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  • „Erinnerungen sind eine Droge“

    Yewande Omotoso bringt uns in „Mojisola weint nicht“ eine tragische Mutter-Tochter Beziehung näher. Können sich Menschen auch über den Tod hinaus noch besser kennenlernen?

    Verlust kann unzählige Formen annehmen. Das Auseinandertreiben einer Freund­schaft, das Weglaufen einer Katze, das Zerbrechen einer Beziehung, der Tod. Zum Beispiel der Tod des eigenen Kindes. Die unterschiedlichen Arten haben eine Gemeinsam­keit: Kummer. Trauer. Bodenlose Leere. Auch wenn die Lesenden kein eigenes Kind an Suizid verloren haben, werden sie zutiefst berührt und mitgerissen, wenn sie mit dem Schicksal der Familie Owolabi konfrontiert werden. Yewande Omotoso, eine südafrikanische Autorin, die die Neuerscheinung des Leipziger Akono-Verlages „Mojisola weint nicht“ verfasst hat, nutzt Worte, als wären sie eine Hand, die die Lesenden durch ein Labyrinth mitzieht. Wo stehen die Gefühle gerade, wie soll man das Gelesene verdauen, wie für sich persönlich einordnen? Es ist unbestimmbar und auch nicht so wichtig, weil gierig die nächste Seite aufgeschlagen wird, um dem Strang zu folgen.

    Mojisola Owolabi, eine nigerianische Einwanderin in Südafrika, verliert ihr Kind Yinka. Während zu ihren Problemen vorher bereits ihr betrügender Ehemann und ihre zerrüttete Tochter-Mutter-Beziehung gezählt hatten, ändert sich ihr Leben schlagartig, als sie von der Polizei erfährt, dass ihre Tochter, die erst in ihren Zwanzigern war, durch einen Suizid ums Leben kam .

    Leen hält das Buch, im Hintergrund eine Schrankwand.

    „Mojisola weint nicht“ überrascht auf jeder neuen Seite mit vielen starken Gefühlen. Foto: privat

    „[Mojisola] kämpfte gegen den Drang, auf sie loszugehen […] und ihnen einen Schlag in die Eingeweide zu verpassen. […] Schamlos waren sie, und hässlich.“ Sätze wie diese unmittelbar nach dem Anruf der Polizei fangen die blinde Wut ein, die viele Trauernde erleben. Omotoso schafft es, dass sich Lesende in die Figuren hineinversetzen können, ohne selbst durch das Gleiche gehen zu müssen. Auch Figuren, die verdrehte Weltanschauungen haben, sind tief ausgearbeitet und haben die gleiche Wichtigkeit wie die liebenswürdige Mojisola und ihre Tochter Yinka.

    Da wäre zum Beispiel die Vermieterin Zelda, die für jeden zerschmetternde Kritik übrighat, nur nicht für sich selbst. Erfahren die Lesenden einige schrullige Details, wie dass sie sich regelmäßig auf fremden Beerdigungen herumtreibt, kommen sie doch um das Interesse an dieser Figur nicht herum. Ohne selbst Elternteil zu sein, kann man sich in der Rolle des Kindes wiederfinden, in Stellen wie: „Yinkas Rolle war es, gegen etwas zu kämpfen, und Mojisolas bestand darin, standhaft zu bleiben.“

    Obwohl es auch um den Suizid der Tochter geht, ist es kein Buch explizit über psychische Gesundheit. Im Vordergrund steht, dass Mojisola ihr Kind kennenlernt, nachdem es bereits nicht mehr auf der Welt ist. Sobald sie Yinkas Wohnung betritt, mietet sie diese weiter, um sich die Zeit zu nehmen, zu trauern, aber auch um noch vieles über sie und sich selbst herauszufinden. Das Buch greift feministische Problemstellungen auf, im Kontext der gegenwärtigen Hausfrau, im Kontext einer heranwachsenden Tochter und ihrer Mutter, im Kontext eines gesellschaftlichen Schönheitsbildes. Es wird auch auf Yinkas Liebesleben, mit weiblichen sowie männlichen Partner*innen, eingegangen, doch größtenteils richtet sich das Licht auf Mojisola, die in ihrem Alter ihre problematischen Ansichten reflektiert und lernt, sich für sich selbst einzusetzen, sich wieder mehr wertzuschätzen. So wird die Botschaft vermittelt, dass es nie zu spät ist, sich mit den eigenen Baustellen auseinanderzusetzen und das eigene Leben zu verbessern.

     

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    Grafik: Sara Wolkers

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