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  • Ich will nach Hause, ich bin müde, ich hasse Menschen

    Neben meinem Vollzeitjob bleibt nicht viel Platz für Engagement, Verständnis und Abwasch. Eine Kolumne über das Gegeneinander in der Bahn, den eigenen Egoismus und ständiges Gereizt-sein.

    „Aufgrund einer Demonstration kommt es bei dieser Linie zu Verspätungen und Ausfällen“ steht auf der Leuchtanzeige der Haltestelle am Hauptbahnhof. „Schön“, denke ich mir, als ich feststelle, dass ich eine halbe Stunde nach Hause laufen muss. Zusätzlich zu den 45 Minuten Zugfahrt von Halle nach Leipzig. Unter anderen Umständen hätte ich wahrscheinlich selbst an dieser Demonstration teilgenommen. Jetzt bin ich allerdings genervt. Warum müssen die genau dann demonstrieren, wenn ich von einem stressigen Arbeitstag und einem überfüllten Zug voller Fußballfans einfach nur nach Hause will? 

    Ich weiß, dass man den Demonstrierenden eigentlich keinen Vorwurf machen kann. Den richtigen Zeitpunkt dafür, seiner Meinung auf der Straße Ausdruck zu verleihen, gibt es nicht. Irgendwer wird sich immer daran stören. An diesem Tag war ich aber unter den „Leidtragenden“. Diese persönliche Betroffenheit hat mir zwei Dinge gezeigt: 

    Zum einen, wie schnell man Menschen gegen sich aufbringen kann, die eigentlich deine politischen Inhalte unterstützen.  

    Das Arbeitsleben verändert mich. Und das nicht gerade zum Guten.

    Zum anderen, dass meine Frustrationsschwelle sehr niedrig liegt. Insbesondere seitdem ich für meine Arbeit regelmäßig von Leipzig nach Halle und wieder zurück pendeln muss. So ein Arbeitstag verbraucht extrem viel Energie. Ich bin oft schon weit vor Feierabend müde, brauche danach noch über eine Stunde, bis ich zu Hause bin, wo mich dann auch noch weitere Aufgaben erwarten. Seit über zwei Wochen bin ich eigentlich wieder mit dem Putzen der Wohnung dran. Da führen selbst kleinste Unannehmlichkeiten zu großem Frust. Seien es überfüllte Züge durch Fußballfans, Verspätungen und Ausfälle der Bahn oder auch Menschen, die zu langsam laufen, Menschen, die einfach im Weg stehen bleiben, Menschen, die schmatzend Kaugummi kauen und sich im Zug zu laut unterhalten. Menschen im Allgemeinen. Ich bemerke, wie ich meinen eigenen Stress und Frust auf Leute projiziere und an ihnen auslasse, obwohl sie (meist) nichts dafürkönnen. Außer Fußballfans.  

    Ich bemerke, wie sich eine gewisse Gleichgültigkeit und Ohnmacht bei mir eingeschlichen hat. Mein Idealismus schwindet und eine ständige Gereiztheit hat sich breitgemacht. Das Schicksal von Menschen, für die ich mich eingesetzt habe, wird mir immer egaler. Ich verstehe alle, die von großen Demonstrationen und Kundgebungen genervt sind, obwohl ich selbst an unzähligen teilgenommen und einige sogar selbst mit organisiert habe. Sie stören die Sehnsucht nach einem reibungslosen Heimweg und der verdienten Ruhe. Und auch mir geht es so. Politik war immer ein wichtiges Thema für mich, doch rauben mir die aktuellen Nachrichten immer mehr Kraft. Gerade die schlechten. Und ausgerechnet mit denen habe ich in meinem Job täglich zu tun. Ich habe keine Kapazitäten für all das Schreckliche, was auf der Welt passiert. Ich will einfach nur nach Hause. Ich möchte abschalten. Ich will meine Ruhe.  

    Mit Erschrecken stelle ich fest, wie sehr ich abgestumpft bin, seitdem ich arbeiten gehe. Zwei Monate sind vergangen und ich habe das Gefühl, einen Großteil meiner Empathie verloren zu haben. Mich mehr auf mich zu fokussieren als auf alles andere. Das tägliche Zugfahren wird zu einem Gegeneinander mit Gestalten, leeren Hüllen, die ich noch zuvor als Mitmenschen bezeichnet habe. Möglichst schnell in den Zug einsteigen, um noch einen Sitzplatz zu bekommen. Menschen förmlich aus dem Weg rempeln, um es noch pünktlich zur Bahn zu schaffen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dieser Egoismus macht mir Angst, widerspricht er doch all meinen persönlichen Werten. So wollte ich nie sein.  

    Diese Kolumne schrieb ich am Samstag, obwohl ich mir vorgenommen hatte, sie schon zum Freitag fertig zu haben. Doch der Stress und die Müdigkeit der Woche machten meinen Plan zunichte. Heute, am Sonntag, habe ich die Zeit, um mir etwas Ruhe zu gönnen, auszuschlafen und vielleicht auch mal die Wohnung zu putzen. Aber morgen beginnt die neue Woche und alles beginnt wieder von vorn. Eine Chance, um etwas ausgeschlafener zu sein. Um etwas weniger egoistisch zu handeln. Etwas empathischer zu sein und die Menschen etwas weniger zu hassen. Zumindest ein kleines bisschen.  

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