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  • 80qm Freiheitsfreiraum

    Kolumnist Dennis wohnt nach zwölf Jahren WG alleine und zieht eine durchwachsene Bilanz.

    Die Tür geht zu, die Wohnung weitestgehend leer, bis zur Abgabe in zwei Wochen ist noch gut zu tun. Ich stehe von nun an buchstäblich alleine auf weiter Flur. Das erste Mal seit ich nach Leipzig gezogen bin und es wurde auch einfach Zeit – oder wie Nina Chuba singt: „80qm Freiheit so schön“.

    Doch es macht sich sofort Melancholie und Leere breit, ein Gefühl wie nach einem sehr langen Erasmus-Semester. Möglicherweise die Erkenntnis, dass ein Teil der Jugend nun passé ist. Dabei war die WG User-experience in den letzten Jahren nur bedingt muy bueno.

    Anders gesagt: zwölf Jahre, fünf WGs, 15 verschiedene Personen und ein ständiges Wechselspiel zwischen Commitment und Desillusion. Im Oktober 2012 mit großen Erwartungen ungesehen ins Studentenwohnheimzimmer gezogen, mit dem Charme einer JVA Zelle und einem Phantom-Mitbewohner den ich nur durch lauten Rap mitten in der Nacht wahrgenommen habe. Es blieb bei einer anfänglichen „Grüß dich, ich bin…“ – Konversation, während der Rest der Zeit ein Lauern auf den freien Weg zum Bad war. Es folgte der erste Versuch einer WG-Gründung mit einer Freundin. Der Einzug erfolgte im naiven Vertrauen darauf, die Vormieter hätte den Vermieter informiert. Haste gedacht. Die Wohnung war nicht nur wegen einem enormen Wasserschaden renovierungsbedürftig, sodass nach vier Monaten die Koffer wieder gepackt werden mussten. Bis dahin war es ein soziales Stahlbad mit Diskussionen darüber, dass das Geschirr „nicht richtig“ abgewaschen wurde, was dann mittels passiv-aggressiver Klebezettel an die Zimmertür kommuniziert wurde. Danach eine Zwischenmiete im Westen mit Theaterwissenschaftlern und einer Zwischenmiete im Süden mit Übernahmeoption, was sich der Vermieter aber einen Monat vorher doch anders überlegte. Im Anschluss ein zweimonatiges Intermezzo mit Pendelei von Chemnitz und WG Casting-Marathon, bis ich schließlich im Osten einen Mietvertrag mit meinem Namen drauf in der Hand hielt und über die Jahre mit sieben Personen mal mehr mal weniger gut zusammenwohnte.

    Viele von euch kennen solche oder ähnliche Storys und ich will hier auch gar nicht rumopfern. Schlussendlich hätte ich schon irgendwo in der Mitte dieser Quest erkennen müssen, dass ich eher für die Ein-Zimmer-Lore geeignet bin, statt das Luftschloss, welches schon mehrfach verpufft ist, immer wieder aufzubauen. Die letzten Monate sahen so aus, dass ich den anderen beiden konsequent aus dem Weg gegangen bin, da sich die fehlende (oder besser gesagt dysfunktionale) Kommunikation immer weiter nach unten spiralisiert hat und die Tatsache, dass beide Untermieterinnen dem Vermieter sei Dank mit ausziehen mussten, die Situation auch nicht aufgelockert hat.

    Manchmal sehe ich in den Insta-Storys von Kommilitonen artsy WG-Fotos, die aussehen, als wäre die WG im siebten Arrondissement. Andere haben in der WG ihre große Liebe kennengelernt. Mein WG-Vibe bestand leider zu oft daraus sich über die gegebene Soll-Ist-Diskrepanz zu gaslighten und Wohnungsanzeigen zu scannen. Das Ende des Studiums und die Arbeit in Chemnitz waren entsprechend auch der notwendige Cut.

    Die Vice hat mal den Artikel „Warum WGs die absolute Hölle sind“ rausgehauen. Alles satirisch überspitzt natürlich. Doch irgendwann musst du dir einfach die Frage stellen, ob das Zusammenleben mit anderen das richtige für dich ist, gerade wenn es, wie hier in Leipzig auch (noch) bezahlbare Alternativen gibt. Irgendwann wird die Maske der Verträglichkeit fallen, wenn du dich täglich auf dem Weg zum Kühlschrank an fremdem Besuch vorbei socializen musst oder durch die Zimmerwand mehr vom Privatlebend der anderen mitbekommst, als dir recht ist. Vor allem, wenn du schon in mehreren WGs gewohnt hast und immer wieder bei Stress und Ärger der gemeinsame Nenner bist, solltest du ins Handeln kommen. Achso, und als einziger Hauptmieter stehst du natürlich immer in der ersten Reihe im Scheißesturm.

    Die letzten Spuren des WG-Alltags werden beseitigt, Pfandberge in Bargeld verwandelt, selten hässliche Tassen entsorgt, angefangene Hafermilch weggekippt oder jahrealte Einmachgläser mit weiß Gott was darin fliegen raus. Ich halte Zeug in der Hand, was wahrscheinlich noch von vor meiner Zeit ist, und überlege die Geschichte dahinter, wie es den Weg hierher gefunden hat. Von nun an muss ich alles in meiner Küche selbst kaufen und die einzigen Sticker mit fragwürdigem Inhalt am Kühlschrank sind zukünftig nur noch die eigenen – und werden wahrscheinlich gar nicht erst dran geklebt. Nun bin ich wohl scheinbar erwachsen.

     

    Foto von Alicia Christin Gerald auf Unsplash

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