• Menü
  • Hochschulpolitik
  • Genderverbot an sächsischen Schulen: Mitglieder der Universität Leipzig fordern Aufhebung

    Ein Schulleitungsbrief von 2023 fordert den Verzicht von Sonderzeichen zum Gendern an sächsischen Schulen. Die Petition von Nane Pleger und Nils Rosenkranz möchte die Rücknahme der Regeln durchsetzen.

    Gendergerechte Sprache wird seit Jahren immer wieder diskutiert. So wie in Sachsen gibt es auch in anderen Bundesländern Regeln, die eine Verwendung von Wortbinnenzeichen zum Gendern untersagen. Viel Aufmerksamkeit erhielt das Verbot von Sternchen, Doppelpunkt und Unterstrich in bayrischen Behörden, an Schulen und Hochschulen im April diesen Jahres. Auch in Hessen sind die Sonderzeichen für offizielle Dokumente sowie in Abiturprüfungen untersagt.  

    An sächsischen Schulen ist das Gendern mit Sternchen und Co. in offiziellen Schreiben, Elternbriefen und Materialien für den Unterricht seit drei Jahren verboten. Seit diesem Schuljahr gilt: Schüler*innen müssen bei der Verwendung der Sonderzeichen in Schularbeiten mit Punktabzug rechnen.  

    Das Kultusministerium bezieht sich hierbei auf die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung. Das vom Rat herausgegebene Amtliche Regelwerk ist für Verwaltungen und Schulen verbindlich. Inwiefern Hochschulen von der amtlichen Rechtschreibung abweichen können, ist noch umstritten. Gerade als Ausbildungsort für angehende Lehrkräfte und Forschungsinstanz sind Hochschulen als Dritte mit den Schulen verbunden. Dem Rat zufolge, sollen alle Menschen geschlechtergerecht angesprochen werden. Dies sei jedoch eine Aufgabe der Gesellschaft, die nicht durch Änderung der Orthographie und der Rechtschreibung zu lösen sei. Die Entwicklung gendergerechter Schreibweisen würde weiterhin beobachtet werden, jedoch gehören die Wortbinnenzeichen derzeit nicht zum „Kernbestand der deutschen Orthographie“.  

    Im April 2024 erklärte eine unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung das Verbot der Sonderzeichen als problematisch. Dem Statement zufolge entspreche es den im Grundgesetz festgelegten Werten, alle Geschlechter gleich zu behandeln. Ebendies sei das Ziel gendergerechter Sprache. Ein etwaiges Verbot an Schulen könne beispielsweise das Persönlichkeitsrecht der Schüler*innen beschränken. Zudem werde die Meinungs- und Handlungsfreiheit von Lehrkräften und Schüler*innen möglicherweise verletzt. 

    Mit ihrer Petition wollen Nane Pleger und Nils Rosenkranz als Mitglieder einer sächsischen Hochschule Stellung beziehen. Pleger und Rosenkranz sind wissenschaftliche Mitarbeitende am Institut für Germanistik an der Universität Leipzig. Sie sagen: „Als Mitarbeitende einer sächsischen Universität, die einen Großteil an zukünftigen Lehrkräften ausbildet, haben wir uns in der Verantwortung gesehen, uns zu dieser Entscheidung zu positionieren. Vor allem auch aus dem Blickfeld der Germanistik heraus.“ Die Verwendung von Sonderzeichen sei bereits im Sprachgebrauch angekommen und so sei es Aufgabe von Bildungseinrichtungen darauf zu reagieren, heißt es in ihrem Statement. Schüler:innen sollen zu einem diskriminierungs- und vorurteilsfreien Umgang erzogen werden. „Somit muss auch eine souveräne Auseinandersetzung mit der Versachlichung von Geschlecht geübt, erprobt und diskutiert werden können.“, heißt es weiter. Ein Verbot der Sonderzeichen an sächsischen Schulen bedeute zudem eine Einschränkung der Kommunikation innerhalb der Ausbildung.  

    Die Petition haben bereits 840 Personen unterschrieben, davon circa 85 Prozent Studierende (Stand: 13.09.2024). Pleger und Rosenkranz stellten fest, dass nur wenige von ihnen von den Einschränkungen wussten. Das sei Teil des Problems: Es habe keine Möglichkeit zum differenzierten Austausch gegeben. Die Entscheidung wurde getroffen, ohne Betroffene wie Schüler*innen und Lehrkräfte einzubeziehen.   

    Pleger und Rosenkranz halten die Maßnahmen des Kultusministeriums vor allem für politisch motiviert. Rechtsextreme Narrative fänden in Sachsen zunehmend Anklang. Rechte Stimmen würden vor dem sogenannten „Genderwahnsinn“ warnen und mit sensiblen Themen wie Geschlecht und Identität polarisieren. Das vom Kultusministerium beschlossene Verbot befeure diese angespannte Lage. Von Pleger und Rosenkranz heißt es: „Von einer Pflicht zur Verwendung von Sonderzeichen – oder nur der Forderung danach – haben wir noch nichts gehört. So ist die Entscheidung vom Ministerium selbst die Einschränkung der Sprache, vor der aus einem rechten Narrativ heraus sonst gewarnt wird.“ 

    In Bezug auf den Rat für deutsche Rechtschreibung stellen die Germanist*innen klar, dass gendergerechte Schreibweisen teilweise über den Zuständigkeitsbereich des Rates hinausgingen. Gendergerechte Schreibweisen hätten nicht nur ein orthographische Komponente, sondern vor allem auch eine typografische und metasprachliche. Somit möchte der Rechtschreibrat die Entwicklung als ein Phänomen des Sprachwandels weiter beobachten. Mit der Empfehlung, die Sonderzeichen vorerst nicht in das Amtliche Regelwerk aufzunehmen, spreche sich der Rat keineswegs gegen die gendergerechte Sprache aus, sagen Pleger und Rosenkranz. Von dieser Empfehlung habe das Kultusministerium ein Verbot abgeleitet, welches aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar sei.  

    Derzeit wird an der Universität Leipzig mit dem Doppelpunkt eine Schreibweise umgesetzt, die alle Geschlechter berücksichtigen soll. Offiziell empfohlen wird diese Schreibweise seit einem Senatsbeschluss von 2021, in dem sich die Universität für eine „konsequente sprachliche Gleichbehandlung“ ausspricht. Laut Stabstelle für Chancengleichheit eigne sich der Doppelpunkt vor allem, da er nicht-binäre Personen berücksichtige, sich ins Schriftbild einfüge und mit den Standardtastaturen sowie in Brailleschrift mit einem Zeichen umsetzbar sei. Neben der Doppelpunkt-Schreibung sei auch der Verzicht geschlechtsspezifischer Pronomen oder die Anpassung von Artikeln geeignet, um gendergerecht zu formulieren.  

    Das Sonderzeichen-Verbot soll bis 2027 an allen sächsischen Schulen umgesetzt werden. Ein entsprechendes Vorhaben der Landesregierung für Hochschulen ist der Universität Leipzig nicht bekannt, teilte Pressesprecher Carsten Heckmann mit. In der Ausbildung angehender Lehrkräfte wolle man Mittel und Wege aufzeigen, um Schüler*innen eine souveräne Auseinandersetzung mit dem Thema gendersensible Sprache zu ermöglichen. Natürlich müssten sich Lehramtsstudierende aber im Rahmen ihrer schulpraktischen Studien mit den an den Schulen geltenden Regeln vertraut machen, so Heckmann.  

    Im kommenden Wintersemester möchten Nane Pleger und Nils Rosenkranz eine gemeinsame Stellungnahme mit anderen universitären Gruppen und Einrichtungen erwirken. Sie möchten sich mit anderen Hochschulen aus Leipzig vernetzen und eine Zusammenarbeit mit Betroffenen wie Vereinen und Gewerkschaften herstellen. Von der Universität wünschen sie sich eine offizielle Positionierung gegen die Entscheidung des Kultusministeriums. Dabei sollen auch andere sächsische Hochschulen und Universitäten unterstützen.  

     

    Foto: Pixabay

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Bunt statt nur Rosa und Blau

    Noah ist nonbinär ─ eine Reportage über bürokratische und gesetzliche Hürden, Austauschmöglichkeiten in Leipzig und die Gefahren, denen queere Menschen im Alltag ausgesetzt sind.

    Reportage | 15. Dezember 2019

    Über Sprache und Realität

    Die Diskussion um Sprache ist für Kolumnistin Nele keineswegs banal, sondern ein wichtiger Schritt zu einer gerechteren Welt.

    Kolumne | 27. September 2020