Was kann Poetry Slam?
Und was kann Bramfeld? Mit viel Unsinn im Rucksack ging es für Kolumnist Lukas nach Hamburg. Mit zwei Texten voller Quatsch auf dem Weg zur Bühne des Bramfelder Kulturladens.
Die Möglichkeit an einem Poetryslam teilzunehmen, ergab sich mir durch Zufall. Durch mein Studium „Literarisches Schreiben“ setze ich mich viel mit Texten auseinander, fremden und eigenen, habe vereinzelt schon selbst auf Veranstaltungen gelesen. Deshalb dachte ich sofort: Warum nicht, was soll schiefgehen?
Auch weil der Slam in Hamburg Bramfeld stattfinden würde, wo ich niemanden kenne. Weil ausdrücklich auch Leute ohne Slamerfahrung gesucht wurden. Und weil meine Begeisterung für Poetryslam und damit meine Ehrfurcht mit den Jahren stark gesunken sind. Ich habe keine Vorbehalte oder Abneigungen. Ganz im Gegenteil, aber zu einem früheren Zeitpunkt hätte ich mich als Fan der Szene bezeichnet. Das ist heute definitiv anders. Für meine Teilnahme war das praktisch, früher hätte ich mich nicht getraut.
Also fuhr ich mit dem ICE für eine Nacht nach Hamburg. Fahrtkosten, Unterbringung, Verpflegung inklusive. Ganz schön viel Vertrauen in einen Laien, wie mich.
Circa zehn Jahre nachdem Julia Engelmann den Hype mit ihrem vielfach geklickten Youtube-Video in den Mainstreamboden gepflanzt hat, steht Poetry Slam fest verwurzelt und dennoch vielerorts belächelt mitten in der deutschen Kulturlandschaft. Seit 2016 ist die deutsche Poetryslam Bewegung im Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Unesco eingetragen.
Eigentlich eine sehr beeindruckende Entwicklung, Kunstsparten wie Lyrik, Lautpoesie, Prosa, Comedy, Satire und andere Formen der Sprachkunst vor großem Publikum salonfähig zu machen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Hürden für Zuschauer*innen gering sind: Es ist nicht nötig Literaturkenner*in zu sein, um Spaß an einem lautpoetischen Poetryslam-Beitrag zu haben. Zudem erreichen die wenigsten Lesungen bekannter Lyriker*innen regelmäßig die Zuschauerzahlen eines Slams. Es ist der Schritt, Literatur, die sonst eher allein oder auf ruhigeren Lesungen konsumiert wird, zu einem Livespektakel mit aktiver Publikumsbeteiligung zu machen. So weit habe ich keine Vorbehalte.
Trotz all dem gibt es viele Einwände. In der Kritik steht, die durch Preisgelder und die große Fanszene in Gang gesetzte, Kommerzialisierung. Auch der Fokus auf Comedy und die oftmals fehlende Tiefe der Texte bieten immer wieder Angriffsfläche für das Feuilleton. All das kann als Begleiterscheinung des Wettkampfmodus der kurzen Vortragszeiten gesehen werden. Ein gängiges Klischee ist darüber hinaus der charakteristische monotone Sprachrhythmus, der angeblich alle Beiträge gleich klingen lässt. Ist diese Kritik berechtigt?
Damit zurück nach Berlin. Ach nee, Bramfeld.
Der Hamburger Stadtteil ist, obwohl von der Innenstadt 40 bis 50 Bahnminuten entfernt, absolut nicht ausgestorben und auch das Brakula (Bramfelder Kulturladen) ist ein schöner und an dem Abend mit 80 Menschen gut gefüllter Veranstaltungsort.
Meine Mitslammer*innen sind alle erprobt, teils seit Jahren immer wieder dabei, teils aktuell in der Szene sehr aktiv. In dem Wettbewerbsmodus mit Vorrunde, Punktebewertung durchs Publikum und anschließendem Finale rechne ich mir als einziger Neuling erst keine großen Chancen aus. Ich merke schnell, dass das unbegründet ist. Die Beiträge sind sehr gemischt, was den konzeptuellen Ansatz, die sprachliche Qualität und die Bühnenpräsenz angeht. Zu meinem Glück bin ich in solchen Momenten kaum nervös und kann meine insgesamt 18 Minuten auf der Bühne mit meinem literarisch und politisch gefärbten Unsinn sehr genießen. Ich überstehe die Vorrunde mit der höchstvergebenen Punktzahl, gewinne das unmittelbar anschließende Finale aber nicht. Mit geringem Abstand werde ich in der finalen Applausabstimmung zweiter.
Nach der Veranstaltung bekomme ich von mehreren Zuschauer*innen die Rückmeldung, mit meinem zwar lustigen aber politischen zweiten Text hätte ich es mir vermasselt. Man sei für die Unterhaltung da, in diesen Krisenzeiten wolle man mit den aktuellen Nachrichten und Katastrophen nicht mehr als nötig und schon gar nicht Freitagabend konfrontiert werden. Das sehe ich anders, lasse es aber so stehen. Dann bin ich für diesen Abend wohl der kleine Jan Böhmermann. Nur dass bei mir niemand abschalten kann.
Von der Politikverdrossenheit mal abgesehen bestätigt sich die literarische Zugkraft von Poetryslam für mich, auch wenn die inhaltliche Tiefe und sprachliche Qualität der Texte auf vielen Lesungen sicher höher ist. Das Publikum ist durchmischt, wirkt auf mich auch dem Alter nach sehr heterogen und ist insgesamt von den Texten begeistert. Auch für die Organisatorin, in deren Gästezimmer ich netterweise übernachten durfte, ist der Abend ein voller Erfolg, inklusive gefüllter Kassen.
Mit Klischees und Kritik kann ich nach dieser einen Erfahrung nicht aufräumen, dafür ist die Stichprobe zu klein. Aber vielleicht kommen weitere dazu, Spaß hats gemacht.
Fotos: privat
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.