Und was ist ein hässliches Ausländerkind?
Toxische Pommes erzählt in ihrem Debütoman „Ein schönes Ausländerkind“ die Geschichte einer Tochter, deren Eltern versuchen, ihren Platz in Österreich zu finden, und sich dabei selbst verlieren.
Ein Kleinkind und ihre Eltern in Kroatien: Eigentlich mögen sie ihr Leben dort, wären da nicht die Anfeindungen, die Gewalt, der Krieg. Wäre da nicht das drohende „Ich werde alles umbringen, was nicht kroatisch ist“ im Fahrstuhl. Also beschließen die Eltern der Protagonistin — ursprünglich aus Montenegro und Serbien — kurzerhand, nach Österreich zu fliehen.
Die drei haben Glück: Sie können bei einer Familie in Wiener Neustadt unterkommen, bei der die Mutter putzen kann. Im Gegenzug dürfen sie in dem Haus nebenan wohnen, wenn auch unter Adlersaugen ihrer neuen „Tante Renate“. Wiener Neustadt ist zu ihrer Enttäuschung kein schöner Stadtteil Wiens, sondern eine kleine Stadt, die etwa 45 Minuten mit dem Auto von Wien entfernt liegt.
Ohne es zu wollen, wird der Vater nebenbei zum Hausmann. Während die Mutter immer mehr von Renate eingenommen wird und ihre Tochter sie kaum noch zu Gesicht bekommt, erhält er keine Arbeitserlaubnis. Also macht er das Essen, zeichnet für seine Tochter, spielt mit ihr und geht mit ihr schwimmen. Sie sind so etwas wie beste Freunde, jedenfalls bis die namenlose Protagonistin tagtäglich über ihren Hausaufgaben brütet und sich immer mehr von ihm abwendet.
Das Putzen macht bald den Großteil seines Tages aus, wird nicht nur gezwungenermaßen zu seiner Leidenschaft, sondern fast seine ganze Persönlichkeit. Obsessiv saugt und schrubbt er jeden Quadratmeter der Wohnung, beseitigt jedes kleinste Staubkorn. Während seine Frau und seine Tochter ihren Platz in Österreich zu finden scheinen, bleibt er auf der Strecke. „Je mehr ich mich in dieser Welt verwurzelte, desto mehr entwurzelte er sich aus allen anderen“, beschreibt die Protagonistin. Sie versteht ihn, gleichzeitig ist sie immer häufiger genervt von ihm.
Vorsichtig und voller Ambivalenz erzählt die namenlose Protagonistin so von ihrem Vater, der sie immer nur sine oder sinčić nennt. Übersetzt bedeutet das Sohn oder Söhnchen, meint aber kein ständiges „Ich hätte lieber einen Sohn“, obwohl das die Protagonisten manchmal heimlich vermutet. Auch einen Nachnamen der Familie erfährt man als Leser*in nicht, es ist lediglich von „Familie x“ die Rede.
Eine weitere Besonderheit: Wenn die Familie sich unterhält oder überhaupt wenn B/K/M/S (Bosnisch, Kroatisch, Montenegrinisch, Serbisch) gesprochen wird, wird dies auch wirklich in dieser Sprache geschrieben und in Klammern auf Deutsch übersetzt. Alles Andere sei doch unauthentisch, sagt die Autorin selbst, als sie in einem Interview auf der Leipziger Buchmesse zu dieser Entscheidung befragt wird. Es macht die Unterhaltungen nicht nur authentischer, sondern gleichzeitig auch intimer, indem Leser*innen, die die Sprache nicht beherrschen, auf die Übersetzung angewiesen sind und nicht die Gespräche der Einfachheit halber gleich auf Deutsch formuliert werden. Das Deutsche ist ein Zusatz in Klammern und nicht andersherum.
Toxische Pommes, die unter diesem Pseudonym vor allem auf TikTok aktiv ist, beschreibt zwischen humorvollen Alltagsbeobachtungen die Ungerechtigkeit und Zerrissenheit der Familie. Dies schafft sie mit nachvollziehbaren Dialogen, gut beschriebenen Familiendynamiken und nuancierten Beschreibungen. Die Protagonistin versucht das Unverständliche in Worte zu fassen, während ihr Vater mit der Sprache ringt. Sie versucht perfekt zu sein, optimal integriert, die Beste in der Schule — und doch beneidet sie ihre Eltern teilweise um deren altes Leben, in dem sie immerhin einmal wussten, wer sie in dieser Welt waren. „Obwohl ihre Namen bald nicht mehr aus Buchstaben, sondern aus Sonderzeichen bestehen würden, wussten sie damals dennoch, wer sie sind. Oder zumindest, wer sie bis zu diesem Zeitpunkt gewesen waren.“
Dabei wirft Toxische Pommes nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz direkt die Frage nach einem „hässlichen Ausländerkind“ auf. Kritisiert, dass wir zwischen schönen und hässlichen Migrant*innen unterscheiden und wieso das ihrer Meinung nach Unsinn ist. Protagonistin und Autorin verschwimmen nicht nur hier, wie einem als Leser*in am Ende klar wird. Auch der Gegensatz zwischen der Protagonistin und ihrem Vater — der nicht arbeiten darf, Zuhause bleibt — bringt diese Frage immer wieder hervor. Wieso unterteilen wir Geflüchtete in gut und schlecht, in schöne und hässliche Ausländerkinder? Vielleicht kann das Buch diese Frage nicht vollständig beantworten, aber es lässt uns definitiv stärker darüber nachdenken.
Grafik: Sara Wolkers
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