Das Kommen eines Gottes
Seit Ende Februar läuft Dune Part Two in den Kinos. Der zweite Teil von Denis Villeneuves Dune Projekt hat sehr mit Frank Herberts Buchvorlage von 1965 zu kämpfen, ist aber trotzdem ein totales Brett.
Folgendes Review enthält Spoiler über Dune Part Two!
Im Dokumentarfilm über den allerersten Versuch, Frank Herberts Buch von 1965 zu verfilmen, sagte Alejandro Jodorowsky: „For me, Dune will be the coming of a god“. Jodorowsky sollte damals bei diesem allerersten Versuch Regie führen und hatte dabei allerhand absurde Vorstellungen, an denen das Projekt letztendlich scheiterte. Doch auch die einzige andere tatsächlich realisierte Adaptation für die große Leinwand, David Lynchs Dune von 1984, hatte mit Herberts Vorlage zu kämpfen und musste in etwa zwei Stunden schaffen, wofür sich Denis Villeneuve mit Dune Part One (2021) und Dune Part Two (2024) insgesamt über 300 Minuten Zeit nimmt. Und Doch! Obwohl man es vermutlich nicht besser machen kann als Denis Villeneuve, hat Dune Part Two ein paar Schwächen, die sich zumeist auf die Buchvorlage zurückführen lassen.
Die Buchvorlage schildert ein Szenario in der fernen Zukunft, in dem verschiedene Adelshäuser über die Galaxis herrschen. Die interstellare Raumfahrt ist nur möglich mit Hilfe der bewusstseinserweiternden Droge Spice, welche nur auf dem Wüstenplaneten Arrakis (auch Dune genannt) vorkommt. Paul Atreides, gespielt von Timothée Chalamet, ist zu Beginn von Dune Part Two zusammen mit seiner Mutter Lady Jessica der einzige Überlebende des Haus Atreides, welches durch eine Intrige des Imperators zuerst die Kontrolle über Arrakis erhielt und dann wieder an das verfeindete Haus der Harkonnens verloren hatte. In diesem Film arbeitet Paul mit den Fremen, den „Eingeborenen“ von Arrakis zusammen, um Rache für das abgeschlachtete Haus seines Vaters zu nehmen. Lady Jessica ist zudem Mitglied der Bene Gesserit, einem ausschließlich weiblichen Orden von Menschen mit außergewöhnlichen mentalen und physischen Fähigkeiten. Die Bene Gesserit haben auf Arrakis und auf anderen Planeten im Universum im Laufe der Jahrtausende eine Vielzahl von Prophezeiungen unter die Leute gebracht, und so glauben die Fremen, dass Paul ihr Retter und Erlöser ist. David Lynch hatte diese Fülle an Details und Verstrickungen 1984 noch mit Voiceover-Monologen gelöst. Wohingegen Vielleneuve das worldbuilding und mit show-through-tell vorantreibt.
Der Kritiker David Hain gab auf seinem Youtube-Kanal Behaind dem Film Dune Part Two ein Review von 3,5/5 Sternen: Die komplexe Charakterentwicklung von Paul Atreides oder die seiner Mutter Lady Jessica und allgemeiner das Vergehen der Zeit in der Narration seien in Dune Part Two nicht immer nachvollziehbar. Dies mag wahrscheinlich auch daran liegen, dass die Buchvorlage eine so große Zeitspanne umfasst, dass sie filmisch nur schwierig darzustellen ist.
Das wohl prominenteste Thema des Films, der Aufstieg von Paul Atreides zum fanatischen Anführer der Fremen, wird am Anfang immer wieder mit Humor verknüpft. So gibt es eine Szene, in der Pauls anfängliches Zögern und seine Ablehnung der Messias-Rolle von den Fremen als genau die Zeichen gewertet werden, dass Paul ihr Messias ist und die, wie David Hain richtig bemerkt, stark an Das Leben des Brian (1979) erinnert. „Only the true Messiah denies his divinity“, lautet ein Zitat aus Das Leben des Brian, aber sinngemäß und mit dem gleichen komischen Effekt findet es auch in Dune Part Two Verwendung. Auch wenn dies etwas unbeholfen wirkt, ist es doch eine willkommene Erfrischung in der sonst so düsteren und drückenden Atmosphäre des Wüstenplaneten Arrakis und führte darüber hinaus im Kinosaal zu einigen Lachern.
Oberflächliche Kritiken, die es leider oft auf Social Media gibt, wie zum Beispiel die, Dune sei eine „white savior story“, in der eine weiße Person einem Stamm von Eingeborenen hilft, deren Probleme zu lösen, funktionieren in Dune Part Two den Fokus auf dessen religiösen Fanatismus nicht mehr. Zwar passt Paul in die von den Bene Gesserit geflochtenen Prophezeiungen, weshalb die Fremen ihm größtenteils blind folgen, jedoch löst Paul nicht ihre Probleme, sondern zieht die Fremen mit sich in einen Heiligen Krieg. Nur Shani, gespielt von Zendaya, wendet sich nach der anfänglichen Romanze mit Paul (die im Film leider nicht wirklich viel Zeit bekommt,) von ihm ab und steht am Ende ganz allein da, wobei Denis Villeneuve mit ihrer Figur von der Buchvorlage abweicht, da sich Shani dort zufriedengibt, eine lediglich eine Mätresse von Paul zu werden.
Zendaya und auch der Rest der übrig gebliebenen Besetzung aus Dune Part One spielen weiterhin auf sehr hohem Niveau. Die prominenten Neuzugänge in Dune Part Two, Christopher Walken und Florence Pugh als Imperator Shaddam Corrino IV. und seine Tochter Prinzessin Irulan, haben nicht viel zu sagen. Das ist irgendwie ironisch, da Christopher Walken bereits im Jahr 2000 im Musikvideo zu Weapon of Choice von Fatboy Slim zu einem Sample aus David Lynchs Dune getanzt hat und dort gefühlt mehr screen time bekommen hat als in diesem Film. Villeneuves „weapon of choice“ ist Neuzugang Austin Butler als Feyd-Rautha Harkonnen, der hier eine gigantische Einführung seiner Figur in einer unglaublichen Gladiatorenkampf-Sequenz bekommt, die direkt den Albträumen von H. R. Giger entsprungen zu sein scheint. Mit seiner Reibeisenstimme, die er vermutlich noch Elvis (2022) zu verdanken hat, spielt Austin Butler die psychopathische Präsenz von Feyd-Rautha auf eine Weise, die noch lange in Erinnerung bleibt. Er wird als Antithese zu Paul Atreides konzipiert, doch gleichen sich ihre Pfade im Laufe des Films immer mehr aneinander an. Schließlich kreuzen sich ihre Messer in einem Endkampf, Paul als Vertreter eines galaktischen Dschihads, Feyd-Rautha als Vertreter des Imperialismus. Doch nur kurz nachdem Feyd-Rautha und mit ihm der Imperator besiegt sind, nimmt Paul seine Stelle ein. Herberts Lektion, dass Macht korrumpiert, wird dem Publikum an dieser Stelle von Villeneuve mit dem Vorschlaghammer eingedroschen. Durch die eben schon erwähnte künstlerische Abänderung wird die Figur der Shani zum moralischen Kompass des Publikums. Subtil sein geht anders, aber vielleicht muss so ein großer Blockbuster dies auch gar nicht sein.
Ein anderer Kritiker, Rüdiger Suchsland, sinniert in seiner Review zu Dune Part Two für den SWR2 über die moralische Ambiguität von Dune: „Man fragt sich, was die Hippies einst geritten hat, dass sie ausgerechnet dieses Fantasy-Epos zusammen mit dem erzreaktionären ‚Herr der Ringe‘ zum Kultbuch erkoren“. Ob es tatsächlich so eine homogene Gruppe wie „die Hippies“ gegeben hat, sei dahingestellt. Doch es gibt eine ebenso einfache Antwort darauf: weil es trippy ist! Nein, in völligem Ernst, Dune ist sehr trippy. Immerhin haben wir es hier mit Spice zu tun, einer bewusstseinsverändernden Droge, mit der man durch Raum und Zeit sehen kann.
Leider kommen die Guild Navigators, welche die interstellaren Reisen durchführen, in Dune Part One und Part Two viel zu kurz. Jedoch sieht man die Navigatoren in David Lynchs Version, in der sie einer großen Schnecke oder einem Wal ähneln, da das Spice bereits ihren ganzen Körper, der vorher humanoid war, mutiert hat. Außerdem wird das Spice von riesigen Würmern geschützt. Was davon sollten „die Hippies“ nicht mögen?
Um zu einer inhaltlich tieferen Auseinandersetzung zu kommen, muss man sich zwangsläufig mit einer Kontextualisierung, die Rüdiger Suchsland für die 1960er Jahren anführt, beschäftigen. Wenn man sich den nicht-psychedelischen Teil von Dune anschaut, so spielt wohl die Popularität von Lawrence von Arabien (1962) für die Rezeption von Dune eine große Rolle. Ein bewunderter Außenseiter versucht die verschiedenen arabischen Wüstenstämme gegen die Kolonialherren zu vereinigen. Fügt man noch ein bisschen zeitgenössische Parabel hinzu, interpretiert die story zum Kampf um Ressourcen und Spice als Öl (zugegeben eines der langweiligsten Dinge, die man aus Dune mitnehmen kann), und man hat ein bis dato beispielloses Science-Fiction Epos, bezogen auf „irdische“ Themen.
Doch auch Dune Part Two bietet auch einige nicht so vorgefertigte Eindrücke, zum Beispiel einen ohrenbetäubenden Mix aus visueller und akustischer Gewalt, welcher das Publikum in die Kinosessel presst. Der Film ist unglaublich immersiv, enthält teils ästhetische, teils albtraumhafte und erdrückende Bilder, wie etwa die kunstvolle Heimatwelt der Harkonnens unter der schwarzen Sonne, die ihre Welt in sein verwaschenes schwarz-weiß taucht.
Christopher Nolan jedenfalls ist von dem Film überzeugt und brachte den vielzitierten Vergleich, dass wenn Dune Part One Denis Villeneuves Star Wars (1977) sei, so sei Dune Part Two Villeneuves Das Imperium schlägt zurück (1980), ein Film, der im allgemeinen popkulturellen Gedächtnis als eines der besten sequels aller Zeiten gilt.Ich unterstütze diesen Vergleich, da Dune Part Two genau wie Das Imperium schlägt zurück den bisher eingeführten Charakteren mehr Tiefe verleiht und eine ganze Facette von düsteren Farbtönen in die Handlung einmischt. Doch mit den Vergleichen nicht genug: Rüdiger Suchsland meint, Dune Part Two sei mehr wie Die zwei Türme (2002), der zweite Teil von Peter Jacksons Herr der Ringe- Trilogie (2001-2003), der das Gefühl „eines Wartesaals der Handlung“ erzeugt. So sehe ich das nicht.
Bisher hat Legendary Pictures noch kein grünes Licht für Teil drei gegeben, und auch der Konflikt zwischen den Harkonnen und Paul Atreides scheint vorerst gelöst zu sein, so dass Fans nicht auf den nächsten Film warten müssen, um zu erfahren wie und ob Baron Harkonnen stirbt und ob sich der zweite Teil wirklich als ein „Wartesaal der Handlung“ für den dritten Teil entpuppt.
Den bisher schönsten Vergleich aber habe ich bei Robert Wagner von critic.de gelesen, der meinte, Dune Part Two sei wie Zwei Nasen tanken Super (1984), weil dort, ebenso wie hier, die Information des Dialogs und die tatsächlich gezeigten Bilder nie so richtig zueinanderfinden. So etwa erfährt man die Tatsache, dass Paul durch ein „drogeninduziertes, spirituelles Nahtoderlebnis zu einem höheren Wesen wird“ nicht durch die Bilder, sondern durch die Dialoge, meint Wagner. Dies passt auch zur vorletzten Szene des Films, in der das ungeborene Kind Alia seine Mutter Jessica fragt, was eigentlich gerade passiert, und Jessica ihrem Kind wörtlich erklären muss, dass „der Heilige Krieg des Muad’Dib“ beginnt. Ein bisschen so wie Alia fühlte ich mich als unwissender Zuschauer auch in diesem Moment.
Man kann sich natürlich die Frage stellen, warum all diese Vergleiche mit anderen Filmen sein müssen. Kann Dune Part Two nicht einfach für sich selbst existieren? Mein persönlicher Anreiz für diesen Film war es, Bilder und Eindrücke zu bekommen, die ich noch nicht kannte, vielleicht etwas ganz Neues im Kino zu erleben. Dieses Gefühl ist ja fast ausgestorben. Bei Vergleichen zu 2001: Odyssee im Weltraum (1968), Blade Runner (1982), Terminator 2 (1991), oder Jurassic Park (1993), die alle ebendiese Innovation in die Kinos brachten, wird einem plötzlich bewusst, dass allein der letzte von den aufgezählten Filmen im vergangenen Jahr 30 Jahre alt geworden ist.
Doch bei allem Verdruss möchte ich zumindest noch einen Vergleich hinzufügen, welcher ausgerechnet mit Christopher Nolan zusammenhängt, der ja nun mit dem Vergleichen mit Dune Part Two angefangen hat. Ich finde, Dune Part Two gleicht in gewisser Hinsicht Christopher Nolans Oppenheimer (2023). Die Protagonisten, die sowohl in Dune als auch in Oppenheimer dem Publikum im wahrsten Sinne des Wortes blauäugig ins Gesicht starren, bergen eine packende Vielschichtigkeit in sich. Während man sich beim Film über den Vater der Atombombe tatsächlich fragt, ob er einem leidtun soll, macht sich Paul Atreides die nuklearen Sprengköpfe aus dem Haus seines Vaters zu eigen und setzt sie erbarmungslos gegen die Armee des Imperators ein – und doch, auch Paul hatte anfängliche Zweifel und wollte den Pfad nicht gehen, der für ihn bestimmt war. Es sind die gemeinsamen moralischen Ambiguitäten, die Ablehnung der klassischen Heldenreise, die für ein zeitgenössisches Publikum vermutlich schon viel zu abgedroschen sind, welche diese beiden Filme miteinander teilen und sie deswegen so erfrischend macht.
Obwohl Dune Part Two über eine Handvoll Mängel verfügt, so ist es immer noch ein sehr guter Film, den man wohl nicht so schnell wieder im Kino sehen wird. Deshalb ist es meine unbedingte Empfehlung, diesen Film auf der großen Leinwand zu sehen, auch wegen des Sounds.
Letztendlich fragt man sich, ob Dune Part Two als Blockbuster irgendwie noch übertroffen werden kann, sei es im Jahr 2024 oder überhaupt. Doch Schluss mit den Vergleichen! Dune Part Two schwebt in seiner ganz eigenen Dimension. Um wieder mit den sakralen Tönen von Jodorowsky zu enden: Dune ist das Kommen eines Gottes, und obwohl wir uns kein Bild von Gott machen dürfen, tun wir es, um seine Größe zu begreifen.
Bilder: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. Photo Credit Courtesy Warner Bros. Pictures
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