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  • „Ein geglückter Versuch, diese Menschen kennenzulernen“

    Vor den Landtagswahlen tourt das Katapult-Team durch Sachsen, Brandenburg und Thüringen, um ein neues Magazin zu verteilen. luhze hat mit Magazin-Gründer Benjamin Fredrich über das Projekt gesprochen.

    Am 1. September wählt Sachsen einen neuen Landtag. In aktuellen Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Wahlsieg zwischen CDU und AfD ab. In Anbetracht dessen hat das Katapult-Magazin hat Mitte Juli eine neue Zeitung angekündigt. Gegründet wurde Katapult 2015 in Greifswald und ist vor allem für die Aufbereitung sozialwissenschaftlicher Themen in niedrigschwelligen Infografiken bekannt. luhze-Redakteurin Caroline Tennert hat mit Gründer Benjamin Fredrich über das neue Vorhaben gesprochen. 

    luhze:  In eurem Aufruf steht, ihr wollt Sachsen mit einer demokratischen Zeitung „überschwemmen“. Was bedeutet „demokratisch“ in diesem Zusammenhang für euch? 

    Benjamin Fredrich: Dabei ging es uns um politische Parteien. Zu anderen Medien hat das keinen Bezug. Wir sagen damit nicht, dass andere Medien nicht demokratisch sind, sondern, dass es Parteien in Sachsen gibt, die nicht demokratisch sind, wie die AfD und die Freien Sachsen. Wir wollen darüber aufklären, welche Parteien demokratisch sind und welche nicht. 

    Wie handhabt ihr eure Berichterstattung dementsprechend? 

    Wir haben nicht den Anspruch, alles abzudecken, was im Land passiert, sondern konzentrieren uns auf bestimmte Themen wie Rechtsextremismus oder Korruption bei der Polizei. Die meisten großen Medien haben nicht die Zeit dafür, so tief in Themen zu gehen, weil sie einen Vollanspruch haben, also Sport und Kultur und anderes abdecken. Wir können uns rauspicken, was wir gesellschaftlich als sehr relevant erachten. Das werden wir hier genauso machen, dass wir uns genau das angucken. Die Freien Sachsen, die AfD, − wie sehr ist das verstrickt mit Die Heimat, der Nachfolgepartei der NPD? Wie weit ist das verstrickt mit anderen Neonazi-Kadern? 

    Bisher seid ihr als regionales Magazin bereits in Mecklenburg-Vorpommern präsent. In welchem Moment ist die Idee entstanden, dieses Konzept auf Sachsen zu übertragen? 

    Portraitfoto, Benjamin Fredrich isst ein Eis. Das Bild ist schwarz-weiß gehalten.

    Benjamin Fredrich möchte mit dem Katapult-Magazin darüber aufklären, welche Parteien demokratisch sind und welche nicht . Foto: Katapult

    Ich habe das Problem schon lange mit mir rumgeschleppt, seit ein Typ mir letzten Sommer auf dem Machn-Festival in Leipzig eine Frage gestellt hat. Er hat erzählt, er engagiere sich viel gegen Rechtsextremismus, sei in verschiedenen Organisationen und demonstriere. Er habe aber den Eindruck, das habe überhaupt keine Auswirkungen. Ich war auf der Bühne und er hat mich gefragt: „Was kann man denn jetzt machen?“ Ich konnte dem nur eine Antwort geben, die ich mal von einem Professor bekommen habe: Dass wir weitermachen. Trotzdem war ich unbefriedigt von dieser Aussage. Ich wollte irgendwas Besonderes machen. Wir haben im Team entschieden, dass wir in den Videobereich vorstoßen wollen, in dem die AfD gerade besonders stark ist, bei TikTok und den Reels. Wir haben Ausschreibungen herausgegeben und dann diese Aktionen geplant, wo man wirklich Menschen trifft. Katapult lebt viel in den sozialen Medien. Wir posten dort und leben von Kommentaren, Likes und Teilungen. Das ist für Katapult wichtig. Gleichzeitig ist das irgendwie auch entfremdend, weil man die Menschen gar nicht mehr so richtig sieht. Diese Aktion war ein geglückter Versuch, diese Menschen kennenzulernen, ihnen Auge zu Auge Mut zu machen und Kontakte herzustellen, um zu sagen: „Hey, wir sind gar nicht so wenige Leute.“ 

    Wie sieht das genau aus? 

    Wir fahren mit einem Bus herum und haben da so um die 15.000 Zeitungen drin. Dann treffen wir uns an irgendeinem Ort und verteilen sie. Wir haben das in Sachsen leider nur in zwei Städten gemacht, Leipzig und Dresden. Davor wusste ich noch nicht, dass es nicht schlau ist, die Tournee mit den großen Städten zu beginnen, weil wir danach komplett leer waren. In Dresden war das wirklich ein Trauerspiel, schön und traurig zugleich. Es kamen so viele Leute, zum Schluss auch mit Bollerwagen und Lastenrad – und haben dann aber nichts mehr bekommen, weil wir leer waren. Das Gleiche haben wir dann nochmal hier am Augustusplatz in Leipzig gemacht, dadurch war die komplette erste Auflage für Sachsen weg. Deshalb machen wir jetzt eine zweite Demokratie-Tour und fahren zwar auch nochmal in die großen Städte, aber fügen nochmal kleinere Städte hinzu: Bautzen, Plauen, Zwickau. 

    Gibt es schon ein erstes Fazit? 

    Wir haben die erste Tour durch die drei Bundesländer, die gerade wählen, abgeschlossen. Das hat unfassbar viel Spaß gemacht. Manchmal haben uns Leute vorher in den Kommentaren Angst gemacht und gesagt: „Wenn ihr nach Gera fahrt, wird das ganz schlimm.“ Dann sind wir dahingefahren und alles war total in Ordnung. Es sind die herzlichsten Leute gekommen und die waren total dankbar, dass wir da waren. Es ist nicht alles cool in diesen kleinen Städten, aber trotzdem kann man dahinfahren und politische und journalistische Arbeit machen. Es ist nicht so, dass das eine No-Go-Area ist. Wenn es das wäre, dann hätten wir irgendwie verloren. 

    Du bist in der Nähe von Greifswald aufgewachsen und hast auch dort Katapult gegründet. Fühlst du dich „Ostdeutschland“ verbunden oder „ostdeutsch“? Ist das ein Teil der Motivation hinter dem Projekt? 

    Ich selbst habe nicht, − was es in meiner Familie auch gibt, − diesen Schmerz, den die Leute durch die Wende erlebt haben. Aber ich kann ihn verstehen. Ich kann verstehen, warum Menschen in den „neuen Bundesländern“ sich schlecht fühlen oder durch die Wende Schmerzpunkte haben. Ich selbst habe das gar nicht. Ich bin nur zwei Jahre in der DDR aufgewachsen und habe nichts mitbekommen von der Wende. Das heißt, ich komme von hier, kann diesen Schmerz verstehen, aber ich habe ihn selbst nicht. Ich glaube, das ist besser für diese Arbeit, als wenn man tief in diesem Schmerzpunkt drin ist. Oder wenn man von außen guckt und auf den „Osten“ guckt. Ich glaube, das ist eine ganz gute Mittelposition, die ich habe. 

    Wie erlebst du die Darstellung von „Ostdeutschland“ in den Medien? Es wird bekanntlich oft skandalisiert, dass gerade in den „neuen Bundesländern“ viele Menschen die AfD wählen. 

    Ohne Redakteuren eine Absicht zu unterstellen, finde ich es ein bisschen kritisch, wenn manche zwei Tage in irgendein Brennpunktviertel kommen, dort ihre Reportage machen und wieder losgehen. Das ist ein bisschen skandalgetrieben und unfair dem „Osten“ gegenüber, weil es natürlich auch ganz andere Regionen gibt. Allerdings können dann aber auch andere Journalisten eine gegenteilige Story machen. Andererseits glaube ich, der Journalismus im „Osten“ ist relativ schwach, wenn man ihn mit dem „Westen“ vergleicht. Wir haben wenig Ausbildung. Es gibt in Leipzig eine Journalismusschule und ansonsten in den „neuen Bundesländern“ keine. Das ist kritisch und da müsste man eigentlich was machen. 

    Stapel des Katapult-Magazins.

    Die Sachsen-Ausgabe im neu eröffneten Katapult-Kiosk in Chemnitz. Foto: Arvid Müller

    Soll das Magazin Katapult Sachsen in Zukunft regelmäßig erscheinen oder einmalig vor den Wahlen? 

    Ich konzentriere mich erstmal komplett auf diese Wahlen und auf die große Auflage von 400.000 Stück, die jetzt gerade verteilt wird. Erst danach werde ich weiterschauen. Wir haben bereits abgefragt, ob sich Menschen wünschen, dass diese Zeitung regelmäßig erscheint. Danach werden wir dann abfragen, wer bereit ist, dafür Geld zu bezahlen. Dann wissen wir, ob man davon eine beständige Redaktion bauen kann. Für Sachsen sieht das sehr, sehr gut aus, die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Ich werde aber trotzdem abwarten, bis wir das endgültig kommuniziert haben. Die erste Tournee ist jetzt fertig und die zweite startet jetzt diese Woche. Das muss eins nach dem anderen passieren. 

    Es gibt das Phänomen der Filterblasen und das Confirmation Bias, nach dem Menschen vor allem für die Informationen offen sind, die ihr Weltbild bestätigen. Glaubst du, dass ihr das überwinden könnt? Ist es euer Anspruch, Leute zu erreichen, die jetzt vielleicht mit der AfD sympathisieren? 

    Wir haben dieses Heft thematisch ein bisschen umgebaut. Diese Zeitung ist nicht so, wie Katapult sonst aussieht. Wir haben Themen gewählt, die in unserer Redaktion vielleicht nicht die ersten Interessen wären, dafür aber bei Leuten, die außerhalb unserer Bubble sind. Der Benzinpreis ist zum Beispiel selten Thema bei uns, obwohl es vielleicht ein Fehler ist. Wir interessieren uns mehr dafür, wie viele Windkraftanlagen oder Elektrofahrzeuge gebaut wurden. Ich glaube, das kann ein schönes Training sein, um Katapult ein bisschen umzustellen. Mir ist das ein bisschen zu bubblig geworden im letzten Jahr. 

    Die Idee bei den Verteiler-Aktionen ist, dass diese Verteiler erstmal alle stark auf unserer Seite sind. Aber dass sie das Magazin in der Familie, bei Bekannten, Verwandten, in der Firma, in Arztpraxen, in Briefkästen, überall auslegen. Sie haben alle verstanden, dass das nicht für sie zum Lesen ist. Nicht für die Leute, die auch so denken wie sie. Sondern dass das woanders hinmuss. Dass das an Leute gehen muss, die vielleicht komplett unpolitisch sind. An Leute, die noch gar nicht darüber nachgedacht haben, was das heißt, wenn die AfD regiert. 

    Titelbild: Arvid Müller

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

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