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  • Ich packe meine Tasche und nehme mit: meine Gedanken.

    Einfach mal machen, findet Kolumnistin Toni und begibt sich auf einen Roadtrip über die Alpen. Dabei wird ihr weniger von den Serpentinen, mehr vom Zu-viele-Gedanken-Machen schwindelig.

    Spontan die Abfahrt um einen Tag vorgezogen, hab noch einmal in die Wetterapp geguckt. Hmm, eigentlich plane ich alles im Vorfeld, Wochen vorher, am liebsten auf die Minute genau. Dieses Mal nicht, dachte ich mir.  

    Morgens um sieben dann die Matratze meines Bettes in den Wohnheimfahrstuhl gequetscht, dabei wie Toastbelag zwischen Polster und kalter schäbiger Fahrstuhlwand eingeklemmt gewesen und anschließend das unfassbar schlecht zu tragende Ding über den Parkplatz gezogen. Hat ins Auto gepasst. Durchatmen. Große Erleichterung. Ok, ich hab das vorher ausgemessen, ich wusste, dass das passt, aber froh war ich trotzdem.  

    Treppe wieder hoch, die restlichen Taschen geholt und mit in den Kofferraum geschmissen. Nicht wie bei Tetris, die Kofferraumklappe musste nur zu gehen, das reicht mir. Eigentlich wollte ich mich in Minimalismus üben. „Was braucht man denn schon großartig für einen Roadtrip?“, dachte ich anfangs und stemple den Plan bei der Betrachtung meines vollbeladenen Autos als gescheitert ab. Bisschen wie bei Waschmaschinen, deren Volumen man jedes Mal überschätzt und dann im Keller schwitzend versucht, den einen Pullover noch da rein zu quetschen. Wenn denn überhaupt mal eine Waschmaschine frei ist.  

    Antonia Portrait

    Wenn ich nicht gerade so viel nachdenke, bin ich eigentlich ziemlich glücklich.

    Das Auto ist gepackt, fehlen nur noch die Insassen. Ich nehme einen Kumpel mit auf die Reise, Oma hat gesagt, allein sei das zu gefährlich. Ich glaube das zwar nicht, aber zu zweit ist es sicherlich lustiger. Wir setzen uns rein und starten den Motor. Ich atme durch. Für eine Woche mein Zuhause auf vier Rädern, denk ich mir und erwische mich dabei, wie mir ein Lächeln durchs Gesicht wandert. Vielleicht auch länger als eine Woche, mal schauen, ich wollte das ja nicht so genau planen. Erstmal raus aus Leipzig – raus aus all dem Stress der letzten Wochen. Hab´ zwischen all den Präsentationen, Portfolios und Prüfungen manchmal das Gefühl verloren, überhaupt noch so richtig zu leben. Ja und die blöde Hausarbeit, die ich noch schreiben muss, versuche ich jetzt einfach mal zu vergessen. Erstmal wegkommen von dem Stress, den ganzen Tag nur gerannt zu sein, so vielen Erwartungen gerecht werden zu müssen, mir immer zu viel vorzunehmen und dann nachts erschöpft ins Bett zu fallen und vor Sorgen, was ich morgen noch alles schaffen muss, nicht einschlafen zu können.  

     

    Ich will Sterne beim Einschlafen sehen, zwischen ihnen meine Route nachzeichnen und morgens vom Sonnenlicht, nicht von meinem einem Tinnitus nahkommenden Handyton geweckt werden.  
    Zurück aus meinen Gedanken, die Hände fest hinterm Lenkrad, blicke ich konzentriert über die fast leere Autobahn. Die Gegenseite staut sich etwas. Wollen bestimmt alle an die Ostsee. Ha, da komm ich her, da wohne ich, hihi, denk ich mir. Statt Meer will ich aber Berge. So wie man irgendwie immer das will, was man nicht hat. Und so bleib ich wieder an dem Gedanken hängen, der mir oft durch den Kopf kreist: Sind wir eigentlich dankbar genug? Haben wir nicht so krass viel Glück, genau zu dieser Zeit an diesem Ort der Welt zu leben? Leben – da ist es wieder. Zu fühlen, dass man am Leben ist, manchmal nehme ich das kaum wahr. Aber seit der Roadtrip ernst geworden ist, fühle ich es wieder ganz schön doll und sprudle voller Vorfreude auf die nächsten Tage. Während ich merke, dankbar dafür zu sein, dass ich mir meine Träume erfüllen kann, dass es mir gut geht, ich gesund bin und jetzt hier in einem Auto sitze und über die Alpen durch neue Länder cruise, fühle ich mich irgendwie auch schlecht. Weil ich weiß, dass wir krass privilegiert sind und es keineswegs selbstverständlich ist, sich in ein Auto zu setzen und durch die halbe Weltgeschichte zu fahren. Und dann fühle ich mich auch noch schlecht, als Reisemittel ein Auto gewählt zu haben, das keinen Fußabdruck, sondern gleich eine riesige ökologische Fahrrinne hinterlässt. Aber ich schlafe doch auch im Auto, denke ich wiederum. Ein Auto ist doch für einen Roadtrip unabdingbar. Und jetzt fühle ich mich schlecht, weil ich denke, ich bin egoistisch, weil mein Traum darauf abzielt, mich glücklich zu machen, ohne an Emissionen oder die Menschen zu denken, die nicht die Möglichkeit haben, sich ihre Träume zu erfüllen.  

    Ganz schön viele Sorgen und Probleme. Und in Anbetracht der großen Sorgen und Probleme auf der Welt, wahrscheinlich völlig unangebracht. Jetzt fühle ich mich schlecht, weil ich meine kleinen Probleme so in mein Zentrum rücke und doch eigentlich gar kein Recht dazu habe.  
    Ich wollte doch eigentlich nur mal meinen Kopf frei kriegen, mich ins Abenteuer stürzen, von Leichtigkeit und Spontanität berichten und euch sagen: Macht`s einfach! Macht, was euch fühlen lässt, dass ihr lebt und lebt.  

    Ich bin ziemlich dankbar, leben zu können. Und irgendwie sogar ein bisschen dankbar für die blöde Hausarbeit, die da jetzt vor mir liegt, weil sie mich daran erinnert, dankbar zu sein für alles, was war. Und ich bin dankbar, mich auf alles, was mein Leben noch füllt, freuen zu dürfen, und ich glaube, ein Leben sind unendlich viele Waschtrommeln hintereinander, da passt eine ganze Menge rein.      

     

    Fotos: privat

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