Raw Woman Summer
Schwitzen ist an der Tagesordnung. In Leipzig beehrt uns immer öfter die Sonne. Ergo gibt es weniger schattige Winkel, in denen sich die Geister des Patriarchats verstecken können.
Man sieht mehr Haut in der Stadt. Die Zeit der offenen Kleidung ist angebrochen: Eine willkommene Gelegenheit, die neusten Vinted-Errungenschaften auf den Treppen der Albi zu präsentieren. Endlich wieder Wind, Sonne und Verkehrsstaub direkt auf der Haut spüren. Ich persönlich habe ein paar Probleme damit und behaupte, das ist wieder mal ein Sexismus-Ding. Um Catcalling geht es hier aber heute nicht.
Es gibt zig Arten, um den menschlichen Körper zu enthaaren, unverschämt viele Ratgeber dazu, welche Methode für welche Körperpartie am besten passt, und wie die Umsetzung so gelingt, dass man keine Hautreizungen verursacht. Und immer noch scheint es enorm wichtig, als Frau den Eindruck zu erwecken, der eigene Körper würde Behaarung unterhalb der Augenbrauen gar nicht erst produzieren. Spätestens im Sommer muss sich fast jede* ernsthaft überlegen, ob sie* dabei mitwirkt, diese Illusion zu stützen und zu zementieren.
Der Umgang mit Körperbehaarung ist seit jeher meine eigene Emanzipations-Achillesferse. Bei anderen achte ich kaum darauf, aber ich fühle mich selbst immer noch unwohl damit, wenn meine Beine nicht spiegelglatt sind. Es ist absurd, wie tief genau dieser geschlechtsspezifische Stereotyp sich in mir – und vielen anderen – festgebissen hat, obwohl die allgemeine Praxis des wahnwitzigen Enthaarens doch sehr jung ist. Im Mainstream ist der Trend in Europa wohl erst im frühen 20. Jahrhundert angekommen und hat auch nicht wenig mit rassistischen Narrativen zu tun, die maßgebend für unsere heutige Auffassung von Weiblichkeit sind.
„Feminin sein“ ist sonst nichts, das ich im Alltag bewusst ansteuere – vielleicht, weil ich unterbewusst genug performe und so angepasst bin, dass wenig Konfliktpotenzial übrigbleibt. Hier wird das aber zum Thema. Körperbehaarung ist männlich. An Frauen gilt sie weitläufig als „ungepflegt“ und sogar so verpönt, dass meistens nicht mal die Models in Werbekampagnen für Rasierer sichtbare Haare an den Stellen haben, die sie angeblich gerade rasieren. Denken wir so, wird die bloße unbehelligte Existenz zum männlichen Privileg.
Man kann Ganze vielleicht als Self Care betiteln wollen, als etwas, das „man für sich selbst tut“. Das habe ich früher auch mit Überzeugung von mir selbst behauptet – in Wahrheit war das eine Lüge. Es geht eigentlich um Angepasstheit, vielleicht Fuckability oder ein verqueres Bild von Professionalität. Heute ist das für mich kein guter Grund mehr, um circa die Hälfte meiner 1,66 m2 Haut zu bearbeiten.
Mittlerweile rasiere ich mir nicht mehr die Beine und epiliere, sugare und waxe genauso wenig. Verabschiedet man sich mal für einen Moment von den Werbebotschaften, die wir seit der Kindheit inhalieren, ist Unrasiert-Sein sowieso der femininste Zustand, der möglich ist – ich bin eine Frau und existiere in meinem Körper. Das ist die ganze Geschichte.
Im letzten Sommer hat mein Bruder seinen Abiball gefeiert. Kurz vor der Abfahrt zur Location hatte ich eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter, die es als Dresscode-Widrigkeit empfunden hat, mit unrasierten Beinen einen festlichen Anlass wie diesen zu begehen. Sie meinte, halb ernsthaft und halb scherzend, ich solle so nicht mitkommen. Schlussendlich hat sie nachgegeben und der Abend war schön; niemand hat sich weiter dafür interessiert. Zum Glück hatten die Leute Besseres zu tun. Stolz auf ihre Kinder zu sein zum Beispiel. Rückblickend hat mich dieser Moment sehr darin bestärkt, dass es wirklich ein Problem gibt. Dass an dieser Stelle noch umfassende Transformation stattfinden muss und es nicht nur mein persönlicher Konflikt ist.
Wir müssen unsere Blicke umgewöhnen. Männer, Mütter und wir selbst. Ich glaube, das ist wichtig. Meine Kindheit und Jugend wären sehr viel entspannter gewesen, hätte sich schon früher jemand um die Normalisierung verschiedener Körper gekümmert. Das wünsche ich zukünftigen Generationen. Also ist der Modus Raw Woman Summer. Nichts Hot Girl Summer dieses Jahr – sich selbst zu infantilisieren ist ohnehin bescheuert und „hot“ sind sowieso alle, die luhze lesen. Wir sehen uns am Cossi.
Foto: Pexels
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