Liebeskummer ist kein Schnupfen
Kolumnist Eliah plädiert dafür, ein normales Gefühl ernst zu nehmen.
Eins meiner Laster sind Psychologie-Podcasts. Es gibt kaum eine bessere Hintergrundbeschallung beim Putzen und Aufräumen. Unter anderem höre ich relativ regelmäßig den Podcast „Psychologie to go“, in dem eine Psychotherapeutin über verschiedene Themen aus ihrer Arbeit berichtet. Neulich brachte sie eine Folge namens „Liebeskummer überwinden“ heraus. Beim Hören habe ich mir gewünscht, ich hätte sie schon vor einem Jahr gehört – nicht, weil die Tipps so hilfreich waren, sondern weil ich früher erfahren hätte, dass alles, was ich gefühlt habe, normal war.
Ich habe damals nicht verstanden, wieso es mir so schlecht ging, es war ja „nur Liebeskummer“. Schon das Wort klingt so lächerlich. „Liebeskummer“. Das klingt nach Teenager-Tagebuch, Popsongs und Doktor Sommer. Das psychische Äquivalent von „Schnupfen“. Etwas, wo Oma sagt: hat jeder mal, geht vorbei. Direkt nach der Trennung fühlt man sich noch gerechtfertigt, wenn man sich bei Freund*innen ausheult und ständig darüber redet. Aber nach ein paar Wochen will es niemand mehr hören, auch man selbst nicht. Nun waren bei mir schon Wochen und Monate vergangen. Trotzdem wollte es nicht weggehen. Ständig drehten sich meine Gedanken und mein Befinden um ein schwarzes Loch in Form der Person, die ich verloren hatte.
Das kann doch nicht normal sein, dachte ich, das ist schon irgendwie pathologisch. Meine einzigen Bezugspunkte für diese Gefühle kamen aus der Kunst, die nicht gerade für ihre emotionale Mäßigung bekannt ist – vor allem tragische Liebeslieder (die gesamte Diskografie von The National) und Literatur (das gesamte Werkverzeichnis von Elif Batuman). Das hat zwar geholfen, aber ich habe mich oft sehr dramatisch gefühlt. War ich jetzt wie der junge Werther oder was?
Selbst in unserer durchtherapierten Mental-Health-Awareness-Gesellschaft wird das Thema „Liebeskummer“ den Dramen überlassen und sonst kaum ernst genommen, so kommt es mir zumindest vor. Dabei ist es ein psychischer Zustand, der statistisch zwar gewöhnlich, aber ungewöhnlich schmerzhaft ist. Symptome: niedergeschlagene Stimmung, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit, kreisende Gedanken, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, pessimistische Zukunftsperspektiven, Schlafstörungen, verminderter Appetit, körperliche Schmerzen. Differentialdiagnose: Depression, Anpassungsstörung, komplizierte Trauer.
Liebeskummer ist ein psychischer Ausnahmezustand. Pathologisch – ja, in dem Sinne, dass er psychischen Krankheiten ähneln kann. Selbst sonst völlig gesunde Menschen entwickeln auf einmal komplett dysfunktionale Gefühle und Verhaltensweisen. Es ist eben keine Kleinigkeit, sondern ein tiefer Einschnitt. Mehrere Grundbedürfnisse fallen auf einmal weg, man erfährt eine der tiefstmöglichen Zurückweisungen, verliert den Teil des Lebens, der mit dem*der Ex verbunden war, muss die Zukunft neu denken, verliert möglicherweise gemeinsame Freund*innen, und so weiter. Die Liste der Konsequenzen ist lang. Aus dieser Mischung entstehen komplizierte, schmerzhafte Gefühle: Trauer, Sehnsucht, Schuldgefühle, Demütigung, Wut (auf die andere Person und sich selbst), Pessimismus – um nur einige zu nennen.
Psychischer Ausnahmezustand bedeutet auch verzerrte Weltwahrnehmung. Auf keinen Fall sollte man dem glauben, was man da fühlt. In den Tiefen des Liebeskummers gibt es in der Regel zwei Optionen: 1) dein*e Ex ist der schlimmste Mensch auf der Welt, 2) dein*e Ex ist der beste Mensch auf der Welt und du hast ihn*sie verloren, weil du der schlimmste Mensch auf der Welt bist. Oft muss man sich jedoch mit genug Abstand eingestehen, dass es in der verflossenen Beziehung keinen Bösen oder „toxischen“ Partner gab. Meistens sind beide normale Menschen mit normalen Fehlern, die einiges falsch gemacht haben bei dem Versuch, alles richtig zu machen.
Das ist manchmal schwer zu verstehen, vor allem inmitten der intensiven Gefühle – wenn es so wehtut, muss doch jemand schuld daran sein. Auch das ist die Tragik des Liebeskummers: Dass Menschen einander derart tiefgehende Schmerzen zufügen können, ohne dass jemand wirklich etwas falsch gemacht hat.
Ich will übrigens auf keinen Fall sagen, dass sich diese Gefühle auf romantische Beziehungen beschränken. Freundschaftliche oder familiäre Trennungen können genauso wehtun. In der besagten Trennung habe ich um den Verlust der Freundschaft am meisten getrauert.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden die meisten, die das hier lesen, selbst mal Liebeskummer erleben, schon erlebt haben und/oder nahestehende Personen dabei unterstützen müssen. Ich bereue, dass ich früher nicht mehr Verständnis hatte – für mich selbst und für andere mit Liebeskummer. Deshalb meine Empfehlung: Wenn es dazu kommt, nimm es ernst als das schwerwiegende Erlebnis, das es ist. Gib dir selbst oder der leidenden Person den Raum dafür, es auszudrücken und zu fühlen, statt es abzutun. Lass dich also davon abhalten (beziehungsweise halte die andere Person davon ab), aus dem Gefühl heraus Entscheidungen zu treffen. Und schließlich: Oma hatte Recht, es geht wirklich vorbei.
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