Diskrepante Drogenkultur
Die Cannabis-Legalisierung ist da, viele sind damit unzufrieden. Zu hoch sei das Risiko. Kolumnist Maurice fragt sich, ob unser Umgang mit anderen, bereits legalen Drogen nicht auch schädlich ist.
Es ist letzten Endes also doch legal geworden. Ich persönlich hatte fast nicht mehr daran geglaubt. Zu verfahren war die Debatte und zu festgesessen die Meinungen. Cannabis: Teufelskraut! Ganz vorne an der Front im Kampf gegen das ‚unbekannte Unkraut‘ war der bayrische Ministerpräsident und Internetstar Markus Söder. „Keine Macht den Drogen!“, schrieb er am Tag, an dem im Bundesrat eine weitere Verzögerung des Gesetzes scheiterte, auf der Plattform X. Der gleiche Post nochmal am ersten April. Das erscheint einem wie ein Aprilscherz, betrachtet man seinen Beitrag zuvor, mit einer Maß in der Hand beim Volksfest in Augsburg.
Die Doppelmoral im Umgang mit Alkohol im Vergleich zu Cannabis ist bereits oft genug diskutiert wurden. Jedoch ist mir erst letztens auf einer Familienfeier wieder bewusst geworden, wie früh Alkohol zugänglich ist. Ab 16 darf ich in den Supermarkt stratzen, mir drei Flaschen Wein mitnehmen und sie mir an der nächsten Grundschule reintrinken, bis die Lichter ausgehen. Gerede um Kulturgut hin oder her, wie ist das gerechtfertigt?
Meine Antwort: Ist es nicht. Mit durchschnittlich 14,1 Jahren laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist das Alter für das erste Glas Alkohol viel zu gering. In dem Alter lässt sich der Konsum kaum richtig einordnen. Alle trinken es, kann also nicht schädlich sein. Zack! Schon hat man vier Gläser Sekt weg bei einer Hochzeit. Ich komme aus einer Kleinstadt. Schulische ‚Prävention‘ kam bei uns erst lange nach den ersten Sixpacks am See. Da hatte ich bereits Schulkameraden volltrunken am Boden gesehen und mich auch schon ein ums andere Mal dazugelegt. Und mit Blick darauf, wer von meinen alten Bekannten später in die Abhängigkeit weit gefährlicherer Stoffe verfiel, erscheint mir Alkohol als die eigentliche Einstiegsdroge. Man ist jung, man ist dumm, und wenn man nicht aufpasst, bleibt man auf dem Rausch hängen.
Aber Alkohol ist nicht die einzige Substanz, bei der der Umgang fragwürdig scheint. Wer die neue luhze-Ausgabe gelesen hat, erinnert sich vielleicht an das Interview mit den Cannabis Club-Gründern Sebastian und Tobias. Sie verwiesen auf einen Warenautomaten bei ihnen in der Straße, gegenüber einer Schule. Es war aber nicht irgendein Zigarettenautomat, das wäre zu naheliegend. Es war auch kein Kaugummiautomat, das wäre zu sinnvoll. Nein, an diesem Automaten sind legale Cannabinoide erhältlich. Wie ist das möglich? Nun ja, es handelt sich nicht um den vom Cannabisgesetz betroffen Wirkstoff THC, sondern um CBD und das halbsynthetische HHC. Letzteres wirkt ähnlich wie THC, ist aber um Längen nicht so gut erforscht. Trotzdem ist es (noch) frei erhältlich. THC allerdings, das natürliche Cannabinoid, dürfte weder gewerblich vertrieben, noch dort, gegenüber einer Schule, konsumiert werden. So steht es im neuen Gesetz. Jetzt frage ich mich, woher die elfjährige Schülerin auf der anderen Straßenseite weiß, ob ich einen Joint mit CBD oder mit THC rauche. Ist ja auch egal. Sie sieht ihren Vater, der mit Kippe im Mund am Auto auf sie wartet.
Söder und Co. geht es nicht um Gesundheits- und Jugendschutz, denn der kann nur bei gleicher Sichtbarkeit aller Substanzen stattfinden. Prävention läuft über Information. Worum es eigentlich geht, ist die politische Wirkmächtigkeit des Themas. Die Debatte ist Platzhalter für den weit größeren Wertekonflikt zwischen konservativen und progressiven Kräften. Bei der Polarisierung bleibt der Gesundheitsschutz jedoch auf der Strecke. Ja, Cannabis ist gefährlich. Genau deswegen soll ab jetzt die Abgabe kontrolliert erfolgen. Konsumierende brauchen alle nötigen Informationen, um vernünftig entscheiden zu können. Dieser Schritt war notwendig, um einen sichereren Zugang zu gewährleisten. Und es bräuchte woanders einen entgegengesetzten Schritt, der zum gleichen Ziel führt. Wir können nicht ein paar Drogen unbehelligt und unkommentiert konsumieren, während wir andere in stille Ecken verbannen und verteufeln.
Die Gesundheit und die Aufklärung, vor allem junger Menschen, müssen über den vermeintlichen kulturellen Werten alteingesessener Drogen stehen. Das Label der Legalität lässt einen Trugschluss zu, sodass länger etablierte Substanzen harmloser erscheinen. Fakt ist aber, alle Drogen bergen Risiken, keine Droge ist ‚besser‘ als eine andere. Alle Leute brauchen die Möglichkeit, sich zu informieren, bevor sie konsumieren.
Fotos: privat
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