
Favorite Person oder auch “fp” abgekürzt, ein Begriff, der vielen in der Borderline Community sicherlich einen Schauer über den Rücken jagt. Eine oder gerade die Person, von der wirklich alle möglichen Gefühle und Gedanken, oft der ganze Alltag abhängt.
Anfang des Jahres hatte ich das Glück oder auch Unglück jemanden kennenzulernen, der natürlich zu meiner fp werden musste. Kein Problem eigentlich, zumindest anfangs.
Oh, sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass es ein cis-guy ist, der sich noch in der „Queeren-Findungsphase” befindet? Als schwule transmaskuline Person etwas mit questioning cis guys anzufangen ist wirklich nicht die einfachste Sache. Schon gar nicht, wenn dann noch Borderline von meiner Seite mit in die Suppe fällt. Natürlich habe ich nie von meiner Diagnose geredet und versuche es auch, so gut es geht, zu verstecken. Wenn auch nur irgendwer von dieser Krankheit hört, kommen oft viele Vorurteile auf. Ich kenne kaum eine Erkrankung, die so dämonisiert wird.
Ich fing also an, meine ganze Identität um ihn, meine fp, herumzubauen und fühle mich mittlerweile wie ein ganz anderer Mensch, als ich dachte, dass ich es vorher gewesen war. Das wäre mit jeder fp passiert, dafür kann ich ihn keinesfalls beschuldigen.
Viele meiner Freund*innen sind genervt davon und kaum jemand versteht, wieso ich nicht „einfach loslassen kann” (Als wüsste ich nicht, dass es besser wäre für mich, einfach keinen Kontakt mit ihm zu haben).
Als jemand mit Borderline fühle ich mich konstant alienated und missverstanden, was meine ohnehin schon blöde Situation natürlich noch blöder macht. Ich wünschte, sie würden verstehen, dass Maßstäbe für mich nicht funktionieren wie für viele andere Menschen.
Aber auf mich alleine gestellt, baue ich mir natürlich Mechanismen auf, um damit umzugehen, in dem Rahmen, in dem es möglich für mich ist.
Langsam und auch mit vielen rückläufigen Schritten, versuche ich mich als eigene Person wiederzufinden. Ich versuche herauszufinden, was ich eigentlich gerne mag und gerne für mich alleine mache.
Mit sich selbst Zeit zu verbringen klingt doch eigentlich ganz einfach. Ich könnte etwas kochen, ein Buch lesen oder einen Film gucken! Wenn mein Gehirn aber jede Aktion, jedes Erlebnis in irgendeiner Weise mit meiner fp verbinden kann und es dann auch tut, sieht die Zeit alleine sehr schnell wieder aus wie: „Ich versuche verzweifelt etwas anderes zu tun, aber kehre immer wieder zu meinen obsessiven Gedanken zurück.”
Oft hilft es mir, Zeit mit meinem besten Freund zu verbringen. In der Regel telefonieren wir dann oder spielen Videospiele. Je beschäftigter mein Gehirn, desto besser. Leider setzt die Leere dann wieder ein, sobald ich meinen Laptop zuklappe, und macht Raum für die tausend kreisenden Gedanken um meine fp.
Mir war früher nie bewusst, dass vieles davon damit zusammenhängt, dass ich mich selbst nicht gut leiden kann. Aber seitdem ich immer mehr versuche, ein besseres Leben für mich aufzubauen, versuche ich auch mich mit mir selbst anzufreunden und besonders mich mehr verbunden mit meinem Körper zu fühlen.
Klingt vielleicht albern, aber simple Dinge wie eine Creme auf mein Gesicht aufzutragen, helfen mir oft, sanftere Gefühle mir gegenüber aufzubauen. Besser mit mir selbst umzugehen hat für mich auch viel damit zu tun, das innere Kind in mir nicht mehr zu missachten. Klar, mir jetzt gegenüber lasse ich oft blöde Gedanken zu und hinterfrage sie auch kaum. Natürlich muss es meine Schuld gewesen sein, wenn etwas Schlechtes passiert ist.
Aber würde ich meinem 5 -jährigen Ich wirklich ins Gesicht sagen, dass es nicht gut genug sei? Definitiv nicht.
In vielen Yoga-Praktiken wird dazu angeregt, bestimmte Körperteile, oft die Füße oder Beine, in bestimmten Positionen zu massieren. Ich habe in letzter Zeit versucht, Yoga wieder in meinen Alltag einzubauen, auch wenn es nur fünf Minuten sind.
Worauf ich dann besonders Wert lege, ist eine willkommene Einstellung meinem Körper gegenüber zu haben und oft umarme ich mich zum Ende hin auch einmal selbst.
Solche kleinen Dinge helfen mir auf jeden Fall, wieder einen Weg zu mir selbst zu finden und mir eine Identität, ein Selbst, ein Leben außerhalb anderer, besonders meiner favorite person, aufzubauen.
Das ist keinesfalls einfach und ich habe immer noch viele schlechte Tage, aber ich freue mich, wenn ich zum Beispiel merke, dass ich gerade etwas gekocht habe, ohne die ganze Zeit zu denken: „Oh, das würde meiner fp gefallen”, sondern stattdessen: „Das habe ich echt gut hinbekommen, ich muss das öfter für mich kochen.”
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