Zu wenig, zu viel oder just (k)enough?
Es ist gerade viel zu hören und zu lesen, was Barbie alles ist und was alles nicht. Bei all den Diskussionen kommt eine Sache viel zu kurz: Barbie ist ein verdammt guter Film.
Es liegt vor allem daran, dass das Autor*Innen-Ehepaar Noah Baumbach und Greta Gerwig, die bisher vor allem mit unfassbar ehrlichen und nahbaren Stoffen aufgefallen sind, mit diesem Film einen überzeichneten Kommentar auf das derzeitige Hollywood-Kino liefern, denn Barbie ist, wer hätte es bei den Trailern und dem aktuellen Trend anders erwartet, metatextuell. Das bedeutet, der Film ist sich seiner selbst, seiner Aussage und auch seiner Widersprüchlichkeit sehr bewusst. Diese Metatextualität tritt, wie in anderen Filmen, besonders dann in den Vordergrund, wenn Nebenfiguren oder Erzähler*Innen aus dem Off Situationen kommentieren: in Barbie beispielsweise eine Castingentscheidung.
Diese Brüche der vierten Wand sind inzwischen als Stilmittel so häufig geworden, dass sie mitunter bitter aufstoßen. Der Regisseurin und Co-Autorin Greta Gerwig gelingt es in Barbie jedoch, diesen Trend in ihre Erzählweise so gekonnt zu verankern, dass damit nicht nur für großartige Lacher gesorgt wird, sondern auch ehrliche, schmerzliche Aussagen getroffen werden.
Genau hier liegt der große Unterschied zu anderen Hollywood-Produktionen, allen voran dem Superhelden-Genre. Dort wird häufig mit gigantischen Geschichten, heldenhaften Figuren, großen Emotionen und moralischen Fragen jongliert. Viel zu oft jedoch, wenn sich ehrliche Gefühle oder eine Aussage hinter den Bildern anzubahnen drohen, wird schnell von einer Figur ein Meta-Witz eingeschoben, um sich ja jeden Vorwurf des Kitsches, des Pathos oder des Politischen zu widersetzen. Wer eine Aussage treffen möchte, schrammt jedoch schnell am Pathos und wer Gefühle zeigen will, riskiert Kitsch. Das dabei nicht ins Lächerliche abgedriftet wird, liegt letztendlich an den handwerklichen Fähigkeiten der Filmschaffenden. Bei derartigen Meta-Witzen muss ich unweigerlich an meinen Vater denken, der Bohrlöcher in der Wand mit Zahnpasta verspachtelt. Kann man schon machen, aber es erscheint mir höchst unprofessionell.
Während andere Produktionen also vermeintlich große Geschichten erzählen, die dann jedoch durch Meta-Kommentare in die Banalität gezogen werden, dreht Gerwig den Spieß um. Sie erzählt eine banale Geschichte. Barbie wird in ihrem perfekten Barbie-Land zunehmend von Zweifeln und Problemen geplagt. Deswegen muss sie in die reale Welt aufbrechen, um das Kind, das mit ihr spielt und in einer persönlichen Krise zu stecken scheint, zu finden.
Es ist jedoch die feministische Meta-Ebene hinter dem Film, die wie Fleisch an dem mageren Plastikskelett zu hängen scheint und ihm Substanz gibt. Dass mit diesem Fleisch auch Raum für vermeintliche Makel entstehen kann (etwa Cellulite) ist die logische Konsequenz und so muss sich auch Barbie mit Kritiken herumschlagen, die sich die hundertste apolitische Kopie einer Kopie eines Franchise-Gerippes nie anhören muss.
Plötzlich wird darüber geredet, dass Mattel ja ein Spielzeughersteller ist, der den Film vor allem aus Marketing-Gründen produziert. Dass dies bei Disney seit Jahrzehnten gängige Praxis zu sein scheint, interessiert niemanden. Plötzlich stören sich Menschen daran, dass sich zu sehr auf die weibliche Sicht fokussiert würde, anstatt auch die männliche Seite stärker zu durchleuchten. Als gäbe es nicht genug Filme mit männlichen Hauptfiguren aus deren Perspektiven. Damit kommt Barbie bezeichnenderweise in dieselbe Position von so vielen hoch kompetenten Frauen, die sich doppelt und dreifach beweisen und sich an den absurdesten Stellen Kritik anhören müssen, die Männer niemals abbekämen.
Einige der Kritikpunkte sind dabei durchaus berechtigt. Barbie ist sehr weiß, behandelt Feminismus nur sehr oberflächlich und wurde von einer Spielzeugfirma produziert, die mit ihren Produkten mitunter toxische Ideale vermarket. Entscheidend ist jedoch vielmehr, was der Film diesen Punkten gegenüberstellt. Barbie kommt (wie das zugrunde liegende Produkt selbst) nicht mit einer klaren politischen Botschaft um die Ecke. Wer in einem Film über Barbie-Puppen erwartet, eine zufriedenstellende Antwort darauf zu finden, wie das Patriarchat überwunden werden kann, wird natürlich enttäuscht. Stattdessen stellt Greta Gerwig die Lebensrealität vieler Menschen dar, nimmt uns dabei in den Arm und sagt uns, dass wir (k)enough sind.
So wie es im Film „Barbie-Land“ und die „Real-World“ gibt, zwischen denen die Charaktere wechseln können, so sollten auch die Zuschauenden Barbie von zwei Seiten betrachten können. Der Film kann ein Werbefilm sein, der auf dreister Weise den Zeitgeist melkt, und gleichzeitig ein unfassbar witzig-bissiger und unbedingt notwendiger Kommentar auf das Patriachat. Wer in Barbie nur diesen ersten Film sehen kann oder möchte, der wird im sternenbedeckten Nachthimmel auch nur einen Haufen brennender Bälle sehen. Barbie kommt wie eine Lehreinheit im Dualismus daher. Dinge sind selten eindeutig. Ein Mensch kann puppenhaft und rosarot und gleichzeitig hoch kompetent und fähig sein. Ein Film kann plumpe Komödie und gleichzeitig tiefgründig sein. Ein Spielzeug kann toxische Ideale bewerben und gleichzeitig empowernd wirken.
Die unschuldige Puppe muss, so wie wahrscheinlich viele junge Menschen, die mit ihr gespielt haben, irgendwann erkennen, dass die Gesellschaft weit davon entfernt ist, perfekt zu sein. Gleichzeitig aber darf eine gestandene, desillusionierte Frau lernen, wieder Kind, wieder mehr sie selbst sein. Und vielleicht, nur ganz vielleicht, kann Zahnpasta auch ein Hygieneprodukt und gleichzeitig ein Werkstoff sein.
Fotos: Copyright © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. Photo Credit Courtesy of Warner Bros. Pictures
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