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    Gedanken über den Tod bereiten oft Unbehagen. Doch sie lehren uns auch, was das Leben eigentlich bedeutet, findet Kolumnist Eric.

    Ein Blumentopf brachte mich zum Nachdenken.  

    Es war ein verdammt windiger Tag und ich ging spazieren. Wie ich es immer mache: keine Kopfhörer in den Ohren, Hände in den Hosentaschen versteckt. Routine ist Routine, egal, was der Wetterbericht sagt. Also ging ich meines Weges, schnaufend gegen den Wind ankämpfend. Teils musste ich aufpassen, dass ich nicht auf die Straße geweht werde, bin eher der Typ Fliegengewicht. Meine Mütze verschwand schon bald in der Jackentasche, wurde sie mir doch beinahe vom Kopf geblasen. Viele Menschen waren nicht anzutreffen, ein paar schoben missmutig ihr Fahrrad ohne E-Antrieb.  Zugegeben: Es gab schon bessere Tage für einen kleinen Spaziergang. Doch einfach in der Wohnung auszuharren ist für mich keine Option. Und man bekommt den Kopf frei. So frei, dass man gerne seine Umgebung ausblendet und jeder Schritt rein aus Gewohnheit erfolgt.  

    Meistens gehe ich die identische Runde. Jeder Wechsel der Straßenseite ist koordiniert. Doch manchmal weiche ich vom bewährten Muster ab, biege in eine andere Straße ab oder fange die Runde im Park von der entgegengesetzten Richtung an. So auch an diesem Tag, an dem ich eine Kreuzung früher die Straßenseite wechselte. Das war kein Instinkt, sondern eine willkürliche Entscheidung – eine Entscheidung, der ich wahrscheinlich mein Leben verdanke. Denn als ich schon in Gedanken beim Mittagessen war, ließ mich ein lautes Krachen aufschrecken. Auf der anderen Straßenseite, ziemlich auf meiner Höhe, war das reinste Chaos vorzufinden. Habe ich zu Beginn noch von einem Blumentopf gesprochen, war ich wohl etwas unpräzise. Dem Laut nach zu urteilen, muss ein kompletter Balkonkasten von größerer Höhe gefallen sein. Groß und mörderisch schwer. Viel Erde, aber keine Blumen. Der Wind war zu stark. Ohne den verfrühten Seitenwechsel würde dort wahrscheinlich mehr als nur Erde und Scherben liegen, denn ich bin mir ziemlich sicher: Der Kasten hätte mich endgültig k.o. geschlagen. Die Grenze zwischen Leben und Tod ist oft schneller überschritten, als einem lieb sein kann.  

    Danach wäre ich am liebsten direkt auf der Straße außer Reichweite der Wohnblocks gegangen, der Autoverkehr machte dem leider einen Strich durch die Rechnung. Auch die Bäume am Wegesrand betrachtete ich nun mit Misstrauen, könnte doch in jedem Moment einen Ast auf mich zufliegen. Um jedoch klarzustellen: Ich laufe seitdem nicht durchgängig mit einem Helm durch die Gegend. Auch einen selbstgebastelten Schutzanzug aus Kissen besitze ich (noch) nicht. Ich werde weiterhin spazieren gehen, Sport im Freien machen, mich ab und zu auch mal ins Auto setzen oder andere Risiken in Kauf nehmen. Mit manchen Unwägbarkeiten lohnt es sich zu leben, mit anderen muss man leben.  

    Eric B. mit Helm

    Ein Helm ist noch keine Lebensversicherung. Foto: privat

    Doch dieses Erlebnis – welches unspektakulärer war, als es klingt – katapultierte mal wieder einen Gedanken in meinen Kopf, den ich vor lauter Klausuren, Hausarbeiten und Terminen ganz verdrängt hatte: Der Gedanke über die Endlichkeit des Lebens. Wenn mein Geist Raum und Zeit hat, kommen mir diese Gedanken öfter. Dabei ist es nicht unbedingt mein Tod, um den es geht. Vielmehr ist es die Ungewissheit, wenn Menschen, die mir unendlich viel bedeuten, plötzlich weg sind. Es sind die Momente, in denen ich nachts wach liege und schweigend ein paar Tränen verliere. Dann quälen mich unzählige Fragen. Habe ich der Person alles gesagt? Ihr genug Liebe gegeben? Ihr Zeit geschenkt? Meistens ist die Antwort nein.  

    Ich bin eine ehrgeizige Person, ständig auf dem Weg, sich selbst zu verbessern. Das ist nicht immer gut, kann sogar toxisch sein. Oft bin ich ein grauer Mann auf der Suche nach der Zeit. Ich mache mir viel Druck. Mein Leben braucht einen Plan. Was ich dabei zu gerne vergesse: Manche Dinge kann man nicht planen. Besser gesagt: Das Leben ist nicht planbar. Ein plötzlicher Unfall, eine Krankheit oder einfach nur eine kleine Verletzung können unseren Alltag mächtig durcheinanderwirbeln. Und manchmal spielt das Schicksal die Karte mit dem Sensenmann. Aus und vorbei, ein Leben weniger, andere Menschen erblicken das Licht der Welt – der Kreislauf des Lebens geht weiter. Es werden nie alle eine großartige Karriere haben, ein sorgloses Leben führen oder sich jeden Traum erfüllen. Das Leben schuldet uns nichts – egal, wie hart wir arbeiten. Es mag manchmal ungerecht erscheinen, wenn manchen Menschen das Glück vor die Füße fällt. Können wir daran etwas ändern? Eher nicht. Sollten wir dennoch unser Bestes geben? Auf jeden Fall! Dazu gehört, den Menschen, den man begegnet, ein Lächeln zu schenken. Die volle Aufmerksamkeit dem Gespräch zu widmen, welches man gerade führt. Die Welt mit dem eigenen Tun ein wenig besser zu machen. Ein Mensch zu sein.  

    Früher konnte ich den Tod und das Sterben nie wirklich verstehen. Warum kann man nicht ewig leben? Und warum altern Menschen? Das Leben des Peter Pan war meine Wunschvorstellung. Doch irgendwann macht man die ersten Erfahrungen mit der Endlichkeit des Lebens und realisiert, dass man nicht nur auf Wolke sieben tanzen kann. Dass es nicht nur Spiel und Spaß, sondern auch Tränen und Trauer gibt. Dann wird man das erste Mal ein wenig erwachsen.   

    Heute finde ich den Tod in irgendeiner Art und Weise tröstlich. Nicht in dem Sinne, dass ich dem Ende irgendwie herbeisehne. Dafür habe ich noch zu wenig von der Welt gesehen. Doch über den Tod nachzudenken heißt, Demut zu lernen. Er hilft uns, Dinge besser einzuordnen. Wenn ich mal wieder innerlich alles verfluche, rufe ich mir immer wieder in Erinnerung, dass die Zeit eigentlich viel zu kurz ist, um sich aufzuregen. Das gelingt mir nicht immer, doch ich arbeite daran.  

    Das Nachdenken über den Tod ist unser Boxenstopp, in dem wir einen Schritt zurücktreten. Wo wir uns fragen können: Ist es das Richtige, was ich tue? Bin ich überhaupt glücklich mit meinem Leben oder würde ich am Morgen am liebsten gar nicht aufstehen? Nehme ich nur oder gebe ich auch? Was würde mein kindliches Ich über mich denken? Man sollte nie die Weisheit der Kinder unterschätzen – oft verstehen sie das Leben besser als der erwachsene Mensch.  

    Doch vor allem ist das Leben erst schön, wenn wir wissen, dass es auch ein Ende hat. Dann ist jeder Moment kostbar. Spaß am Leben ist der zuverlässigste Selbstschutz, den es gibt. Und manchmal hilft auch ein Blick nach oben. Schließlich weiß man nie, was noch so vom Himmel fällt.  

     

    Titelbild: Pixabay

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