Liebe Paulina, das ist für dich
Dies ist ein Brief an meine beste Freundin. Oder vielleicht sogar an die einzige Freundin, die ich je hatte.
Liebe Paulina, ich habe zu wenig gesagt. Das ist ein allgemeines Problem von mir, aber bei niemandem fällt es so sehr ins Gewicht wie bei dir. Ich habe zu wenig gesagt, und irgendwann warst du weg, und du hattest jedes Recht dazu. Aber Paulina, du sollst wissen, dass ich es bereue, zu wenig gesagt zu haben. Ich bereue es, dich von mir fortgetrieben zu haben, ich bereue es, statt auf mein Herz auf meine Krankheit gehört zu haben, ich bereue es, mir eingeredet zu haben, dass ich mich von dir fernhalten muss, weil es dir ohne mich eh besser geht. Ich bereue es, dir so viele Dinge nicht gesagt zu haben, denn jetzt muss ich ohne dich durchs Leben gehen und jeden Tag etwas Neues finden, das ich dir so gerne sagen würde.
Ich will dir von dem komischen Typen erzählen, der in der Kleingartenanlage bei mir um die Ecke immer nackt am Gartenzaun steht und mir Tomaten und Spitzkohl anbietet. Ich will dir jeden Quadratmillimeter meiner Wohnung zeigen. Ich will dir von luhze erzählen, von unserem Büro, von unseren Redaktionssitzungen, ich will dir jeden meiner Artikel vorlesen. Ich will dir beschreiben, wie wir bei mephisto unsere Sendungen planen und wie die Studios aussehen. Ich will dir erzählen, dass meine Bachelorarbeit mich in den Wahnsinn treibt, weil es um Björn Höcke geht, und, naja, der treibt wohl jeden normalen Menschen in den Wahnsinn. Ich will dir von meinem Praktikum beim Tagesspiegel erzählen, von der Kollegin, die ihren 57. Geburtstag mit einer Schnitzeljagd feiern will, von der Kantine, in die ich nicht gehe, weil der Techniker an meinem ersten Tag gesagt hat, dass das Essen nicht schmeckt, und von der fetten toten Ratte auf dem Gehweg. Ich will dir erzählen, wie und wann und warum ich im Ritz war, das genauso bonzig ist, wie man es sich vorstellt, und dort Ryan Gosling getroffen habe, der überhaupt nicht bonzig ist. Ich will mit dir Eistee Pistazie hören. Ich will dir sagen, dass wir damals alle mit offenen Mündern gestarrt haben, als du im Restaurant in Sorrent mit Johann durch den ganzen Saal getanzt bist wie eine Prinzessin. Ich will dir erzählen, dass ich den völlig irrwitzigen, aber eben auch völlig ernst gemeinten Plan gefasst habe, irgendwann nach Spitzbergen auszuwandern. Ich will dich fragen, ob du noch mit deinem Freund zusammen bist. Ich will dir sagen, dass deine Geburtstagspartys immer die coolsten waren und dass ich im Herbst in Rom bin, weil Pascal zum Priester geweiht wird. Ich will dir erzählen, dass Dara vor ein paar Monaten plötzlich mit einem Bein nicht mehr auftreten konnte und ich eine Nottierärztin rufen musste, weil es sechs Uhr morgens war, und dass ich alle möglichen Diagnosen stellte bis hin zu Knochenkrebs, aber letztendlich war es nur eine Zerrung. Ich will dir erzählen, dass wir mit dreieinhalb Jahren Verspätung endlich nach Prag gefahren sind. Ich will mit dir Sascha Grammel schauen und über Leute lästern und lachen, bis mir der Bauch weh tut. Ich will dich fragen, ob du auch findest, dass unser Schulhof jetzt viel schöner ist als früher. Ich will dir von dem Buch erzählen, das ich gerade schreibe. Ich will dir erklären, warum das Buch, von dem ich dir auf der Domäne Dahlem erzählt habe, Schrott war. Ich will dir die Musik von meinen neuen Lieblingsmusikern vorspielen (Shoutout an Livingston und AJR). Ich will dir sagen, dass das Bild, das du mir von uns geschenkt hast, bei mir auf dem Fensterbrett steht. Ich will dich fragen, ob du diese letzte Sprachnachricht von mir bekommen hast, in der ich für alles um Verzeihung gebeten habe, oder ob du da schon eine neue Nummer hattest. Ich will dir sagen, dass ich angefangen habe, zu weinen, als ich auf deinem Profilbild plötzlich nicht mehr dein Gesicht, sondern ein fremdes gesehen habe, von irgendeiner Frau, weil ich wusste, dass deine Nummer einer anderen gehört und dass du eine neue Nummer haben musst, die ich nicht kenne.
Vor allem aber will ich dir eins sagen: Ich vermisse dich. Ich vermisse dich jeden einzelnen Tag. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht bereue, mich so scheiße verhalten zu haben. Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, eine Nachricht oder einen Anruf von dir zu bekommen. Paulina, du warst seit der Steglitzer Festwoche 2015 (oder war es 2016?) der wichtigste Mensch in meinem Leben. Du bist es noch heute und du wirst es immer sein. Ich kenne niemanden, der humorvoller ist als du, sanftmütiger, gutherziger, aufrichtiger und verantwortungsvoller. Ich will wieder mit dir in süßen kleinen Cafés sitzen, ins Kino gehen, Eistee trinken und Zimtschnecken essen. Ich will mit dir und deinen Eltern Adventskränze binden und, ja, wenn das nötig ist, würde ich auch nochmal mit dir altgriechische Texte übersetzen. Ich will dich umarmen und dir sagen, dass es mir leid tut, dass ich dich verletzt habe.
Doch leider kann ich nichts rückgängig machen, und leider ist es unwahrscheinlich, dass du dich jemals wieder bei mir melden wirst. Also bleibt mir nur, zu warten und zu hoffen. Und zu beten, dass du – so unerreichbar du auch sein magst – wenigstens glücklich bist.
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