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  • Was, wenn ich Hefe wäre?

    Die Inszenierung in den Cammerspielen, „A Matter Of Food“, wirft ein anderes Licht auf den Konsum und die Verdauung von Lebensmitteln.

    Mit dem scharfen Geschmack des Kimchis im Mund werden die Zuschauenden begrüßt und hinter den Vorhang geführt, was den Blick auf eine ungedeckte Tischtafel freigibt. In dimmes Licht und Nebel gehüllt wird dazu aufgefordert, sich „frei im Raum“ zu fühlen. Die Erwartungsspannung wird durch ominöses Blubbern, Schmatzen und Gurgeln begleitet, welche durch Lautsprecher eingeblendet werden. „A Matter Of Food“, eine Aufführung und gleichzeitig begehbare Installation lief vom 5. bis 8. Oktober in den Cammerspielen. 

    Nur vorsichtig wird sich vorgetastet, als plötzlich unter dem Laken Ausstülpungen anfangen sich zu bewegen. Mit der Geräuschkulisse und den fleischfarbenen Projektionen von sich vermischenden, unausmachbaren Formen, wirkt der Tisch wie ein Magen, der gerade Essen verdauut. Aus der Angst, gleich mitverdauut zu werden, wird lieber zurück zur Wand gewichen, womit sich der Blick auf die gegenüberliegende Seite freigibt, auf der weitere Projektionen zu sehen sind.

    Die Inszenierung „A Matter Of Food“

    Verschiedene Bilder spielen sich dort ab: Agrarflächen, Ausschnitte aus Online-Kinderspielen, in denen Essen zubereitet werden muss oder einfach animierten Modellen von Lebensmitteln. Auch Bilder und Videos von echten Menschen, gemeinsam am Tisch oder mit Essen im Mund, drehen und schieben sich übereinander, was das Ganze etwas unheimlich wirken lässt.  All dies zusätzlich noch unterlegt von sich überlagernden Stimmen, die abgespielt werden. Satzfetzen wie „zum Reinschlüpfen in den Körper“, „wir verdauen euch“ und „durch den Wolf gedreht“ untermalen das mulmige Gefühl, bis darauf gewartet wird, wie es weitergeht.   

    Auf einmal werden Stühle an die Tafel gebracht, vier Köch*innen erscheinen zusätzlich zu der leitenden Figur, die ganz am Ende des langes Tisches steht, an einer kleinen Küchenzeile. Die bisher herumstehenden Zuschauenden werden nun mit einem Nicken dazu aufgefordert, sich zu setzen.  

    Das Zischen einer Pfanne, Piepen der Herdplatte, vermischt mit dem leicht angebrannten Geruch, der sich nicht gut mit dem etlichen Süßkrams kombiniert, der nun auf dem Tisch verteilt wird. Eine bunte Mischung aus Gummischlangen, zuckrigen Ufos, aber auch Stofftieren in Gläsern begleiten das Auge, wenn es statt auf die teils verstörende Projektion an der Wand dann hinunter auf den Tisch schaut. 

    Jetzt werden gemeinsam die Teller gedeckt, das Publikum einbezogen, alles weiterzureichen, Tee eingeschenkt, „guten Appetit“ weitergesagt. „Soll ich das jetzt halten?“ oder „Mh, das riecht aber lecker“, lässt sich nun durch die Lautsprecher vernehmen. Ähnliche Gedanken schweifen durch die eigenen Köpfe und das Gefühl, jetzt gerade wie ein Mikroorganismus unter einer Lupe zu sitzen, lässt sich schwer abschütteln.   

    Hefeklöße mit Heidelbeersauce steht auf dem Plan, aber lief nicht gerade noch eine Inszenierung? Die Köch*innen sitzen jetzt mit am Tisch und fangen an zu essen. Unsicher stimmen auch die Zuschauenden mit ein. Ist das Essen noch zu genießen, mit einem Gedicht im Ohr und einer stummen Präsentation im Auge, die sich beide um die Hefe drehen? Diese unheimliche Stimmung zieht sich durch die ganze Aufführung, komischerweise unterbrochen durch das plötzliche Essen der Klöße, doch trotzdem weiterhin auf der Hut, ob sich gleich wieder etwas unter dem Laken anfängt zu bewegen.  Für die Zeit der Aufführung in eine Art andere Realität eingetaucht, verlassen die Zuschauenden (oder auch Teilnehmenden?) aufgeweckt und mit gemischten Gefühlen die Cammerspiele. 

     

    Fotos: Mim Schneider

     

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