Zurück in die Gegenwart
Anfang Oktober wurde das neue Ende der Dauerausstellung „Unsere Geschichte – Diktatur und Demokratie nach 1945" im Zeitgeschichtlichen Forum fertiggestellt.
Da schreitet man durch rund 45 Jahre deutsche Historie, Schritt für Schritt nähert man sich der Gegenwart und muss – umkehren? So jedenfalls gestaltete sich lange der Besuch in der Dauerausstellung „Unsere Geschichte – Diktatur und Demokratie nach 1945“ des Zeitgeschichtlichen Forums. Doch nach 253 Tagen Bauzeit wurde im Oktober das neue Ende der Ausstellung fertiggestellt und damit das nächste Kapitel Zeitgeschichte vollendet.
Im neuen Abschnitt werden die Jahre nach dem Mauerfall aufgearbeitet und so Erfolge, aber auch Herausforderungen und Missverständnisse der Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschen aus mehr als 30 Jahren Einheit aufgezeigt. Dass hierbei der schwierige Spagat von der Vergangenheit zur Gegenwart gemacht werden muss, zeigt sich auch im Aufbau des neuesten Abschnitts. So ist dieser im Vergleich zum Rest der Dauerausstellung eher minimalistisch gehalten. „Wir wollen bewusst zeigen, dass wir noch nicht alles wissen“, sagt Uta Bretschneider, Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums.
Der gut 300 Quadratmeter große Bereich beginnt mit einem „Info-Raum“. Hier werden Daten zur Bevölkerungsentwicklung, Repräsentanz in Führungspositionen, Einkommens- und Vermögensverteilung sowie Zustimmungswerte zur Demokratie grafisch dargestellt. Das Besondere hierbei sei, dass die Zahlen und Fakten in einer Echtzeitdatenvisualisierung aufbereitet werden, sagt Bretschneider. Das heißt, neugewonnene Statistiken können ohne viel Aufwand einfach in die Präsentation integriert werden. Die visuelle Einführung lässt eine Bestandsaufnahme erahnen, die sich durch die ganze Ausstellung ziehen wird: Die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands ist ein Prozess, welcher noch lange nicht beendet ist.
In drei Themeninseln mit insgesamt rund 70 Objekten wird dieser Umstand aufgegriffen und beispielhaft sowohl andauernde Trennlinien als auch Verbindungen zwischen West und Ost gezeigt. Die erste Insel fokussiert sich auf die Fremd- und Selbstwahrnehmung der Ostdeutschen, wobei der Umstand aufgegriffen wird, dass sich noch immer ein Großteil der Menschen als Bürger*innen zweiter Klasse sieht. Der zweite Komplex behandelt den Wandel der Erinnerung an die SED-Diktatur. Auffällig ist hierbei das größte Objekt der Ausstellung: ein rund acht Meter breites und drei Meter hohes Wandbild des Künstlers Jan Stein, auf dem die Entwicklung des Ausspruchs „Wir sind das Volk!“ dargestellt wird. Im Kontext der friedlichen Revolution 1989 noch ein Slogan zur Überwindung der DDR-Diktatur, steht der Satz heute mehr in Verbindung mit Protestbewegungen gegen die Demokratie. Die dritte Themeninsel fokussiert sich auf aktuelle Formen des politischen Engagements in Ostdeutschland. Dass viele Gruppen aktiven Widerstand gegen die Regierung fordern und diese mit einer Autokratie gleichsetzen, ist ein Umstand, welcher nicht unbedingt positiv stimmen mag. Der ausgestellte Hut aus Alufolie spricht Bände.
Das Zentrum des Raumes bildet eine Bühne mit einem Durchmesser von vier Metern. Im Rahmen vom „Forum live“ finden hier unter anderem Diskussionsrunden, Vorträge oder Lesungen statt. Damit sei der neue Abschnitt nicht nur ein reiner Ausstellungsraum, sondern auch ein Veranstaltungsort für Formate wie „Politik & Brause“ oder die „Werkstattgespräche zur Zeit/Geschichte“, wie Bretschneider betont. Wenn mal keine Veranstaltungen geplant sind, dient die Bühne als eine Projektionsfläche, auf der abwechselnd 40 verschiedene Fragen an das deutsch-deutsche Zusammenwachsen abgebildet werden: Prägt die DDR-Sozialisation immer noch politische Einstellungen? Was ist typisch westdeutsch? Das sind nur zwei Beispiele, die sich die Besucher*innen auch ausdrucken und mitnehmen können.
Auffallend sind zudem die verschiedenen Videoprojektionen, auf denen neun Zeitzeug*innen von ihren Erfahrungen der Transformationszeit erzählen. Vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung bis zur Journalistin Nhi Le kommen Personen zu Wort, die einen ostdeutschen Bezug haben. Mit ihren eigenen Erfahrungen und Geschichten ergänzen sie den informativen Gehalt der Ausstellung und geben dieser eine persönliche Note.
Das neue Ausstellungsende ist ein Schritt, die jüngste Vergangenheit der Bundesrepublik aufzuarbeiten. Eng an aktuellen politisch-gesellschaftlichen Debatten orientiert, kontrastiert sie Anspruch und Wirklichkeit, mit dem das deutsch-deutsche Zusammenwachsen verbunden ist. Denn es dürfte feststehen: Für viele Menschen besteht weiterhin eine Grenze zwischen Ost und West – wenn auch nur im Kopf.
Titelbild: Das Wandbild von Jan Stein; eb
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