Nachspielzeit für Frauen
Trotz des sportpolitischen Frühstarts von Männern, ist von ihnen in der Leipziger Sportsbar „Das Netz“ keine Spur. Mitschauen dürfen alle, gezeigt wird aber nur Frauensport.
Alkoholfreie Spirituosen und Longdrinks nehmen den Großteil der Karte ein. Es gibt Veggie-Hotdogs in zwei Varianten, Kaffee, Mochi-Brownies aus glutenfreiem Reismehl. An der Wand gegenüber vom Tresen lädt ein Plakat zum FLINTA* Boulderabend anlässlich des feministischen Kampftages ein und in der Toilette weisen Schilder auf die Awareness-Strategie hin. „Das Netz“ ist Deutschlands erste FLINTA* Sportsbar. Der PopUp-Store hat im vergangenen Januar in Leipzig sein Debut gefeiert. Weil professionalisierter Sport weitestgehend binär organisiert ist, wird in der Bar ausschließlich Frauensport gestreamt.
Jule Eretier hat das Projekt gestartet, um einen Schutzraum für FLINTA* Personen zum kollektiven Sportschauen zu schaffen und ein queer-freundliches Arbeitsumfeld zu gestalten. In den ersten Wochen des Barbetriebs hatte Jule noch Unterstützung, führt den Laden nun aber allein. Privat hat sich Jule schon durch Ballett, Handball, Yoga, Volleyball und Muay Thai durchgeturnt. Zum Fußballspielen habe Jule selbst kein Talent, aber schaue sich die Spiele gern an. Insgesamt zeigt Jule sich „total zufrieden“ mit der Umsetzung der Projektidee. Die Gäste würden sich im „Netz“ wohlfühlen, sagt Jule. Manche hätten Programmwünsche geäußert, zum Beispiel Basketball und Biathlon. Das Vorhaben trägt sich finanziell allerdings noch nicht selbst. „Wahrscheinlich brauche ich einen langen Atem“, sagt Jule. Vor allem die Streaming-Gebühren seien nicht zu unterschätzen. Weil der Laden aus Kapazitätsgründen nur einmal wöchentlich öffnet, lassen sie sich schwer refinanzieren.
In den USA gibt es das Veranstaltungsformat schon seit April 2022. „The Sportsbra“ heißt das Lokal aus Portland, das in verschiedenen Medien als erste Bar gehandelt wird, die ausschließlich Frauensport zeigt. In Deutschland sei „Das Netz“ jedoch die erste Bar dieser Art, erzählt Jule, und vermutet, das könnte daran liegen, dass die deutsche Sportkultur insgesamt anders sei als in den USA. Hier sei eine große Diskrepanz in der Popularität von Fußball gegenüber anderen Sportarten die Normalität, und Frauensport würde dem noch weiter untergeordnet wahrgenommen.
Impulsbewegungen zum Ausgleich dieses Sichtbarkeitsgefälles lassen sich allerdings auch anderorts wahrnehmen. Im März 2023 wurde mit DAZN RISE der erste Sender im deutschsprachigen Raum verfügbar, in dem es nur Frauensport zu sehen gibt. DAZN-Media-Chef Haruka Gruber bestätigte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die Nachfrage nach Übertragungen von Frauensport-Events groß genug sei, um ihnen einen eigenen Kanal zu widmen. Bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 werden erstmals gleichviele weibliche und männliche Sportler*innen antreten. In Führungspositionen, als Schiedsrichterinnen und Trainerinnen sind Frauen nach eigenen Angaben des International Olympic Committee jedoch immer noch stark unterrepräsentiert – in Tokio 2020 wären lediglich 13 Prozent der Trainer*innen weiblich gewesen. Bis 2024 solle die Förderung von 100 Trainerinnen, finanziert von Olympic Solidarity, gewährleistet werden.
Man kann fragen, inwiefern Millionengehälter im Sport gerechtfertigt sind. Eindeutig ist jedenfalls, dass unter dem Strich immer noch eine drastische geschlechtsbezogene Ungleichverteilung von Ressourcen in der Sportindustrie steht. Damit hinkt auch die Chancengleichheit. Der teuerste Spieler der Männerfußball-Bundesliga der aktuellen Saison ist Harry Kane, der mit einem Jahresgehalt von etwa 25 Millionen Euro und einer Ablösesumme von rund 100 Millionen Euro zum FC Bayern München wechselte. Die Gehälter in den Fußballligen der Frauen erreichen diese Dimensionen nicht. 2022 sprach sich die Nationalspielerin Lina Magull für Mindestgehälter von 2.000 bis 3.000 Euro monatlich aus, damit sich alle Spielerinnen der ersten und zweiten die Professionalisierung und volle Konzentration auf ihren Sport leisten könnten. In einer nicht repräsentativen Sportschau-Umfrage, deren Ergebnisse im Juli 2023 veröffentlicht wurden, gaben rund ein Viertel der teilnehmenden Spielerinnen aus den beiden oberen Ligen an, überhaupt kein Geld zu verdienen.
Da Männer bereits länger im Sponsoring-Zirkel trainieren, ist nicht überraschend, dass ihre Strukturen reifer und reicher sind als die der Frauen. Mit zunehmender medialer Übertragung von Events wird der Sport attraktiver für Marken. Deshalb kann Frauensportstreaming wirken, um das Gefälle auszugleichen. Vielleicht wechselt in der Frauenbundesliga bald die erste Million den Besitzer. Lena Oberdorf wechselte zuletzt für 450.000 Euro Ablöse zum FC Bayern München, verdient selbst laut Schätzungen der Bild 240.000 Euro und ist damit die bisher kostspieligste deutsche Bundesligaspielerin.
Die Frauenfußball-Bundesliga gibt es heute auch im „Netz“. Es ist ein ruhiger Abend, die Gäste kleckern in den Laden, als der Anpfiff an diesem 13. Spieltag näher rückt. Konstant summen leise Gespräche, während das Frauenbundesligaspiel an Fahrt zunimmt. „Hä? Nee, das kann doch nicht sein.“, ruft eine Stimme zum 1:0 von Leverkusen in der achtzehnten Minute durch den Raum. Kurz darauf wird das Tor zurückgenommen, es handelte sich um ein Abseits. Der Endstand ist ein 2:1 für die Spielerinnen des Bayer 04 Leverkusen, der auch in der Tabelle vor dem 1. FC Nürnberg rangiert. „Fußball kommt immer an“, sagt Jule. Doch unklar ist noch, ob das Netz und Leipzig im Moment und langfristig bereit füreinander sind. Möglich wäre auch ein Standortwechsel in Zukunft. Planmäßig öffnet die FLINTA Sportsbar aber noch bis Mitte April montags in der Markranstädter Straße, in denselben Räumen, in denen auch das Café zum Samstagsmarkt stattfindet. Auf dem Programm der kommenden Wochen stehen unter anderem eine Lesung, ein Filmscreening sowie Ende März eine Ausstellung illustrativer Arbeiten mit Sportbezug.
Titelbild: Christoffer Borg Mattisson; Pixabay; Fotos: Caroline Tennert
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