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  • Gespräche über das Unaussprechliche

    Über psychische Krankheiten zu sprechen, kann schwer sein. Der Film Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen versucht das Thema zu enttabuisieren.

    Triggerwarnung: In diesem Artikel werden psychische Krankheiten, selbstverletzendes Verhalten und Suizid thematisiert. 

    Wie fühlen sich eigentlich Depressionen an? Oder eine Angststörung? Oder Borderline? 

    Als nicht betroffene Person kann man solche Dinge wohl nur erahnen – dabei ist es so wichtig, ein Verständnis für psychische Krankheiten zu entwickeln, um den Betroffenen mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen zu können. Um das zu erleichtern, bietet der Film Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen vom Leipziger Studio Glücklicher Montag, das unter anderem Filme, Comics und Workshops auf die Beine stellt, zumindest einen Einstieg in das Thema. 

    Es ist kein besonders aktiver Film, den Produzentin Sandra Strauß und Regisseur Schwarwel, das Team hinter Glücklicher Montag, hier geschaffen haben: Wenig Bewegung ist im Spiel, keine direkte Handlung. Stattdessen stehen Gespräche im Mittelpunkt des Geschehens.
    Nacheinander erzählen die fünf Protagonist*innen von ihren Erfahrungen mit psychischen Krankheiten. Begleitet werden die Interviews von kleinen Animationen, die dem Film Leben einhauchen.  

    Protagonistin Zoë leidet seit 40 Jahren an Depressionen. Während sie erzählt, sie fühle sich manchmal, als würde sie tief hinab auf den Meeresgrund sinken, ohne irgendetwas dagegen tun zu können, erscheinen im Bild animierte Wellen, untermalt von Blubbergeräuschen. Plötzlich ist es, als würde man selbst im Ozean versinken. Sie erzählt, Depressionen habe sie oft damit in Verbindung gebracht, weinend in der Ecke zu sitzen – in diesem Klischee habe sie sich selbst nie wiedererkannt, was es schwierig gemacht habe, die eigene Krankheit als solche zu erkennen. 

    Zoë hat manchmal das Gefühl, einsam aufs Meer hinauszutreiben.

    Anna ging es ähnlich. Bei ihr wurde eine atypische Anorexie diagnostiziert, eine Essstörung. Sie erzählt, bei dem Begriff „Essstörung“ musste sie früher immer an Modelmädchen denken, die unbedingt abnehmen wollen. Das sei bei ihr jedoch anders gewesen, es sei eher um Kontrolle gegangen, um das Gefühl, sich selbst im Griff zu haben, indem man auf Essen verzichtet. Die Animationen im Film werden hier sehr direkt: Während sie über Bulimie spricht, erscheint eine geschlossene Toilettentür, dazu Brechgeräusche.  

    Ein weiterer Protagonist des Films ist Nicholas. Er hat eine Angststörung. Seit der Beerdigung seiner Mutter habe er mit Panikattacken zu kämpfen, erzählt er. Panikattacken, die mit einer schrecklichen Angst vorm Sterben einhergehen. Das führte auch zu beruflichen Schwierigkeiten für den Sänger der Band Jupiter Jones. Von einer Arztpraxis zur nächsten musste er ziehen, bevor endlich jemand herausgefunden hat, was hinter seinen Schweißausbrüchen, dem Herzrasen und dem Ohnmachtsgefühl steckte: „Sie haben Angst“, sagte seine Hausärztin irgendwann zu ihm und diagnostizierte damit eine Krankheit, von der er selbst bis dahin noch nicht viel gehört hatte. 

    Nicht gesellschaftsfähig beschönigt nichts, verheimlicht nichts und verschont die Zuschauer*innen nicht vor den Schrecken psychischer Krankheiten; auch nicht, als Protagonistin Anne, die eine Borderline-Störung hat, über ihre Erfahrungen mit selbstverletzendem Verhalten spricht. Ungewohnt detailliert beschreibt sie, wie sie sich selbst Verletzungen zugefügt hat – und warum. Im Bild erscheinen Rasierklingen. „Borderliner*innen? Das sind doch die, die sich ritzen!“, ist eine Aussage, die Anne oft gehört hat – nicht ganz falsch, gibt sie zu, aber da ist noch so viel mehr, zum Beispiel Stimmungsschwankungen, Impulsivität, Schwierigkeiten im sozialen Bereich. Dinge, die Außenstehende ihrer Erfahrung nach kaum verstehen können und über die sie daher selten spricht. Selbstverletzungsnarben fallen auf, die Menschen sehen sie und bringen sie mit Annes psychischer Erkrankung in Verbindung. Wenn sie einen plötzlichen Wutausbruch hat, ist der Zusammenhang oft nicht so deutlich. 

    Der letzte Protagonist ist Markus. Er fällt auf den ersten Blick ein wenig aus der Reihe, denn er selbst leidet – soweit wir es im Film erfahren – nicht an einer psychischen Krankheit. Doch er hat einen seiner besten Freunde durch Suizid verloren und engagiert sich seitdem in verschiedenen Formaten für die Aufklärung über dieses sensible, vielerorts immer noch tabuisierte Thema. Er habe bei seinem Freund viel falsch gemacht, erzählt er. Sätze wie „Anderen geht es noch schlechter“ oder „Das wird schon wieder“ habe er seinem Freund entgegengeschleudert und erst zu spät verstanden, dass diese Art von Zureden nicht der richtige Weg war. Stattdessen hätte er mehr zuhören sollen, findet er heute. Damit andere Menschen nicht aus Unwissenheit falsch reagieren und offen über Selbstmord – auch über ihre eigenen Selbstmordgedanken – sprechen können, veranstaltet er zum Beispiel Workshops an Schulen oder spricht mit Prominenten. Darüber sprechen ist wichtig, findet er, auch um Klischees aus dem Weg zu räumen. Sein eigener Freund habe seine suizidalen Gedanken klar geäußert. Damals sei häufig der Satz gefallen: „Wer darüber spricht, macht es eh nicht.“ Markus‘ Freund hat „es“ gemacht. 

    Markus hört an Schulen oft die Behauptung, es gebe keine suizidalen Schüler*innen. Häufig stellt sich das als Fehleinschätzung heraus.

    So unterschiedlich die Erfahrungen der fünf Protagonist*innen sind, sie vermitteln die gleiche Botschaft: Das Wissen über psychische Erkrankungen reicht bei vielen Menschen nicht aus. Ob man die eigene Krankheit nicht als solche erkennt, weil man wie Zoë und Anna bestimmte Klischees im Kopf hat, oder mit den psychischen Erkrankungen anderer Menschen falsch umgeht, wie Markus es früher gemacht hat – für viele Menschen liegt über dieser Thematik ein Nebel der Unwissenheit, den Nicht gesellschaftsfähig zu lichten versucht. 

    Eine weitere Botschaft: Reden hilft. Die eigenen Gedanken zu teilen, in der Therapie, aber auch mit anderen Betroffenen. Das kann die Krankheit zwar nicht heilen, aber immerhin fühlt man sich nicht mehr so allein, so anders, so „unnormal“. Doch um darüber zu reden, müssen psychische Erkrankungen enttabuisiert und Klischees aufgeklärt werden. Genau dafür kann Nicht gesellschaftsfähig ein Anfang sein. 

    Alle fünf Protagonist*innen sind erwachsene Menschen, die im Leben stehen und gelernt haben, mit ihren Sorgen, Problemen und Krankheiten umzugehen. Mutig und selbstbewusst erzählen sie ihre Geschichten und geben den Zuschauer*innen die Möglichkeit, zu verstehen – auch sich selbst. 

    Nicht gesellschaftsfähig – Alltag mit psychischen Belastungen feierte am 24. Oktober Premiere in der Kinobar Prager Frühling und soll ab November online zum Download zur Verfügung stehen. 

     

    Fotos: Glücklicher Montag

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