Der Stoff, aus dem Freundschaften gemacht sind
Rauchen regt die Gespräche an, Alkohol hält sie am Laufen, LSD beendet sie: eine Kolumne über den Spagat zwischen Selbstschutz, Neugier und der Angst, etwas zu verpassen.
Es ist Sonntag und ich sitze mit zwei Freunden auf dem Balkon ihrer WG. Wir unterhalten uns ausgelassen bei einer Tasse Kaffee und belegten Brötchen zum Frühstück, bis ich sie frage, wie es auf dem Festival war, welches sie letztes Wochenende besucht hatten. Sofort bereue ich die Frage. Meine Freunde sind – anders als ich – häufig auf Elektro-, Hiphop- und Technofestivals unterwegs und gerade, wenn sie von einem Festival zurückkommen, von den gesehenen Acts schwärmen und lustige Geschichten von ihren Rauschzuständen erzählen, habe ich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Dass ich mich auf dem Festival wahrscheinlich eh nicht wohlgefühlt hätte, weil ich die Musik nicht gerne höre, mir dort zu viele Menschen unterwegs sind und mich auch sonst nicht viel daran reizt, blende ich dabei aus. Und dann ist da noch das Problem mit den Drogen. Dass auf Festivals und in verschiedenen Musikszenen auch Drogen abseits von Nikotin, Alkohol oder Cannabis konsumiert werden, ist hinlänglich bekannt. Und so dürfte es auch niemanden verwundern, dass meine Freunde mir von ihren – meist sehr positiven – Konsumerfahrungen berichten.
In solchen Momenten bilde ich mir ein, dass ich wirklich gern dabei gewesen wäre. Irgendwie beneide ich meine Freunde. Wünschte, ich könnte ebenso Geschichten erzählen, wie ich komplett benommen von psychoaktiven Substanzen zu irgendwelcher Musik tanze, an die ich mich im Nachhinein nicht mehr erinnere und währenddessen den Spaß meines Lebens habe.
Von den meisten – insbesondere von chemischen – Drogen halte ich mich aufgrund meiner Psyche fern. Ich rauche, habe sowohl positive als auch negative Erfahrungen mit Alkohol und extrem beschissene mit Cannabis gemacht. Durch diese Unerfahrenheit fühlte ich mich in manchen Fällen wie ein Außenseiter. Als müsste ich erst selbst solche Drogen konsumiert haben. Vorher wäre ich kein wirklicher Bestandteil des Freundeskreises, sondern nur eine außenstehende Person, mit der man manchmal Kontakt hat. Insbesondere wenn auf WG-Partys das Thema Drogen die Gespräche dominiert und ich nicht mitreden kann. Oder Gesprächspartner für Stunden in den extra ausgeschriebenen Konsumzimmern verschwinden, obwohl ich mich gerne weiter mit ihnen unterhalten hätte.
Der gemeinsame Konsum scheint Menschen zu verbinden und gleichzeitig Leute zu exkludieren, die nicht konsumieren. Sind es die gemeinsamen Erlebnisse auf Partys und Festivals und die durch den Konsum noch weiter verstärkten Glücksgefühle? Die Gemeinschaft, die man dabei spürt?
Natürlich können auch Nichtkonsumenten den Raum betreten. Ebenso wie auch Nichttrinker mitkommen können, wenn sich die Gruppe in einer Bar trifft. Aber es fühlt sich merkwürdig an. Besonders wenn ich direkt beobachten kann, wie sich das Verhalten, die Sprechweise und der Bewusstseinszustand der Person ändert, mit der ich mich eben noch über sehr persönliche Themen unterhalten habe. Ich empfinde solche Situationen oft als überfordernd, weiß nicht, wie ich mich verhalten soll oder wie ich an diesem Abend überhaupt noch einen persönlichen Zugang zu der Person finden kann, die während ihres Trips in ganz anderen Welten zuhause ist. Vernünftige Gespräche sind nicht mehr möglich. Meist entscheide ich mich dann dazu, zu gehen.
Ich möchte niemanden dafür verurteilen, ob und welche Drogen er konsumiert. Und ich möchte auch, dass meine Freunde eine gute Zeit auf der Party oder dem Festival haben. Und wenn sie das durch ihren Konsum erreichen, ist das vollkommen okay. Und trotzdem ist da diese Distanz. Der Rausch, der irgendwie zwischen uns steht.
Wenn ich ehrlich bin, spielt Drogenkonsum in meinem Freundeskreis eine große Rolle. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass er ohne den Konsum von Drogen gar nicht erst existieren würde. Nicht wenige von uns haben sich in den täglichen Raucherkreisen auf dem Campus der Universität kennengelernt, kamen miteinander ins Gespräch, weil sie nach einer Kippe oder Feuer gefragt wurden, oder es stellten sich einfach neue Leute zur Gruppe dazu. Oder man lernte sich auf den Kneipen- und Spätitouren während der Ersti-Woche kennen. Gerade zu Beginn meines Studiums, als ich mich erstmal in einer komplett anderen Stadt und einem völlig neuen Umfeld zurechtfinden musste, half es mir zu rauchen und mich an den geplanten Aktionen der Ersti-Woche zu beteiligen. Dadurch fiel es mir leichter, neue Menschen kennenzulernen, woraus sich gute Freundschaften entwickelten. Auch hier wieder: gezielter Drogenkonsum, um Leute kennenzulernen.
Und dann ging es noch weiter. Treffen in der Bar, Bierchen beim Tischtennisspielen im Park. Bei allem, was wir gemeinsam unternahmen, haben wir Drogen konsumiert. Zwar sozial akzeptierte Drogen, aber letztlich doch Drogen.
Bis vor kurzem hatte ich sogar eine Liste von „Partydrogen“, die ich gerne mal ausprobieren wollte. In einem sicheren Umfeld, mit Tripsitter und einem Konzept, falls ein Notfall eintritt. Sogar meine Freunde hatten sich bereit erklärt, die Drogen zu besorgen, hatten ihre Wohnung als Konsumort und sich selbst als betreuende Person angeboten. Und haben dennoch immer auf die Risiken und potenziellen Gefahren, gerade im Hinblick auf meine Psyche, hingewiesen.
Mittlerweile habe ich diese Pläne jedoch verworfen.
Zum einen ist da die Angst. Die Angst, nicht nur gegen meine Nikotinsucht, sondern auch noch gegen eine weitere ankämpfen zu müssen. Die Angst, mit anderen Drogen ähnliche Erfahrungen wie mit Cannabis zu machen und von einer Panikattacke in die nächste zu rutschen und meine bereits bestehenden psychischen Probleme zu verstärken.
Zum anderen ist da die Einsicht, dass ich solche Erfahrungen gar nicht machen muss und auch nicht machen will, um Anerkennung von meinen Freunden zu bekommen. Rückblickend war es wahrscheinlich der Wunsch, mich meinen Freunden dadurch etwas näher zu fühlen und mich an Gesprächen zu beteiligen, zu denen ich bisher nichts beitragen konnte. Ich bildete mir ein, erst dann ein wirklicher Teil der Gruppe sein zu können und mich nicht weiter als Außenseiter zu fühlen. Am Ende habe ich versucht, mich selbst in etwas reinzudrängen, in der Hoffnung, dadurch mehr Selbstsicherheit zu erlangen. Ausgehend von der Annahme und der Angst, dass ich sonst meinen Freunden nicht genug bin. Im Prinzip ein selbst herbeifantasierter Gruppenzwang.
Wieder einmal habe ich bemerkt, dass ich meinen Selbstwert maßgeblich aus äußerer Bestätigung ziehe. Dass ich mich in Ängste reinsteigere, die keine Substanz haben. Ja, Drogenkonsum ist Teil unserer Freundschaft. Aber eben auch nur ein Teil. Nicht jedes Gespräch dreht sich um Drogen und die Sehnsucht nach dem nächsten Rausch. Wahrscheinlich tun das die wenigsten. Meine geringe Erfahrung ist ein Punkt, der mich von meinen Freunden unterscheidet und in mir Unsicherheit auslöst. Das nehmen meine Ängste zum Anlass, um diesen Mangel als Makel und als eine Gefahr für die Freundschaft aufzubauschen.
Daher muss ich meine Kommunikation mit meinen Freunden unbedingt verbessern. Ich muss meine Unsicherheiten und Selbstwertprobleme deutlicher und zeitiger ansprechen. Und auch Punkte, die mich im gegenseitigen Umgang oder bei Gesprächen stören.
Ich weiß, dass meine Freunde mich mögen. Dass sie sich um mich sorgen und wollen, dass es mir gut geht. Ich weiß, dass sie gerne freiwillig ihre Zeit mit mir verbringen. Ich weiß, dass sie gerne eine Kippe mit mir rauchen. Gerne bei Kaffee und belegten Brötchen auf dem Balkon ihrer WG, während sie vom letzten Festival erzählen oder wir das nächste Treffen planen. Und in solchen Momenten fühle ich mich ihnen dann doch wieder nah. Vielleicht irgendwann auch ganz drogenfrei, wenn ich mich noch einmal zu einem Rauchstopp überwinde.
Konsum ist nichts, was man glorifizieren oder grundsätzlich verteufeln sollte. Manchen hilft er, mal abzuschalten, wenn die Welt da draußen wieder zu viel und zu grausam wird. Andere kann dieser Versuch der Realitätsflucht in einen Abgrund reißen, aus dem sie es ohne Hilfe und professionelle Unterstützung nicht mehr herausschaffen. Und ich bin froh, dieses Risiko nicht eingegangen zu sein. Drogenkonsum hat diese Freundschaft ermöglicht und aufgebaut, aber er wird sie nicht zerstören.
Bilder: privat
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