Unvorbereitet ins Leben
Kolumnist*in Jo schreibt über das Erwachsenwerden, durchgemachte Nächte und Tage, die vorbei sind, ehe sie begonnen haben.
Als Kind konnte ich es nicht erwarten, so schnell wie möglich erwachsen zu werden. Denn als Erwachsener kannst du so lange aufbleiben und Fernsehen, wie du willst. Du kannst – im rechtlichen Rahmen – tun und lassen was du möchtest. Du bist im Prinzip ein großes Kind mit mehr Rechten. Und jetzt frage ich mich, warum ich das unbedingt wollte. Meine heutige Sicht auf das Erwachsensein hat nichts mehr mit meiner kindlichen Idealvorstellung gemein.
Natürlich kannst du jetzt so lang aufbleiben, wie du willst. Du kannst ganze Nächte durchmachen, dich tagelang von Chips und Cola ernähren oder einen spontanen Roadtrip zu weit entfernt wohnenden Freunden starten. Alles, was du als Kind wolltest, aber deine Eltern dir nicht erlaubt haben. Aber willst du das wirklich?
Insbesondere nach meinem Umzug nach Leipzig war mein erstes Problem, mir einen eigenständigen Alltag aufzubauen. Klar zwingt dich niemand, insbesondere als Student*in, um sechs Uhr morgens aufzustehen. Natürlich kannst du den Wecker ignorieren, liegen bleiben und weiterschlafen. Aber tut dir das wirklich gut? Mir jedenfalls nicht. Auch wenn es sich für einen kurzen Moment verdammt richtig anfühlt. Spätestens wenn du um 15 Uhr unter der Dusche stehst und der erste Kaffee des Tages vor sich hin köchelt, kommt die Realisation, dass der Tag vorbei ist, bevor er für dich überhaupt begonnen hat. Und solche „Tage“ hatte ich in der Anfangszeit sehr oft. Ich musste erstmal lernen, Verantwortung für mein eigenes Leben zu übernehmen. Selbst dafür zu sorgen, dass der Kühlschrank gefüllt, mein Zimmer aufgeräumt und das Bad geputzt ist. Ich musste erstmal lernen, erwachsen zu sein.
Dabei stehe ich mir oft selbst im Weg. Ich hadere damit, Entscheidungen zu treffen. Schiebe sie auf. Versuche alles, um sie nicht treffen zu müssen. Aus Angst sie nicht mehr rückgängig machen zu können. Aus Angst vor den Konsequenzen. Könnten sie sich doch im Nachhinein als falsch herausstellen. Und selbst wenn ich dann eine Entscheidung getroffen habe, zerdenke ich sie bis von ihr nichts als Selbstzweifel übrig sind. War es richtig, mein Studium abzubrechen? Hätte ich einfach weitermachen sollen? Wäre ich dann an den Prüfungen gescheitert? Was ist, wenn mir mein neuer Studiengang auch nicht gefällt? Werde ich nie etwas fertigstellen?
In solchen Momenten kommt der Wunsch in mir auf, wieder ein Kind sein zu können. Ein verantwortungsfreieres Leben zu führen. Mit Eltern, die alles Wichtige für mich entscheiden. Das ist mindestens genauso verklärend wie mein kindliches Bild vom Erwachsensein.
Ich fühle mich überfordert und hilflos. Unvorbereitet ins Leben entlassen. Ich versinke in der Prokrastination, bleibe bis 15 Uhr im Bett liegen, koche mir dann den ersten Kaffee des Tages und verfluche mich für meine Inkonsequenz und meine Unfähigkeit, kleinste Routinen länger als ein paar Tage durchzuziehen. Eine wirkliche Lösung habe ich noch nicht gefunden. Und so bleibt mir nur der Versuch, es immer wieder zu probieren.
Fotos: privat
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