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  • Science-Fiction hat keine Zukunft

    Trotz all seiner Schrecken sah die Science-Fiction des 20. Jahrhunderts voller Optimismus in die Zukunft. Heute produziert sie Dystopien statt Möglichkeiten. Ein Kommentar zur Situation des Genres.

    Das 20. Jahrhundert scheint uns heute fern. Denn dieses Jahrhundert kannte einen unheimlichen Fortschrittsoptimismus, der einem im Nachhinein eigentlich als merkwürdig vorkommen müsste, war es doch eines der dunkelsten Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte: Zuerst der Zivilisationsbruch der Shoa, dann die allgegenwärtige Gefahr der gegenseitigen Vernichtung durch Atomraketen. Und wegen ihrer Aneignung durch den Faschismus, stand auch die Vergangenheit nicht mehr als imaginativer Raum zur Verfügung.  

    Und dennoch: Durch alle Bevölkerungsschichten der Vereinigten Staaten der Nachkriegsjahrzehnte zog die Idee, dass Veränderungen machbar und wünschenswert sind. Die Technologie hielt Einzug in den Alltag der Mittelschicht; Designer und Architekten versuchten, die Zukunft vorwegzunehmen, indem sie vom Kühlschrank bis zur Tankstelle, alles mit futuristischen Ornamenten versahen. Gleichzeitig begannen die marginalisierten Bürger*innen sich in der Bürgerrechtsbewegung zu formieren und politische Teilhabe einzufordern. Anders als die weiße Mittelschicht, begriffen sie auch diese Verhältnisse als veränderbar. Die Idee, dass die Zukunft fundamental anders gestaltet sein könnte, half real existierende Probleme nicht mehr als natürlich und „immer schon so“ zu begreifen. Nicht zufällig fiel das sogenannte Goldene Zeitalter der Science-Fiction in diese Zeit. 

    Dieses Hoffen auf die Zukunft ist uns abhandengekommen. Das ganze Genre der Science-Fiction wirkt aktuell wie eingefroren. Die Trägheit von Entscheidungsträgern lässt die herannahenden Katastrophen als unausweichlich erscheinen. Die Zukunft ist nicht mehr Chance.
    So ist es kein Wunder, dass das derzeit erfolgreichste Modell der Science-Fiction die Dystopie ist. Vom Standpunkt der Postapokalypse sieht die Welt von heute wie die Hochzeit von Fülle und Fortschritt aus. In Cormac McCarthys Roman The Road (2006) ist der einzige Lichtblick das Finden einer noch gefüllten Cola-Dose. Margret Atwood stimmt in Oryx and Crake (2003) sogar den Abgesang auf die Spezies Mensch an: Sie ist dem Untergang geweiht, weil sie inhärent fehlerhaft ist. 

    Ähnlich sieht es bei der Paradedisziplin der klassischen Science-Fiction aus. Das Subgenre der Space Opera, in dem sich die Handlung mitunter über eine gesamte Galaxie erstreckt, war für die Autoren der klassischen Science-Fiction ein probates Mittel, dem Neuen und dem Andersartigen zu begegnen. Heute nutzen moderne Vertreter dessen Weite lieber dazu, um zu betonen, wie klein und machtlos der Mensch ist. So zum Beispiel in der bereits von Amazon verfilmten Romanreihe The Expanse (2012-2022) von James S. A. Corey (Pseudonym eines Autorenduos).  

    In den erfolgreichsten Reihen der Gegenwart traut sich die Menschheit nicht mal mehr über das Sonnensystem hinaus; führt darüber hinaus dort ein erbärmliches Leben, und wird am Schluss noch von technologisch überlegenen Aliens in den luftleeren Raum gejagt. Die neuen Autoren der Space Opera haben mit ihren VorgängerInnen nichts mehr gemein. Aber sie werden verfilmt.
    Am 24. März startete die Netflix-Verfilmung von Trisolaris (2006-2010). Die Romane waren bereits ein enormer Erfolg. Ihr Einfluss war sogar so groß, dass sie die chinesische Science-Fiction in die europäischen Buchhandlungen brachten. Die Bücher stehen selbst im Zeichen der neuen, hoffnungslosen Art der Space Opera. In den Büchern des chinesischen Autors Cixin Liu (*1963) ist das Universum ein „dunkler Wald“, in dem sich die Spezies gegenseitig auflauern und der vernichtende Erstschlag die einzig vernünftige Reaktion auf die Entdeckung darstellt. Die Menschheit hat den Fehler, sich zu zeigen, schon begangen. Mit David Benioff und D. B. Weiss, den Machern von Game of Thrones (2011-2015), ist auch in dieser Produktion kein Optimismus in Sicht. 

    Nur wenige Autor*innen, wie Adrian Tchaikovski und seine Zeit-Reihe (2015-2022), versuchen den dystopischen Konsens mit einem optimistischen Gegenentwurf zu stören. Sie enthüllt dabei einen merkwürdigen Widerspruch, der meist unbeachtet bleibt: Bei ihm ist die Frage, ob wir allein im Universum sind, nichtig. Wir sind nicht mal allein auf der Erde.
    Der Optimismus seiner Romane entsteht dadurch, dass sie die Geschichte der Spezies Mensch nur als eine von vielen Spezies begreift. Dadurch enthüllt er, dass auch die Zukunft mehr als nur einen Weg nehmen kann. In dieser Trilogie steht nicht die Menschheit im Mittelpunkt, sondern gleich komplette Ökosysteme, in denen nicht der Mensch regiert, sondern Spinnen und Tintenfische. Diese ahmen aber nicht die Entwicklung des Menschen nach, sondern entwickeln sich gemäß den Anlagen ihrer eigenen Spezies. Indem der Autor den Menschen vom Thron stößt, eröffnet er ihm eine Zukunft, die die Fehler der Zukunft nicht mehr auf ewig wiederholen kann und die genau deswegen optimistisch ist. In Anbetracht der ökologischen Krise taugen nur solche Zukunftsentwürfe. 

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