Don’t call me Erfolgsfan!
Als Fußballanhänger gerät man schnell in eine Schublade. Besonders, wenn man wie Kolumnist Eric sein Herz an den FC Bayern verloren hat. Ein Bekenntnis – und eine Liebeserklärung.
Neulich war es mal wieder so weit. An einem Samstag um halb vier. Heimspiel. Mein Dresscode steht sowieso: rot-weißes Trikot und Schal. Der Laptop wartet auf eine rund 90-minütige Tortur mit gnadenloser Überhitzung und zweimaligem Laden. Egal, was macht man nicht alles für seinen Verein. Letzte Vorbereitungen müssen getroffen werden. Ein kurzer Blick auf die Uhr: 15 Minuten habe ich noch. Die Getränke fehlen! Ein Tee zur ersten Halbzeit, ein Wasser bei der zweiten Hälfte. Wollen es ja nicht übertreiben. Nochmal kurz den „Kicker“ überfliegen, die neuesten Nachrichten checken. Sind auch alle Spieler in meinem Managerteam aufgestellt? Nebenbei wird der Vorberichterstattung gelauscht. Noch drei Minuten. Welche Taktik wird wohl diesmal gewählt? Um es mit den Worten des Satirikers Jan Böhmermann zu sagen, ist Fußball bekanntlich wie Schach – nur ohne Würfel. Eine Minute, keine Zeit mehr. Schnell noch den Whatsapp-Status aktualisieren und dann offline gehen. Bitte nicht stören, bin in meinem ganz persönlichen Tunnel. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die das Glück ausmachen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Drei, zwei, eins: Anpfiff.
So ungefähr laufen bei mir die meisten Samstagnachmittage ab. Oder besser gesagt: Alle Tage, an denen mein Lieblingsklub spielt. An dieser Stelle habe ich schon einmal über mein Fußballfandasein geschrieben. Nun geht es hier jedoch nicht um den weltmeisterlichen Größenwahn eines geldgeilen, idiotischen FIFA-Präsidenten und seinen maroden (oder korrupten) Weltverband, sondern schlicht und einfach um den geilsten Fußballverein der Welt: den FC Bayern München.
Ich gebe euch einen kurzen Moment, mich zu hassen.
Abreagiert? Gut, ich verstehe euch – teilweise. Wahrscheinlich würde ich auch so fühlen, würde mein Lieblingsverein irgendwo in den Niederungen des deutschen Profifußballs herumkrebsen. Ich würde genauso „die Roten“ verfluchen und penetrant auf Reformen (Stichwort: TV-Gelder) pochen. Eventuell würde ich auch nach jeder „Bevorteilung“ im Spiel eine Verschwörung der Schiedsrichter vermuten. Und wer es nicht so mit diesem Sport am Hut hat, kann ja noch auf die politischen Fettnäpfchen verweisen. Von Uli Hoeneß bis Joshua Kimmich: Die Bayern, das sind doch diese Unsympathen!
Es sind typische, reflexartige Reaktionen: Du bist Bayern-Anhänger? Wird dir da nicht langweilig? Seit wann bist du Fan: Seit dem Triple 2013 oder nach der Meisterschaft Nummer 1000? Kannst du auch so gut den „Neuer-Reklamierarm“? Wann bist du das letzte Mal vor lauter Langeweile beim Spiel eingeschlafen? Weißt du überhaupt, wann der Verein gegründet wurde? Wenn du eine richtige Meisterfeier sehen möchtest, dann komm zum Borsigplatz! Alles steuert mit Highspeed in eine Richtung: Erfolgsfan. Dass ich aus Motiven Fan dieses Vereins geworden bin, die völlig gegen diesen Stereotyp sprechen, interessiert dann wohl die wenigsten.
Nun ist es so, dass ich in einem Dorf aufgewachsen bin, indem es einen Fanklub gibt – von Borussia Dortmund wohlgemerkt. Auch in meiner Grundschulzeit roch es stark nach Wachablösung, war doch der BVB durch seinen Erfolg nun der letzte Schrei und die meisten meiner Mitschüler*innen trugen plötzlich schwarz-gelb. Vor allem mein lieber Opa hätte mich erst recht gerne im Trikot eines anderen Vereins gesehen, ist er doch ein glühender Bayern-Hasser. Kurzum: Die schnellste Route führte scheinbar nicht in den Süden der Bundesrepublik. Warum ich dann doch sinnbildlich den Umweg zur A9 Richtung München wählte, kann ich selbst kaum beantworten. Am ehesten lag es wohl an meinen Vater, welcher schon immer sein Herz an den deutschen Rekordmeister verloren hatte. Nun hat er mich jedoch nicht penetrant in eine Fanrichtung gedrängt und mich schon früh in einen Lederhosen-Strampler gezwängt. Der erste Trikotwunsch geschah aus Eigeninitiative. Deshalb rede ich mir heute oft ein, dass es mehr eine Protestentscheidung war: gegen die vermeintliche Macht aus dem Ruhrpott, gegen die ganzen „Erfolgsfans“. Bereut habe ich die Entscheidung nie.
Man kann auch den FC Bayern lieben, ohne zuerst an die Erfolge der Vergangenheit zu denken. Ich möchte auch nicht auf die unzähligen geilen Kicker verweisen, die für den Verein die Schuhe schnürten. Die haben auch andere Klubs. Bayern München ist vielmehr ein Gefühl. Eine Haltung des „Nicht-Aufgebens“. Eine Orientierung zum Bestmöglichen. Ehrgeiz ist nicht gleich Arroganz, Siege bedeuten nicht Langeweile. Es ist ein „Immer weiter“, ein „Nie zufrieden sein“, ein stetiges Arbeiten und Verbessern – alles im positiven Sinne. Dies ist eine Einstellung, die ein Vorbild für so viele Lebensbereiche sein kann und mit der ich mich hundertprozentig identifiziere. Nun wäre es völlig falsch, anderen Mannschaften mangelnden Ehrgeiz zu unterstellen. Im Profisport wollen alle gewinnen, sei es in München oder in Elversberg. Nur habe ich den Eindruck, dass das eine entscheidende Prozent mehr beim FC Bayern gegeben wird. Der schweißgebadete Arjen Robben lässt grüßen.
Ohne Frage darf sich der deutsche Fußball nicht über einen Mangel an tollen Vereinen beschweren. Welcher echte Fußballfan liebt es nicht, wenn in Bochum tausende Menschen mit Herbert Grönemeyer singen? Wer bekommt keine Gänsehaut, wenn auf Schalke das Steigerlied ertönt oder im Weserstadion das Flutlicht angeht? Auch international kann man sich über einen Mangel an klasse Mannschaften nicht beschweren. Ich persönlich habe ebenso große Sympathien für Jürgen Klopp und seinen FC Liverpool. Fußball und der Sport generell lebt von Vielfalt. Ich liebe es, mich mit anderen Fans einfach nur über diese tolle Sportart auszutauschen – und sich vielleicht auch mal zu streiten. Nur möchte ich nicht gleich in eine Schublade mit der Aufschrift „Erfolgsfan“ gesteckt werden. Solche Anhänger gibt es überall. Mal mehr, mal weniger. Und natürlich sind solche Menschen vor allem bei Mannschaft anzutreffen, die den ein oder anderen Titel mehr feiern können.
Man wird nur Fan eines Vereins, wenn man mindestens eine Träne für diesen vergossen hat. Wenn mal Wut empfunden wurde. Aber auch, wenn man sich trotz jeder Niederlage nicht schämt, die Farben des Vereins zu tragen. Das Fandasein ist ein Bekenntnis. Dann ist es egal, wie der Klub heißt oder wie erfolgreich er ist. All das kann ich von mir behaupten. Ich kann nichts dafür, dass der FC Bayern nun schon seine elfte Meisterschaft in Serie feiern durfte. Und das lag nicht nur an Dusel, Bevorteilung oder Geld – auch wenn Letzteres mit Sicherheit in der ein oder anderen Situation ein Wettbewerbsvorteil war und ist.
Dass Bayern München Stärken und Schwächen wie jeder andere Verein im (inzwischen) durchkommerzialisierten Profifußball hat, ist glasklar. Ich bin mit der ein oder anderen Entscheidung auch nicht auf einer Linie. Man kann jedoch auch nicht ernsthaft erwarten, dass Vereine wie der SC Freiburg so kuschelig sind, wie sie erscheinen. Und wer hinter dem Slogan „Echte Liebe“ der Borussia aus Dortmund reinste Fußballromantik erwartet, lügt sich selbst in die Tasche. Der ehrlichste Sport findet eher in der Basis statt. In den Amateurligen, wo jeder zweite Einwurf wegen falscher Ausführung zurückgepfiffen wird. Dort, wo die Trainingsbeteiligung um mehr als 50 Prozent einbricht, nur weil der Trainer eine Nachricht mit „Laufschuhe mitbringen“ geschrieben hat.
Es soll ja Leute geben, die es hassen, wenn andere über Fußball reden. An diejenigen meine aufrichtigste Entschuldigung (wenn ihr überhaupt bis hierhin durchgehalten habt). Kommt erst wieder in gut einem halben Jahr vor. Und was meine Bayern betrifft: Wer weiß, vielleicht erleben wir in dieser Saison ja mal wieder ein Jahr ohne Titel. Dann werde ich jedoch nicht gleich meine Mitgliedschaft kündigen und ein Massenverkauf an Fanartikeln betreiben. Meine persönlichen Fußballrituale werde ich weiter ausleben. In rot und weiß. Mit dem Logo des deutschen Rekordmeisters auf der Brust.
Titelbild: Johannes Plenio via Pexels
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