Ein in Dialoge verpacktes Gemetzel
Das Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ im Schauspiel Leipzig zeigt uns durch komödiantische Wortgefechte zweier Paare, dass der erste Blick manchmal trügen kann.
Ein Arm voll Tulpen, penibel drapierte Sachbücher und eine sehr gepflegte Sofagarnitur vor einer hellen Tapete. Einer Tapete, welcher erst auf den zweiten Blick einige Makel und helle Flecken anzusehen sind. Das ist das erste Bild, das durch den hell beleuchteten Rahmen rund um die Bühne zu sehen ist. Es wird der Eindruck erweckt, als würde man von den roten Sitzen des mit dunklem Holz vertäfelten großen Saales direkt auf einen riesigen Fernseher blicken. Die doch eher schlichte Kulisse lässt Raum für zwei Elternpaare und vier völlig verschiedene Persönlichkeiten. Der Streit ihrer Söhne ist Grund, warum sich die Eltern für ein Gespräch zusammensetzen.
Wegen zwei ausgeschlagener Zähne soll nun eine friedliche und konfliktfreie Einigung bei Kaffee und Kuchen gefunden werden.
Doch das erst so harmonische und friedvolle Bild fängt nach gezielt überspitzten Kommentaren der Mutter des verletzten Kindes, Véronique Houillé (Bettina Schmidt), an zu bröckeln. Die Diskussion zwischen den beiden Paaren nimmt Fahrt auf und bietet ebenso Konfliktpotential innerhalb der Paare. Ein Geplänkel über Tulpen und Selbstgebackenes wird zu einem Gespräch über das Aussetzen des Hamsters der Tochter durch Michelle Houillé, hin zu einem Streitgespräch über verletzte Gefühle und viel zu lang verdrängte Emotionen. Immer wieder will sich das eingeladene Elternpaar, Alain Reille und Anette Reille, auf den Weg nach Hause begeben, doch kurz davor lässt eine neue Bemerkung das Paar noch ein Stückchen länger verharren und die Diskussion spitzt sich zu.
Auf dramatische und dennoch komödiantische Weise werden durch die Gespräche typische Rollenbilder und versteckte Meinungen auf die Bühne gebracht. So werden in den Dialogen die Rolle von Mann und Frau in einer Beziehung aufgegriffen und wie dabei die Aufgabenverteilung der Eltern ist. Dabei fällt zum Beispiel auf das bei Familie Reille der Vater nahezu gar nichts in der Erziehung übernimmt. Auch bei Familie Houillé fällt diesbezüglich auf, dass Michelle Houillé zwar Aufgaben übernimmt, aber auch deutlich kommuniziert, dass er dies nicht so gerne macht, wie von seiner Frau anfänglich beschrieben. Außerdem werden alle Macken und Probleme der Protagonist*innen und der Paare offengelegt. Von dem Anwalt und Vater Alain Reille (Dirk Lange) des „mit einem Stock bewaffneten Jungens“, wie ihn Veronique überspitzt nennt, welcher alle fünf Minuten ans Telefon muss, hin zu einer sehr steifen Anette Reille (Anne Cathrin Buhtz) mit dem Problem, ihre Emotionen und ihren Unmut nur schwer teilen zu können, zu einer sehr stichelnden und überspitzenden Veronique, welche ein Alkoholproblem hat, hin zu einem Michelle Houillé (Michael Pempelforth), welcher zum Teil sehr gehässig sein kann und tierische Angst vor Hamstern hat.
Das zum Teil sehr vereinzelte Lachen aus dem Publikum lässt vermuten, dass sich einige aus dem Publikum selbst oder ihre Verwandten wiedererkennen konnten. Dafür ließ das Stück auch viel Spielraum, ob es bestimmte Ticks, wie sich die Anzughose immer wieder mit den Füßen runterziehen, auf Rollenbilder abzielende floskelhafte Sprüche oder die genrelle Dynamiken der Paare waren. So enthüllten sich die anfänglich perfekten Familien durch die Dialoge am Ende selbst. Familien, die zu Beginn äußerst fortschrittlich wirkten und am Ende doch noch mit Problemen, wie zum Beispiel der Verteilung der Care Arbeit, zu kämpfen haben. Das durch die rasanten und auf ihre Weise komischen Dialoge lebende Theaterstück hat nicht an Spannung verloren und man wartete gebannt auf die nächsten Konter der Protagonist*innen. Dabei steigerte sich das Stück von einer Anette, der schlecht vom Streit wurde, hin zu einem brandneuen Telefon, welches in Wasser getunkt wird, zu einem unerwarteten, durch tosenden Applaus begleiteten Höhepunkt kurz vor dem Ende. Eingeleitet wird das Gespräch mit frischen Tulpen vom Markt und einem ausgesetzten Hamster und beendet wird das Theaterstück eben wieder mit diesen beiden Themen.
Das Ende ist offen gestaltet und lässt viel Raum zu Interpretationen.
Der rasante Wortwechsel war durch die Schauspieler*innen und deren Umsetzung der Rollen nicht nur ungemein witzig, sondern hat auch zum Nachdenken angeregt. Wie verhalten wir uns selbst im Streit, welche Emotionen verdrängen wir insgeheim und wie fest verankert sind Rollenbilder von Mann und Frau in unserer Gesellschaft heutzutage.
Außerdem wird nicht nur durch das Bühnenbild, sondern auch durch das Aufbrechen der Emotionen der Paare während des Gespräches deutlich, dass nicht alles auf den ersten Blick so scheint, wie es wirklich ist.
Das Stück regt auf humoristische Weise zum Nachdenken und zur Reflektion über das eigene Verhalten, Emotionen und unsere Gesellschaft an und ist noch bis zum 2. Mai 2024 im Schauspiel Leipzig zu sehen, wobei weitere Termine auch noch in Planung sind.
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