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  • Das Greta-Schisma

    Klima-Aktivistin Greta Thunberg hat auf einer pro-palästinensischen Kundgebung in Leipzig gesprochen. Ihre Haltung zum Nahostkonflikt spaltet die deutsche und die internationale Klimabewegung.

    (read this article in English)

    Mehrere hundert Menschen sind auf dem Marktplatz versammelt. Über den Köpfen schweben palästinensische Flaggen, alle paar Minuten skandiert jemand „Free, free Palestine“, und die Menge antwortet. Ein Klima-Protest ist das eindeutig nicht. Trotzdem warten viele der Anwesenden auf Greta Thunberg.

    Kurz vor der Kundgebung am 24. Januar hat sich das Gerücht ausgebreitet, sie werde dort auftreten. Offiziell bestätigt ist das nicht, deshalb halten sich die Zweifel. Erst nach über einer Stunde wird sie vor die Menge treten. Bis dahin sprechen andere Vertreter anwesender Gruppen.

    Worum geht es?

    Zur Kundgebung aufgerufen hat die palästinensische Diaspora-Gruppe „Handala Leipzig“. Außerdem sind Vertreter*innen weiterer Gruppierungen anwesend, unter anderem „Students for Palestine“, linke Gruppen wie „Zora“ und die „Föderation klassenkämpferischer Organisationen“, sowie die anti-koloniale Bewegung „Defend Kurdistan“. Neben den Flaggen Palästinas und der Organisationen ist mehrmals die südafrikanische Flagge zu sehen. Südafrika hat kürzlich Israel im Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen seines Militäreinsatzes in Gaza des Genozids angeklagt. Auch die Kundgebung wurde unter dem Motto „Stoppt den Genozid / Freiheit für Palästina“ beworben.

    Der Völkermord- beziehungsweise Genozid-Vorwurf zieht sich durch die Redebeiträge. Sprechende beklagen die Zustände, unter denen die Bevölkerung Gazas lebt und stirbt, und wiederholen die Forderung nach einem Waffenstillstand. Einige Beiträge der linken Gruppen ordnen die Solidarität mit Palästina in den weltweiten Kampf gegen Kolonialismus, Imperialismus und Unterdrückung ein.

    Mehrere Redebeiträge thematisieren zudem die Lage palästinensischer, geflüchteter und/oder muslimisch gelesener Menschen in Deutschland. Mehrmals wird eine Parallele gezogen zwischen den rechtsextremen „Remigrations“-Plänen von AfD-Mitgliedern und der verstärkten Abschiebepolitik der Bundesregierung. Migrant*innen, die sich mit Palästina solidarisieren, seien auch von Gegnern der AfD rassistisch angefeindet worden. Die AfD sei nicht das einzige Problem in Deutschland.

    Es spricht auch eine Vertreterin von „Students for Palestine Leipzig“. Die vor kurzem gegründete Gruppe hat Mitglieder aus verschiedenen Leipziger Universitäten und Hochschulen. Sie setzt sich gemeinsam mit ähnlichen Gruppen anderer deutscher und österreichischer Hochschulen für Solidarität mit Palästinenser*innen und einen dauerhaften Waffenstillstand in Gaza ein. Die Sprecherin klagt nicht nur die Zerstörung des Bildungssystems in Gaza an, sondern auch die Diskrimierung, die palästinensische und Palästina-solidarische Studierende ihrer Aussage nach an deutschen Universitäten erfahren. Sie bezeichnet es als Diffamierung, dass ihre Positionen pauschal als antisemitisch verurteilt würden, und sieht die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland eingeschränkt.

    Die Flaggen Palästinas und Südafrikas auf der Kundgebung.

    Die Flaggen Palästinas und Südafrikas auf der Kundgebung. (Foto: emg)

    Warten auf Greta

    Nach über einer Stunde mit Redebeiträgen geht Unruhe durch die Menge. Pressefotograf*innen und Privatpersonen drängeln sich in die erste Reihe, um ein gutes Foto zu bekommen. Und dann steht sie vor uns, der Promi-Gast des Abends: Greta Thunberg. Klein und unscheinbar, mit palästinensischer Kufiya um den Hals, verschwindet sie fast in der Menge. Ihr Redebeitrag ist kurz genug, um ihn vollständig zu zitieren.

    Niemand darf schweigen“, beginnt sie. „Niemand darf schweigen, während ein Völkermord geschieht und Menschen die grundlegendsten Bedürfnisse verweigert werden. Wir müssen immer aufstehen und uns aussprechen gegen Unterdrückung, gegen Imperialismus, gegen Krieg und gegen Diskriminierung und Rassismus in allen Formen. An der Seite Palästinas zu stehen bedeutet menschlich zu sein. Wir dürfen uns nicht zum Schweigen bringen lassen. Also danke, dass ihr hier seid, und danke, dass ihr weiterhin protestiert, euch zu Wort meldet, boykottiert und alles tut, was ihr könnt, um eure Stimme für Palästina zu erheben.“ (ursprünglich auf Englisch, Übersetzung des Autors)

    Danach skandiert die Menge die Parole, die Thunberg schon bei vorherigen Veranstaltungen vertreten hat: „No climate justice on occupied land“ („Keine Klimagerechtigkeit auf besetztem Land“). Damit ist Israels Besetzung der palästinensischen Gebiete gemeint.

    Schlechtes Klima

    Bald nach der Kundgebung erschienen die ersten Artikel, die kritisch über Thunbergs Teilnahme berichteten. Gegenstand der Kritik war unter anderem die organisierende Gruppe. Handala Leipzig distanziert sich auf seiner Webseite von Antisemitismus und der Gleichsetzung des Staates Israel mit Jüd*innen, wird aber von Kritikern als antisemitisch bezeichnet und soll einigen Medienberichten zufolge den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober befürwortet haben. Einige Artikel verwiesen auch darauf, dass fast zeitgleich eine Klima-Demo in Leipzig stattgefunden hatte, an der Thunberg nicht teilnahm.

    Thunbergs Erscheinen in Leipzig war zwar überraschend, ihre Position und die Kritik daran sind es jedoch nicht. Bekannt ist Thunberg, jetzt 21, als Gesicht der internationalen Klimaschutz-Bewegung, insbesondere als Inspiration von „Fridays For Future“ (FFF). Schon oft zog sie mit ihrer kompromisslosen Art Kritik auf sich, allerdings hauptsächlich aus dem konservativen und rechten Spektrum. Das tat ihrem Status als Klimaschutz-Ikone keinen Abbruch, wohl eher im Gegenteil. Doch seit einigen Monaten kommt auch Kritik aus den eigenen Reihen.

    Fridays for Future spaltet sich. (Foto: Pixabay)

    Seit dem 20. Oktober 2023 rief Thunberg wiederholt auf Veranstaltungen und sozialen Medien zur Solidarität mit Gaza auf und warf Israel Völkermord vor. Dafür wurde sie von vielen Seiten kritisiert, insbesondere in Deutschland und Israel. Israel weist die Anschuldigung des Genozids grundsätzlich zurück und begründet seinen Militäreinsatz mit Selbstverteidigung gegen die Hamas.

    Thunberg wurde in Folge vorgeworfen, den Angriff der Hamas auf Israel nicht ausreichend verurteilt zu haben, zu wenig Solidarität mit Jüd*innen zu zeigen, den Konflikt einseitig zu sehen sowie die Klimabewegung politisch zu instrumentalisieren. Volker Beck, ehemaliger Grünen-Abgeordneter und jetzt Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, erklärte, Thunberg sei von nun an „hauptberuflich Israelhasserin“, und rief das Ende von „Fridays for Future“ aus. Ähnlich kritisierten viele deutsche Politiker*innen und Klima-Aktivist*innen. Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang nannte Thunbergs Aussagen „absolut unanständig“, sie missbrauche die Klimabewegung für ihre Positionierung zum Nahost-Konflikt. Der deutsche Ableger von Fridays For Future distanzierte sich deshalb von Thunberg und der internationalen Bewegung. Luisa Neubauer, ein bekanntes Gesicht der deutschen Klimabewegung, zeigte sich enttäuscht von Thunberg und bekräftigte ihre Unterstützung für Israel. Ein weiterer Kritikpunkt war ein inzwischen gelöschter (und nicht von Thunberg verfasster) Instagram-Post auf dem internationalen FFF-Account. Der Post schrieb westlichen Medien „Brainwashing“ mit Bezug auf Israel zu und wurde deshalb als antisemitisch eingeordnet. Auch die österreichische FFF-Bewegung distanzierte sich. Die Distanzierung bedeutet das vorläufige Ende der Zusammenarbeit von FFF Deutschland und Österreich mit internationalen FFF-Gruppen.

    Als Reaktion auf die Kritiken veröffentlichte Greta Thunberg gemeinsam mit anderen Aktivist*innen von FFF Schweden einen Meinungsartikel, in dem sie ihre Position klarstellen. Die Klimabewegung sei schon immer eine politische Bewegung für Gerechtigkeit gewesen. FFF sei gegen jede Form von Diskriminierung, inklusive Antisemitismus und Islamophobie. Sie betonen, man müsse zwischen Hamas, Muslim*innen und Palästinenser*innen sowie zwischen dem Staat Israel, Jüd*innen und Israelis unterscheiden. Die Lage in Gaza bezeichnen sie unter Berufung auf internationale Expert*innen weiterhin als Völkermord und fordern ein Ende der Gewalt.

    International betrachtet vertritt Thunberg keine seltene Meinung. Beispielsweise stimmte die Mehrheit der Länder in der UN-Versammlung am 12. Dezember 2023 für eine Waffenruhe in Gaza, darunter auch Thunbergs Heimatland Schweden. Der Vorwurf des Genozids wird im Internationalen Gerichtshof behandelt. Und auf den Straßen der Welt haben seit Beginn des Krieges tausende pro-palästinensische Proteste stattgefunden, weitaus mehr als pro-israelische. In Deutschland mag Greta Thunberg sich mit ihrer Positionierung weitgehend isolieren, aber global ist sie damit nicht alleine.

    Der Auftritt in Leipzig zeigt, dass weder Kritik noch die Spaltung der Klimabewegung sie von ihrer Position abbringen können. Das sollte eigentlich nicht überraschen. Greta Thunbergs Bekanntheit beruht auf ihrem kompromisslosen Auftreten. Und kompromisslos bleibt sie.

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