Ein Klassiker für kalte Tage
Victor Frankenstein ist wie viele junge Menschen: Er strebt nach Wissen und sucht in seinem Eifer nach Fortschritt. Doch welche Verantwortung hat er für das Produkt seiner Wissenschaft?
Wenn der Herbst samt seinen regendurchfluteten Nachmittagen beginnt, ist die Zeit im Jahr gekommen, in der sich Buchliebhaber in ihre Lesesessel schmiegen und neben einem heißen Tee und der hellen Stehlampe ein gutes Buch genießen möchten. Das Einzige, das diesen ersehnten Moment am Tag verzögert, ist die Qual der Wahl vor dem Bücherregal. Ob Roman oder Thriller, heute vielleicht sogar Klassiker, Gedichtband oder das alte Lieblingsbuch aus der Kindheit – so mancher könnte Stunden damit verbringen, das „perfekte Buch“ auszuwählen, um letztlich mit einem Stapel auf dem Boden eines nach dem anderen anzulesen und nach dem Leseerlebnis zu suchen, das jetzt gerade benötigt wird. Obwohl mir viele passende Werke für die Herbststimmung einfallen, scheint mir keines so präsent vor Augen wie der altberühmte Klassiker von Mary Shelley, Frankenstein.
Frankenstein oder Der moderne Prometheus erzählt von dem ambitionierten Nachwuchs-Forscher Victor Frankenstein, welcher im Streben nach dem wissenschaftlichen Durchbruch einen künstlichen Menschen erschafft. Erst beim Gelingen seines Experiments erkennt er die Grausamkeit seines Werks. Auf der Flucht vor der Realität und den Konsequenzen seines Handelns, gelangt
Frankenstein immer wieder in sein persönliches, moralisches Dilemma – die Pflicht, die Menschheit vor seinem Fehler zu bewahren, oder dem Schutz seiner eigenen Familie.
Shelley beeindruckt in ihrem Briefroman mit detailreichen Beschreibungen, mit Wanderungen durch die Wälder und Berge, aber vor allem mit dem Gefühlsleben ihrer Protagonisten. Das Aufspannen von einer Geschichte in der Geschichte, was sie wiederholt und vielfältig vornimmt, ermöglicht das tiefe Eindringen in die Erfahrungen ihrer Charaktere und beleuchtet die Geschichte von vielen Seiten. Shelley schafft es, den Leser in eine Handlung zu ziehen, welche von Wissenschaft und Verantwortung, Liebe und Opfer sowie von der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft erzählt. Dabei zeigt sich, dass diese Themen stets komplizierter sind, als sie erscheinen. Wie sehr muss die Wissenschaft für ihre Früchte einstehen? Welche Schuld besitzt man für die Taten eines anderen? Und verdient ein Monster, das von anderen zum Monster gemacht wurde, dennoch die Erfüllung seiner Wünsche? Die düstere Stimmung stimmt dabei wunderbar auf den Herbst ein und verführt zu bequemen, spannenden Stunden im Lesesessel.
Mit ihrem vielseitigen Buch, durchzogen von Naturschönheiten und dunkler Moderne, schafft die damals nur 20-jährige Mary Shelley einen Jahrhundertroman, der zugleich den Beginn der Science-Fiction bildet. Als Tochter einer Frauenrechtlerin suchte sie einen ähnlichen Weg als starke sowie unabhängige Frau und gilt damit als eine für ihre Zeit stark emanzipierte Schriftstellerin, die ihre Träume und Moral zielstrebig verfolgte.
Frankenstein oder Der moderne Prometheus ist bis heute ein wichtiges Grundelement der Literaturgeschichte. Dabei sind es die zahlreichen Facetten der Handlung, die es zu einem solch lesenswerten Buch machen. Damit ist das Werk eine klare Empfehlung für Klassiker-Fans, aber auch für Liebhaber von Science-Fiction, Naturbeschreibungen und ethischen Auseinandersetzungen.
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