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  • Weiß, normal, hetero? – Nicht in Leipzig!  

    Nachdem sich Akteure zu einem Gegenprotest gegen den CSD angekündigt hatten, war die Angst groß, dass sich ähnliche Szenen wie in Bautzen abspielen könnten. luhze-Redakteur*in Jo war vor Ort beim CSD.

    Der Augustusplatz ist an diesem Samstagvormittag noch eher spärlich gefüllt. In ein paar Minuten soll hier feierlich der 32. Christopher Street Day (CSD) in Leipzig eröffnet werden.  Jener Demonstrationstag, an dem tausende queere Menschen für ihre Rechte und gegen die immer noch andauernde Diskriminierung auf die Straße gehen. Noch sind die Bierbänke vor der Bühne so gut wie leer.  Einige Besucher schlendern zwischen den Infoständen diverser Parteien, Organisationen und Unternehmen umher, die sich selbst als Unterstützer der LGBTQ+ – Community in Szene setzen wollen. Doch prägen noch nicht die tausenden Teilnehmer mit ihren bunten Pride-Flaggen und Outfits das Bild. Vielmehr ist es das große Aufgebot an Polizeikräften, die mit dutzenden Einsatzfahrzeugen und mit Helmen, Schlagstöcken und Pfefferspray ausgerüstet, die Veranstaltung absichern sollen. Dieses Bild wird sich in den nächsten Stunden noch ändern.

    Dort hatten etwa eine Woche zuvor rund 600 gewaltbereite Rechtsextremisten versucht, die Veranstaltung mit einem Aufmarsch zu stören. Die geplante Abschlussfeier des CSD wurde aus Sorge um die Sicherheit der Teilnehmenden abgesagt.

    Auch für den CSD in Leipzig wurde von rechter Seite zu Störaktionen und Angriffen aufgerufen und eine Gegendemo unter dem Motto „Weiß, normal, hetero“ für etwa 1.000 Menschen angemeldet.

    Bereits vorab äußerten sich die Veranstalter des Leipziger CSD zu den Aufrufen. In ihrem Statement zur Sicherheitslage wiesen sie auf die stark erhöhte Polizeipräsenz rund um den Festzug hin. Ihnen sei bewusst, dass dies für die Teilnehmenden unangenehm sein könne, sie bitten jedoch aufgrund der Bedrohungslage um Verständnis.

    Insbesondere am Augustusplatz und am Hauptbahnhof war die Polizei präsent, um die Sicherheit des CSD zu gewährleisten.

    Nicht nur die Versammlung am Augustusplatz ist gut von der Polizei gesichert, sondern auch der Hauptbahnhof, den die rechtsextremen Gegendemonstranten als Startpunkt ihrer eigenen Versammlung auserkoren haben. Doch ein Gefühl der Sicherheit will sich bei vielen Teilnehmenden nicht einstellen. Dagegen kann die Polizei nichts tun. Wohl auch nicht, aufgrund ihrer eigenen Rolle in der Ursprungsgeschichte des Christopher Street Days.

    Der CSD geht zurück auf den 28. Juni 1969, dem Tag des so genannten Stonewall-Aufstands. In den USA der 60er Jahre wurden Homosexualität und queere Menschen strafrechtlich verfolgt. Bekannte Lokale, in denen sie sich trafen, wurden häufig Opfer willkürlicher Razzien der Polizei. So auch das Stonewall Inn in der Christopher Street in New York. Bei solchen Razzien ging die Polizei häufig gewalttätig gegen die angetroffenen Gäste vor, die nicht selten verhaftet, misshandelt wurden. In der Öffentlichkeit wurden sie durch die Veröffentlichung ihrer Identität in der Presse geächtet.  Doch an diesem Juni-Tag wehrten sich die Gäste des Stonewall Inn gegen die Übergriffe der Polizei und konnten die Beamten schnell überwältigen. Immer mehr Anwohner und Kunden der umliegenden Bars bekamen von dem Aufruhr mit und versammelten sich zum Protest vor dem Szenelokal. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei hielten mehrere Tage an.  Queere Menschen und ihre Unterstützer ließen ihrer Wut über die jahrzehntelange Verfolgung und Misshandlung durch die Polizei freien Lauf.

    Aufgrund dieser Historie scheint es so manchem CSD-Besucher schon fast zynisch, dass die Polizei nun diese Veranstaltung vor den Übergriffen rechter Gegendemonstranten schützen soll. Auch, weil sie selbst queerfeindliches Verhalten der deutschen Polizei erlebt haben.

    Während der Redebeiträge füllt sich der Platz immer mehr mit bunten Farben statt mit dem Schwarz und Blau der Polizeiuniformen.  Neben der Bühne ist eine Videotafel aufgebaut, auf der die Worte der Redner synchron in deutsche, französische sowie englische Untertitel übertragen werden.

    Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hält zusammen mit der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping (auch SPD) ein Grußwort. Jung betont, er habe kein Verständnis für den Hass auf queere Menschen und ihre Lebensweise und freue sich, dass so viele Menschen zusammengekommen seien und sich nicht haben einschüchtern lassen. Er verspricht, in enger Abstimmung mit der Polizei würde alles getan, damit es zu keiner Konfrontation mit den Neonazis komme. „Die Nazis werden weggesperrt! Punkt!“

    Neben der sächsischen Justizministerin Katja Meyer (Bündnis90/Die Grünen) kommt auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) zu Wort. Er kritisiert die Darstellung des CSD von rechten Akteuren als „Veranstaltung einer schrillen Minderheit, die Sonderrechte wollen.“ Dem entgegnet er: „Nein, wir wollen keine Sonderrechte, wir wollen grundlegende Menschenrechte. Das Recht, so zu leben, wie wir wollen, das Recht so zu lieben, wie wir wollen und dafür gehen wir heute auf die Straße!“  Zum Abschluss seiner Rede sagt Lehmann: „Unsere Demokratie wird auch auf dem CSD verteidigt.“

    In allen Redebeiträgen wird klar: der Schatten von Bautzen schwebt auch über dieser Veranstaltung. Doch es schwingt nicht nur die Angst vor gewaltsamen Übergriffen durch die angekündigten Neonazis mit, sondern auch die Angst vor den Landtagswahlen und einer möglichen AfD-Regierung. Nicht umsonst lautet das diesjährige Motto „Wir wählen Vielfalt“. Die Veranstalter und Moderatoren rufen dazu auf, progressive Parteien zu wählen und sich dem queerfeindlichen Trend in der Gesellschaft zu widersetzen.

    Im Anschluss sammeln sich die Menschen für den großen Umzug. Der CSD wird häufig von queeren Menschen und Teilnehmenden für seine Scheinheiligkeit kritisiert. Er habe sich entpolitisiert, sei nur noch eine kommerzialisierte Party, auf der Unternehmen und Parteien sich als möglichst „divers“ und „weltoffen“ inszenieren können, während sie sich an allen anderen Tagen im Jahr kaum bis gar nicht für die Rechte queerer Menschen starkmachen. Die Veranstalter betonen zwar vor dem Umzug, dass der CSD keine Party, sondern eine Demonstration sei, auf der Parade ist davon aber kaum etwas zu spüren. Bunter Glitzer und Konfetti so weit das Auge reicht. Von allen Festwagen dröhnen die gleichen Party-Remixe derselben Pop-Klassiker. Ganz hinten läuft der so genannte „Stonewall-Block“, der eigentlich auf den politischen und kämpferischen Ursprung des CSD aufmerksam machen will. Doch die Rufe und Parolen gehen im Technolärm des vorausfahrenden Wagens unter.

    Einige CSD-Besucher berichten, dass sie dieses Jahr   – unter anderem wegen der  Kommerzialisierung und Entpolitisierung des CSD–nicht teilnehmen wollten, aber die Aufrufe der Rechtsextremen hätten sie dennoch dazu ermutigt. Eine Art Trotzreaktion, um es denen zu zeigen, die das ganze Jahr gegen queere Menschen hetzen und ihnen jetzt auch noch den einzigen Tag nehmen wollen, an dem sie so sein, so leben und so feiern können, wie es ihnen gefällt.  Insgesamt finden sich etwa 21.000 Menschen zusammen. Rund siebzigmal mehr als jene Rechtsextremisten, welche Land und Kinder vor der vermeintlichen „Zwangsverschwulung“ bewahren wollen. Während der bunte Umzug störungsfrei durch die Straßen von Leipzig zieht und queeres Leben feiert, sitzen die rechten Gruppierungen als gescheiterte Spaßverderber am Leipziger Hauptbahnhof fest.

    Entgegen ihrer Ankündigung kommen die Rechtsextremen gar nicht dazu, gegen den CSD zu demonstrieren. Etwa 350 von ihnen sind nach Leipzig gekommen. Die Versammlung war für etwa tausend Teilnehmende angemeldet. Auffällig ist, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene dem Aufruf aus dem Umfeld der Jungen Nationalisten und anderer rechtsextremer Organisationen folgen. Viele sehen aus, als wären sie noch minderjährig  Begrüßt werden sie am Bahnhof von einem lauten antifaschistischen Gegenprotest – und der Polizei, welche die rechten Demonstranten schnell am Gleis festgesetzt und auf Waffen und weitere gefährliche Gegenstände durchsucht. Ihre angekündigte Versammlung lösen sie wenig später auf. Den Bahnhof verlassen dürfen sie trotzdem erst nach einer Identitätsfeststellung aller Teilnehmer. Da helfen auch keine „Ausländer raus!“- Gesänge, „Ostdeutschland“-Parolen oder Symbole wie die Reichskriegsflagge. Diese Prozedur nimmt mehrere Stunden in Anspruch und wird bis zuletzt von einem antifaschistischen Gegenprotest begleitet. Um die Moral der eigenen Truppe aufrecht zu erhalten, wird alle paar Minuten ein „Antifa: Hurensöhne!“- Gesang angestimmt, der in Parolen der mehreren hundert Antifaschisten untergeht. Der CSD ist längst vorbei als auch die letzten Rechtsextremisten die Rückreise mit dem Zug antreten dürfen.

    Der Störungsversuch endet, bevor er überhaupt stattfinden konnte. Als die Nachricht davon die Runde macht, atmen Veranstalter und Teilnehmer erleichtert auf. Zehntausende Menschen haben sich nicht von extrem rechten Bedrohungsversuchen einschüchtern lassen. Sie feiern, demonstrieren und können einen Tag so leben, wie sie es wollen. Auch wenn die Sorge vor der anstehenden Landtagswahl immer mitschwingt.

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