Protestierende besetzen Audimax der Universität Leipzig – Rektorat veranlasst Räumung
Das pro-palästinensische Bündnis Palestine Campus besetzte am 7. Mai 2024 für einige Stunden das Audimax der Universität Leipzig und bauten Zelte im Innenhof auf. Es gab auch Kritik und Gegenprotest.
„Uni-Besetzung gegen Genozid“ stand auf einem der Banner, die an die Außenwand des Neuen Augusteums der Uni Leipzig geklebt wurden. Gegen 15 Uhr erklärte die Gruppe Palestine Campus auf Instagram das Audimax der Universität für besetzt und lud Studierende in das sogenannte „Protestcamp“ auf dem Innenhof ein.
In der Mitte des Hofes hatten die Organisator*innen einen Pavillon aufgebaut, daneben zwei Zelte. An einem Tisch verteilten sie Informationsmaterial und Werbung für zukünftige Veranstaltungen. Viele der Beteiligten trugen Kufiyas. Mit Wassermelonen-Dekoration und Palästina-Flaggen wiesen sie symbolisch auf ihr Anliegen hin.
Protestbündnis für Abbruch jeglicher Beziehungen zu Israel der Universität Leipzig
Auslöser des Protests war laut Palestine-Campus-Pressesprecher Marius Schneider der Beginn der israelischen Bodenoffensive auf die Stadt Rafah, in der sich im Augenblick der Großteil der Bevölkerung des Gazastreifens konzentriert. Circa 1,4 Millionen der 2,3 Millionen Einwohner*innen halten sich derzeit dort auf, wie die Deutsche Welle berichtet. Schneider forderte im Namen von Palestine Campus, dass die Universität alle Beziehungen und kooperativen Forschungsprojekte mit Israel offenlegen und abbrechen solle. Weiter verlangt die Gruppe eine Änderung der aktuell geltenden Antisemitismusdefinition nach der International Holocaust Remembrance Alliance, die Israelfeindlichkeit miteinschließt, und die schriftliche Positionierung der Institution gegen das Handeln des Staates Israel.
Eine Person aus dem beteiligten Studierendenkollektiv teilte mit, Palestine Campus hätte sich als Bündnis spontan am Dienstagmorgen aus Organisationen und Einzelpersonen zusammengefunden, um eine Aktion ähnlich dem Camp in der Freien Universität Berlin zu realisieren. Die Aktion reiht sich außerdem in eine internationale Serie an ähnlichen Protesten ein, die unter anderem in den USA und in Frankreichstattgefunden haben. Fünfzig bis sechzig Teilnehmende waren an Kundgebung auf dem Hof und Besetzung in Leipzig beteiligt, wie Polizei und Pressestelle der Universität erklärten. Darunter waren neben den Studierendenkollektiv auch die Organisationen Zora Leipzig, Young Struggle und Frauenkollektiv, sowie der Kommunistische Aufbau und die Internationale Jugend. Auch eine Antifa-Flagge tauchte bei der Kundgebung auf. Unter anderem riefen die Protestierenden zu „Ceasefire“ und „Intifada revolution“ auf. Handala Leipzig solidarisierte sich öffentlich mit der Aktion, gab jedoch auf Instagram an, selbst nichts damit zu tun gehabt zu haben.
Konflikte mit pro-israelischen Gegendemonstrant*innen
Es gab auch Gegenstimmen: Ungefähr 40 Personen positionierten sich mit Israel-Flaggen für etwa eine Stunde auf dem Plateau vor dem Eingang zum Hörsaalgebäude – so lange war der Gegenprotest genehmigt. Damit standen sich zwei Fronten gegenüber, die sich gegenseitig als Faschist*innen, Antisemit*innen und Rechtsradikale bezeichneten.
Als eine Person, die ihren Unmut über die Veranstaltung von Palestine Campus ausdrückte, das Augusteum betreten wollte, verwehrten ihr einige der Besetzer den Zugang. Es kam zu einer kurzen Rangelei. Die Security, die zu dem Zeitpunkt im Eingangsbereich des Augusteums präsent war, griff nicht ein. Infolge der Anspannungen positionierten sich etwas später fünf Einsatzkräfte der Polizei zwischen den Konfliktparteien.
Parallel fand noch eine andere pro-israelische Demonstration auf dem Augustusplatz statt, die mit Fotos von Geiseln der Hamas für deren Freilassung warb. Auf einer Bühne gab es musikalische und Redebeiträge. Dort versammelten sich circa 150 Personen. Die Veranstaltung wurde anlässlich des „Marsch des Lebens“ organisiert.
Räumung des Audimax durch die Polizei auf Wunsch der Universität Leipzig
Ab 18:30 Uhr ließ die Polizei wieder Medienvertreter*innen ins Augusteum. Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine Einsatzkräfte im Hörsaal. Drinnen hielten sich circa zwanzig Personen auf, von denen die meisten sich vor den Türen zum Audimax in einer Sitzblockade formierten. Die Protestierenden klatschten und sangen dazu „There is only one solution – Intifada revolution“. Gegen 19 Uhr folgten viele von ihnen der Aufforderung, den Platz zu räumen und verließen das Gebäude unter polizei-kritischen Rufen und Gesängen.
Auf Instagram teilte der Account von Palestine Campus am Dienstagabend noch einige Video-Clips, die die Räumung des Hörsaals in Ausschnitten dokumentieren. Sie zeigen, wie Studierende, die an der Besetzung beteiligt gewesen sind, aus dem Gebäude und über den Hof getragen oder geschliffen werden. Etwa gegen 20:30 Uhr war das Gebäude komplett geräumt, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Die Kundgebung im Hof sei bis 21:30 Uhr genehmigt, danach solle dieser wie gewöhnlich abgeschlossen werden, teilte Polizeisprecher Olaf Hoppe luhze auf Anfrage vor Ort mit.
Um die Räumung des Audimax in den Abendstunden in die Wege zu leiten, hatte Universität Leipzig gegen 15:30 Uhr die Polizei kontaktiert. Diese war laut eigenen Angaben mit 150 Einsatzkräften vor Ort. Gegen die Personen, die sich unmittelbar im Hörsaal befunden hatten, würde laut Angaben der Polizei Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet werden. Dabei handele es sich um 13 Personen. Diese würden voraussichtlich zur Dienststelle mitgenommen werden, wenn sie sich nicht vor Ort identifizieren lassen würden. Dazu kam es im Verlauf des Abends, wie die Polizei in einer Ergänzungsmeldung am 8. Mai mitteilte. Weiter hätten „mehr als ein Dutzend Personen Widerstand bei den Handlungen der Polizei“ geleistet, gegen die ebenfalls Strafverfahren eingeleitet worden seien.
In der Nacht zum Mittwoch
„Gegen 23:00 Uhr hatten die letzten Personen das Unigelände verlassen und die Gebäude verschlossen. Danach wurden durch die ehemaligen Versammlungsteilnehmer zwei weitere Versammlungen gegenüber der Versammlungsbehörde angezeigt“, heißt es weiter. Im Bereich der Universitätsstraße endete eine von ihnen gegen 23:30 Uhr und die zweite in der Dimitroffstraße gegen 02:30 Uhr. Es sei friedlich geblieben, gab die Polizei bekannt.
Gegen Mitternacht hatten die an Palestine Campus beteiligten Gruppierungen auf ihren Instagram-Kanälen dazu aufgerufen, mit ihnen vor dem Polizeirevier in der Dimitroffstraße zu protestieren, wo einige der Protestierenden in Gewahrsam seien. Um zwei Uhr postete Palestine Campus in einer Instagram-Story, dass alle Beteiligten aus dem Gewahrsam entlassen worden seien.
Rektorat, Wissenschaftsminister und KSS üben Kritik.
„Im Umfeld der Universität und auf dem Gelände selbst wurden mehrere Graffiti festgestellt, die zu mehreren Anzeigen wegen Sachbeschädigung führten“, meldete die Polizei ebenfalls am Mittwoch. Insgesamt sollen über 30 Strafanzeigen eingeleitet worden seien. Der finanzielle Schaden sei noch nicht abschätzbar, doch die Universität Leipzig werde von den Verantwortlichen Schadensersatz fordern, berichtete die Leipziger Volkszeitung am Mittwoch.
Der Lehrbetrieb soll im Audimax erst in der nächsten Woche wieder aufgenommen werden. In einer Pressemitteilung der Universität Leipzig und Rundmail an die Studierenden vom Dienstagabend wurde Rektorin Eva Inés Obergfell zitiert, die einräumte, dass Proteste mit dem Zweck der Information und Verständigung grundsätzlich legitim wären, die Inbesitznahme universitärer Räume und Gefährdung Unbeteiligter jedoch nicht geduldet würde.
Auch Sachsens Wissenschaftsminister, Sebastian Gemkow, gab ein Statement zur Besetzung des Hörsaals ab. Er unterstützt das Rektorat der Universität Leipzig. Die Hochschulen des Freistaats seien demnach „kein Ort für antisemitische und antiisraelische Proteste.“ Die Besetzung der Räume gefährde alle Angehörigen der Hochschule und würden die Grenzen demokratischen Diskurses überschreiten.
Die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) hatte vom Rektorat der Universität die Räumung von Audimax durch das Rektorat der Universität gefordert. Sprecher Paul Steinbrecher begründete dies damit, dass der Zustand jüdische und israelische Studierende wie Mitarbeitende gefährde. „Die den Campus besetzenden Gruppen sind in der Vergangenheit mit zutiefst antisemitischen Aussagen aufgefallen. Diese haben in den sächsischen Hochschulen kein Platz. Hochschulen dürfen kein rechtsfreier Raum sein. Zustände wie an Berliner Hochschulen müssen verhindert werden“, sagte Steinbrecher weiter.
Fotos: Hannah Kattanek
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