„Femizide sind die Spitze patriarchaler Gewalt“
Die Gruppe „keinemehrleipzig“ macht auf Femizide aufmerksam. Für die Juli-Ausgabe hat luhze mit zwei der Aktivist*innen darüber gesprochen, wie sie arbeiten und Umgang mit belastenden Themen finden.
Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland – getötet von ihrem Mann oder Ex-Partner. Diese Art von Mord hat einen Namen: Femizid. Es ist ein Mord an einer FLINTA* aufgrund ihres Geschlechts. Die Gruppe „keinemehrleipzig“ versucht, Femizide zu recherchieren, dokumentieren und auf sie aufmerksam zu machen. Mit luhze-Redakteurin Annika Franz sprechen Lena und Hanna von keinemehr über ihre Arbeit.
luhze: Was ist „keinemehr“ und wie seid ihr entstanden?
Lena: Wir sind eine Gruppe, die sich mit dem Thema Femizide beschäftigt. Uns gibt es schon seit 2020 und wir sind so um die zehn Leute. Wir wollen Femizide, vor allem rund um Leipzig, dokumentieren. Dazu schauen wir uns die Berichterstattung an, skandalisieren diese, wenn die Morde als Familiendrama verharmlost werden, und betreiben aber auch eigene Recherche zu den Vorfällen. Häufig auch in Zusammenarbeit mit anderen Kollektiven in diesem Themenbereich. Außerdem organisiert „keinemehr“ Kundgebungen, Demos, Ausstellungen und alles sowas. Momentan gibt es auch den Plan von einem feministischen Gedenkort und einem Stadtrundgang zu Femiziden in Leipzig. Da kommt noch ein bisschen was. Aber ich bin selbst noch gar nicht so lange dabei, ich glaube Hanna weiß über die Gründung besser Bescheid.
Hanna: Die Gründung der Gruppe hing damals mit der Ermordung von Miriam im Leipziger Auwald zusammen. Einige von uns kannten Miriam. Einige von uns kannten auch den Täter, der war nämlich ihr Ex-Freund. Das war ein unglaublicher Schock und hat die Notwendigkeit hervorgerufen, sich zusammenzutun, zu stärken, gemeinsam zu trauern aber auch wütend zu sein und irgendwie mit der Ohnmacht umzugehen. Der Mord war nämlich kein Eifersuchtsdrama, wie häufig gesagt wird, sondern schlicht und einfach ein Femizid.
Femizide sind Morde an FLINTA* aufgrund ihres Geschlechts, oder?
Hanna: Genau, Morde an FLINTA*, an Personen, denen Weiblichkeit zugesprochen wird. In den allermeisten Fällen sind die Täter Männer. Und damit kommen wir auch schon zum grundsätzlichen gesellschaftlichen Problem und der Ursache für Femizide: Männlichkeit in unserer Gesellschaft und das hierarchische Geschlechterverhältnis, in dem wir leben.
Lena: Durch die patriarchale Rollenverteilung kommt es häufig dazu, dass Männer Macht und Besitzansprüche, gegenüber FLINTA* erheben und denken, ihnen würde etwas zustehen, was ihnen eigentlich gar nicht zusteht. So werden sie wütend, wenn eine Frau sie beispielsweise verlassen möchte. Diese Wut kann verschiedene Folgen haben. Femizide sind für mich die Spitze der patriarchalen Gewalt. Darunter passieren aber auch schon andere Gewaltformen, wie unangebrachte Kommentare, Anfassen ohne Einverständnis und so weiter. Diese Machtdynamiken verstärken sich gegenseitig.
Das heißt, jeder Mord an einer FLINTA* ist ein Femizid?
Hanna: Nein, nicht jeder Mord an einer FLINTA* ist ein Femizid, aber wir gehen in unserer Recherche bei einer Berichterstattung zu einem Frauenmord erst mal davon aus, bis sich das Gegenteil herausstellt. Zentral sind die Motive für die Tat und ob das Geschlechterverhältnis dabei eine Rolle spielt. Deswegen müssen sich die genauen Umstände des Mordes angeschaut werden und die Beurteilung ist nicht immer einfach. Die häufigsten Femizide finden in oder nach Beziehungen statt. In der Vergangenheit zeigte sich aber, dass misogyne und antifeministische Motivationen z.b. auch bei rechtsextremen Terroranschlägen eine Rolle spielten, sie mussten nur herauskristallisiert werden. Kein Femizid liegt hingegen liegt vor, wenn bei einem Anschlag eine Frau zufällig getötet wird.
Ihr versucht, Femizide zu dokumentieren. Von was für einem Häufigkeitsverhältnis sprechen wir denn eigentlich?
Hanna: Glücklicherweise gibt es mittlerweile mehrere Gruppen, die zu diesem Thema recherchieren. Vor allem auch bundesweit. Mittlerweile sind wir beim 45. Femizid, den die Initiative „Femizide stoppen“ in diesem Jahr schon recherchiert und dokumentiert hat. Jedes Jahr wird die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) veröffentlicht, aber die ist häufig unzureichend, da hier nur partnerschaftliche Gewalt erfasst wird und bei anderen Morden bisher die Tathintergründe nicht in die Statistik eingehen. Für unsere eigene Recherche ist häufig die mediale Berichterstattung der Ausgangspunkt. Was wir von den offiziellen Zahlen wissen: Mindestens alle drei Tage stirbt eine FLINTA* in Deutschland und jeden Tag findet ein Tötungsversuch statt. Die Zahlen sind in der zeitlichen Entwicklung relativ konstant, allerdings sind die Fälle von Gewalt in Partnerschaften in den letzten Jahren nochmal gestiegen und es ist von einem starken Dunkelfeld auszugehen. 2023 wurden in der PKS 133 Femizide in Deutschland erfasst. Die Erfassung von Femiziden an queeren und trans-Personen ist umso schwieriger, wenn z.b. eine Transfrau ihren Geschlechtseintrag noch nicht geändert hat, wird sie in der Statistik nicht auftauchen. Die Kriminalstatistiken sind also oft eingeschränkt, weil dort nur partnerschaftliche Gewalt erfasst wird. Viele Femizide finden in einem partnerschaftlichen Verhältnis oder vor allem nach einer Trennung statt, aber nicht alle. Es gibt auch Beziehungskonstellationen, wo sich beide Personen noch nicht lange kennen. Oder Fälle, wo gar keine Beziehung besteht und FLINTA* gestalkt werden. Da gab es auch einen Fall hier in Leipzig, wo eine Frau im Studentenwohnheim vom Täter gestalkt und irgendwann umgebracht wurde, ohne, dass es zwischen den beiden eine Beziehung gab.
Wie ist denn die Lage dieses Jahr in Leipzig?
Lena: Der erste Fall ist noch gar nicht so lange her. Am 21. Mai wurde eine Frau in Leipzig Paunsdorf so sehr von ihrem Freund zusammengeschlagen, dass sie gestorben ist. Jessica wollte sich trennen und in eine eigene Wohnung ziehen. Als der Täter davon erfuhr, prügelte er sie zu Tode. Auf diesen Femizid sind wir über die Berichterstattung in der Presse gestoßen, aber auch weil uns Leute aus ihrem Umfeld kontaktiert haben.
Findet sich denn der Femizid als Tatbestand im Gesetzbuch?
Hanna: Nein, bisher ist ein Femizid noch kein Tatbestand im Strafgesetzbuch in Deutschland. Das Strafrechtssystem differenziert zwischen Totschlag und Mord und in der Vergangenheit wurden Femizide oft milder bestraft und nach Totschlag verurteilt, da es sich um eine Tat in einer Beziehung oder Ex-Beziehung handelte. Das ist es Unding.
Lena: Wir sind auch keine Juristinnen, aber haben natürlich schon recherchiert, wie die aktuelle Lage ist. Unser letzter Stand ist, dass auf Empfehlung des Juristinnenbunds geschlechtsspezifische Gewalt mittlerweile als strafverschärfendes Motiv ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Das ist ja schonmal etwas. Trotzdem gibt es den Straftatbestand selbst nicht und ein Femizid wird entweder als Mord oder Totschlag vor Gericht verurteilt.
Was genau hat das dann für Folgen?
Hanna: Vor Gericht handelt es sich um einen Mord, wenn sogenannte „niedere Beweggründe“ bei dem Täter identifiziert werden. Da ist dann auch das Strafmaß viel höher. Nun war es aber in den letzten Jahren häufig so, dass eine Beziehung zwischen Täter und Opfer als strafmildernd ausgelegt wurde. Da bei Femiziden häufig vor der Tat eine Form von Beziehung oder Partnerschaft zwischen Täter und Opfer bestand, kam es also auch häufig zu geringeren Strafen. Mir kommt es absurd vor, dass bei einem Mord nach einer Trennung nicht Eifersucht oder Ähnliches als niederer Beweggrund ausgelegt wird. Stattdessen wird es vor Gericht und in der Presse oft so dargestellt, als wäre es irgendwie nachvollziehbar, dass der Täter die Frau umgebracht hat. Daran sieht man, wie verankert das Patriarchat auch in der Rechtssprechung ist. Diese Idee, dass die Person, die getötet wird, sowas wie eine Mitschuld hat, weil sie sich trennen wollte, ist absurd.
Wie ist das denn in anderen Ländern?
Hanna: Einige Länder in Lateinamerika wie zum Beispiel Mexiko und Argentinien sind da schon um einiges weiter, dort gibt es den Strafbestand Femizid. Allerdings ist auch dort die Justiz patriarchal geprägt und die Femizidzahlen sind viel höher. Aus dieser Not gibt es eine starke feministische Bewegung unter dem Slogan „Ni una menos“. Wir beziehen uns darauf, „keine mehr“ ist die deutsche Übersetzung. Der Slogan ist 2015 nach dem Femizid eines 14-jährigen Mädchens in Argentinien entstanden. Dort ist die Situation wirklich nochmal um einiges verschärfter. Für uns ist es wichtig, nach Lateinamerika zu schauen, wo die Bewegung entstanden ist. Und die Forderung, von Femiziden zu sprechen, wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden. Das ist hier noch nicht so oft der Fall, hier wird es dann eher ein Beziehungsdrama oder eine Familientragödie bezeichnet.
So wird dann in den Medien darüber berichtet?
Hanna: Häufig leider schon. Wobei die Tagesschau zum Beispiel mittlerweile von Femizid spricht. Wir haben uns schon viel mit der Leipziger Volkszeitung über dieses Thema gestritten und Briefe geschrieben, in denen wir darlegen wollten, dass über Femizide nicht immer nur als Partnerschaftsdrama berichtet werden kann. Das hat auch etwas bewirkt. Aber es braucht noch so viel mehr als das.
Was denn?
Hanna: Zum Beispiel den Ausbau von Gewaltschutzstrukturen. Frauenhausplätze, sodass Betroffene nicht mehr abgewiesen werden müssen, wenn sie einen Platz brauchen. Außerdem eine größere Sensibilität von Strafverfolgungsbehörden, die erkennen, wenn eine Gefahr für einen Femizid vorliegt. Es gibt viele Schwachstellen, die Femizide immer noch einfach möglich machen. Wenn sich beispielsweise eine Frau an die Polizei wendet, weil sie Gewalt durch ihren Mann erfährt, kann eigentlich ein Kontakt -und Näherungsverbot ausgesprochen werden. Das wird aber bei gemeinsamen Kindern häufig durch das Umgangsrecht zum Übergeben der Kinder umgangen. Diese Aufeinandertreffen können dann wiederum zu Femiziden führen. Diese Loopholes, aber eben auch die tiefliegenden patriarchalen Strukturen müssen weiter bekämpft werden.
Ihr seid selbst FLINTA*. Wie geht ihr damit um, dass ihr euch mit so einem heftigen Thema auseinandersetzt?
Lena: Bei uns in der Gruppe können alle Emotionen angesprochen werden und es ist ein sehr angenehmes Klima. Bis jetzt haben wir noch kein genaues Konzept, aber der Raum ist immer offen und das Verhältnis sehr vertraut.
Hanna: Es ist wirklich ein Prozess, einen Raum zu schaffen, wo immer Platz ist für sämtliche Emotionen. Und das Thema ist schwierig, das muss man sich auf jeden Fall bewusst machen. Aber gemeinsam in der Gruppe kann die Ohnmacht weniger werden.
Foto: keinemehr Leipzig
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