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  • Anders darf auch besser sein

    Eine Transition mittels Hormonen kann viele Gefühle auslösen. Eine Veränderung wollen und trotzdem Angst vor ihr haben. Geht das?

    „Gar nicht so klebrig wie erwartet“, denke ich mir, während ich das Gel auf meinem Oberarm verteile. 

    Heute ist der Tag an dem ich mit Testosteron angefangen habe. Freude, Unruhe, Verunsicherung und Aufregung, es gibt eine Menge Gefühle, die ich mit meiner Transition verbinde.  Mein Freund (ein cis-Mann) hat mich gestern verwirrt von der Seite angeguckt, als wir über das Testo-Gel gesprochen haben und ich nervös mit meinen Händen gespielt habe.  

    „Du hast dich so lange darauf gefreut, wieso hast du plötzlich so viel Angst?“, fragte er mich mit ehrlicher Verwunderung. Vielleicht können einige trans* Personen, besonders die mit einer Angststörung, das nachvollziehen. Ihr wollt es. Ihr wollt die Veränderung, ihr sehnt euch so lange schon danach. Und dann? Steht es plötzlich vor der Tür. Was macht mensch nun damit? Was, wenn alles schief geht? Was, wenn ich mir nicht gefalle mit den Veränderungen durch die Hormone? Was, wenn ich anderen nicht gefalle? Was, wenn es mich doch unglücklich macht? 

    Portraitfoto Leen Neumann

    Schon seit Langem freue ich mich, endlich mit Testo anzufangen. Foto: privat

    Und plötzlich sehen die 20 Prozent Angst im Gegensatz zu den 80 Prozent Freude ganz groß aus.  

    Es frustriert mich, dass meine Sorgen sich sehr viel um meine Beziehung drehen. „Ich tue das hier für mich selbst!“, schreit eine laute Stimme in mir. Aber das leise: „Ich stelle mich lieber hinten an, andere Meinungen sind wichtiger“, mischt sich oft ein.  Wir sind in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung.  Natürlich war das von Anfang an klar, für ihn stand nie zur Debatte, mich als etwas anderes als männlich zu betrachten. Meine Sorgen als trans-Mann, der noch am Anfang seiner Transition steht, ergeben nach außen hin nicht immer Sinn. 

    Wir verändern uns ständig. Trans* oder cis. Sei es, dass wir neue Hobbies aufnehmen oder uns mal dazu entscheiden, unsere Ernährung umzustellen. Vielleicht gefällt einer*m auch ein anderer Kleidungsstil irgendwann besser. Selbst der Körper macht andauernd, kleine oder auch große, Veränderungen durch. Mein Freund studiert Mathe. Würde es mich stören, wenn er sich auf einmal entscheidet Philosophie zu studieren? Nein. Würde ich ihn weniger lieben, wenn er zum Beispiel seine Haare viel länger oder kürzer tragen würde? Auch nicht.  

    Warum darf das für mich nicht auch so sein? Wieso darf ich ihm nicht auch einfach glauben, dass die Tiefe meiner Stimme oder die Behaarung meiner Arme mich nicht weniger liebenswert macht? Warum habe ich Angst, dass es mich in den Augen meiner Freund*innen und meines Freundes grundlegend verändern könnte?  

    Für viele trans* Menschen, mich eingeschlossen, ist das Trans-Sein mit Scham behaftet. Aufzuwachsen mit dem anhaltenden Gefühl, anders zu sein, nicht in die Norm zu passen. Auch dafür ausgeschlossen, ausgelacht zu werden, hinterlässt eine Wunde.  

    Mittlerweile lerne ich, besser für mich selbst einzustehen. Mir zu erlauben, authentisch zu leben, wie ich es eben möchte. Und wenn die Menschen in meinem Leben dabei sein möchten, können sie es gerne tun. Miterleben, wie ich mich mit meiner Transition entwickle. 

    Bei dem Thema denke ich oft an das Zitat von Heidi Priebe: „To love someone long-term is to attend a thousand funerals of the people they used to be.“ Es ist doch schön, den Leuten, die mensch liebt, beim Wachsen und Leben beizustehen.  

     

    Titelbild: Pixabay

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