Erzählen kann jede*r?
Der sächsische Verein „Erzählraum“ veranstaltete das 1. Internationale Festival für Erzählkunst, wo es Märchen und andere Erzählungen in einem interaktiven Setting zu hören gab.
Geschichten erzählen, und zwar nicht irgendwie, sondern so, dass Zuhörende mitgerissen werden, ist eine Kunst, die erlernt werden muss. Um diese Kunst mehr in den Vordergrund zu rücken, fand vom 20. bis zum 29. Oktober in Leipzig und Dresden das 1. Internationale Festival für Erzählkunst in Sachsen statt. Menschen aus verschiedenen Ländern erzählten im Rahmen des Festivals Geschichten aus ihren kulturellen Kontexten, z. B. Sally Pomme Clayton aus England, Naceur-Charles Aceval aus Algerien oder Soogi Kang aus Südkorea. Organisiert wurde es von dem 2016 gegründeten sächsischen Verein „Erzählraum“. Der Verein versammelt Erzähler*innen, Pädagog*innen, Theaterschaffende und andere Interessierte, die das Erzählen als künstlerische Form ausüben und unterstützen. Hauptstandort und -träger war das Societaetstheater in Dresden. Veranstaltungen in Leipzig fanden im GRASSI-Museum für Völkerkunde und im WERK 2 statt. Das Festival war unterteilt in Abend- und Vormittagsveranstaltungen, letztere in Grundschulen für Schulklassen. Eintrittspreise variierten von 3 Euro für Schulkinder bis 16 Euro Vollpreis für Erwachsene.
Bei der offenen Erzählbühne im Haus der Begegnung in Connewitz und wurde man gleich auf der Straße von drei weiblichen Mitgliedern freundlich begrüßt und ins versteckt gelegene Haus geführt. Im Raum war eine Bühne aufgebaut, es gab Tee und Gebäck. Der Verein bietet viele Projekte für Kinder an, tatsächlich waren aber vor allem Erwachsene und ältere Menschen da. Patrick Niegsch, ein Mitglied des Vereins, gab einen kurzen Einstieg, in dem er die anwesenden Erzähler*innen vorstellte und jede*n einlud, sich am Erzählen zu beteiligen. Nach einem kurzen musikalischen Sketch der Leipziger Musikerin Silvia Needon betrat Suse Weisse die Bühne. Weisse ist aus Deutschland und Erzählerin von Beruf, außerdem arbeitet sie als Theaterpädagogin, Regisseurin und Dozentin. Sie steht souverän und locker auf der improvisierten Bühne und fängt an, das Märchen über die drei Schwestern Holly, Dolly und Molly Whuppie zu erzählen. Sie hat eine angenehme Stimme, guckt eindringlich ins Publikum und setzt ihren Körper mit kleinen Bewegungen anschaulich ein. Molly, die Jüngste und Heldin der Geschichte, trickst mehrmals einen Riesen aus, der sie und ihre zwei Schwestern fressen will, und entkommt ihm jedes Mal nur haarscharf, indem sie eine Brücke aus einem Haar spannt, die nur sie und andere Mädchen betreten können. An Weisse merkt man, dass es tatsächlich gar nicht so einfach ist, gut und spannend zu erzählen, und dass sich ihre langjährige Erfahrung auszahlt.
Insgesamt wirkte die Veranstaltung recht intim und geschlossen und ein bisschen aus der Zeit gefallen. Der Verein sieht Erzählen als Dialog und Kontaktmöglichkeit, in dem auch emotionales Gepäck aufgearbeitet werden kann. Diese Art der Interaktion kann vielleicht überfordernd sein für Menschen, die damit noch nicht so viele Berührungspunkte hatten. Dennoch ist das grundlegende Konzept des Festivals, das Erzählen von Geschichten und Märchen zu fördern und zu verbreiten, schön und unterstützenswert und die offene und informellere Atmosphäre kann vielleicht anderen helfen, Hemmungen abzubauen. Wer nun neugierig geworden ist und vielleicht selbst ein Märchen im Gepäck hat, der*die kann zur Offenen Erzählbühne des Vereins gehen, die ab und zu im Budde-Haus in Gohlis stattfindet.
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