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  • „Ein Monster lebt in der Wildnis…“

    Brutal, mystisch und tragisch – in Christina Henrys neuem Roman „Die Legende von Sleepy Hollow“ kehrt der Kopflose Reiter nach 200 Jahren zurück aufs Papier.

    Washington Irvings Kurzgeschichte „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“ ist seit ihrer Veröffentlichung 1820 zu einem internationalen Klassiker geworden. Sein Kopfloser Reiter lebt auch heute noch als eine der bekanntesten und beliebtesten Figuren der Schauerliteratur weiter. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Christina Henry dem Reiter widmen würde – schließlich ist die amerikanische Autorin besonders in den letzten Jahren mit ihrer Umgestaltung klassischer Geschichten in finstere Horrorerzählungen bekannt geworden. Neufassungen von Rotkäppchen, Alice im Wunderland und Peter Pan sind nur Beispiele für ihre sogenannten „Dunkelchroniken“, welche die 49-jährige zur Bestsellerautorin machten. 

    Irvings Geschichte handelte vom Schulmeister Ichabod Crane, welcher ein Auge auf Katrina van Tassel geworfen hat. Neben ihm plant auch Brom Bones um Katrinas Hand anzuhalten. Eines Abends, als bei Männer bei den van Tassels zu Besuch sind, erzählt Brom die Legende des Kopflosen Reiters um Crane Angst einzujagen. Als sich dieser auf den Heimweg begibt, taucht der Reiter mit einem Mal auf und – so erzählen es sich die Dorfbewohner – verjagt Crane aus Sleepy Hollow. 

    30 Jahre später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, scheint die kleine Schlucht erneut von der sagenumwobenen Gestalt heimgesucht zu werden. Ein Junge wird mit abgetrenntem Kopf und Händen im Wald gefunden; auf ihn folgen weitere Opfer. Schon bald munkelt man im Dorf, der gefürchtete Reiter sei zurückgekehrt. 

    Ben van Brunt, Enkelkind von Brom und Katrina, steht inmitten der finsteren Geschehnisse. Ben, geboren als Bente, doch schon immer mehr Junge als vermeintliches Mädchen, hat seine Eltern schon frühzeitig an eine Fieberkrankheit verloren. Seine Großeltern ziehen ihn folglich auf, wodurch er eine tiefe Verbindung zu beiden teilt. Während Brom Bens Vorbild und ständiger Unterstützer ist, gerät der Junge jedoch immer öfter mit Katrina aneinander – sei es wegen seinen unmädchenhaften Verhaltens oder weil er ständig den gefährlichen Wald aufsucht. 

    Anne Grunert hält ein Buch

    Auf den Spuren des Reiters. Foto: privat

    Selbst nach den Todesfällen kann Ben diesem nicht fernbleiben. Auch wenn sich eine unbarmherzige Atmosphäre über das Dickicht gelegt hat und etwas zweifelsfrei nach weiteren Opfern sucht. Der Grund? Eine mysteriöse Stimme, die aus dem Wald nach Ben ruft und ihn vor einem Monster in der Wildnis warnt, das es auf Ben abgesehen hat.  

    Fest entschlossen herauszufinden, welche Wesen Sleepy Hollow tatsächlich heimsuchen, begibt sich Ben auf die Suche nach Antworten. Wer oder was ist der Kopflose Reiter und was verheimlicht Brom über ihn? Was ist damals in der verheerenden Nacht tatsächlich geschehen, als Crane auf ewig verschwand? Und warum weiß der ihm fremde Dorfbewohner Schuler de Jaager so viel über Crane und Ben? 

    Schlussendlich ist nichts, wie es scheint. Vom wahren Tod seiner Eltern bis hin zu Ungeheuern, die nicht im Wald, sondern im Dorf ihre Wurzeln geschlagen haben, entwirrt Ben das Netz der Geheimnisse um Sleepy Hollow und setzt dabei seine verbleibende Familie aufs Spiel. Alte Legenden erwachen und Ben muss sich fragen, ob das vermeintliche Monster aus der Wildnis nicht doch schon die ganze Zeit in ihm lebte. 

    Henry schafft es, ihre Erzählung so immersiv zu gestalten, dass man das Buch kaum noch aus der Hand legen möchte. Von Anfang bis Ende steht man regelrecht neben Ben, versucht Sleepy Hollows Mysterien selbst zu klären und wird an jeder Ecke wiederholt überrascht. 

    Dabei setzt Henry nicht nur auf vereinzelte Schockmomente, sondern arbeitet auch einen leichten, unterschwelligen Horror in ihre Erzählung ein: Monster mit einem Aussehen zu grotesk, als dass man es in Worte fassen könnte, und Wesen, die zu alt sind, als dass man ihre Geschichte kennt.  

    Auch ihre Charaktere sind größtenteils überzeugend und realistisch. Brom, so liebevoll er auch mit seiner Familie umgehen mag, ist stur und schreckt nicht vor Gewalt zurück. Katrina, so oft sie Ben auch kritisiert, handelt in keinem Moment nicht aus Liebe für ihren Enkel. Und schließlich Ben: stur, unbedacht, gerissen. Ängstlich und mutig zugleich. Ein 14-jähriger Junge, der auf der Suche nach der Wahrheit mehr verliert als gewinnt. 

    Ein kleines Manko in Henrys Geschichte ist, dass die eigentlich gelungene Unvorhersehbarkeit, die einen bis kurz vor Ende rätseln lässt, auch einige Fragen offen lässt. Der Roman wirkt hierdurch zum Ende leicht unvollständig, lässt somit aber auch Raum zur Interpretation offen, wie schon bei Irving. Ob das nun gut oder schlecht ist, entscheidet der individuelle Geschmack; persönlich hat es mich jedoch etwas enttäuscht. 

    Insgesamt lässt sich der Roman jedem Fantasy- und Schauer-Liebhaber wärmstens empfehlen und ist eine würdige Neubearbeitung von Washington Irvings Klassiker. Christina Henrys flüssiger und fesselnder Schreibstil, ihre liebevoll gestalteten Charaktere und deren realistische Schicksale machen „Die Legende von Sleepy Hollow – Im Bann des Kopflosen Reiters“ zu einer lohnenswerten Leseerfahrung. 

     

    Grafik: Sara Wolkers

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