Des Fußballfans neue Kleider
Kleider machen Leute – und schaffen Erinnerungen, findet Kolumnist Eric. Eine kritische Liebeserklärung an das Fußballtrikot.
Ein schmales Paket liegt auf meinem Schoß. Unscheinbar kommt es daher, leicht ist es auch. Ich halte kurz inne, atme tief ein, bevor ich den Klebestreifen langsam abreiße und ein rotes Trikot herausnehme. Es ist das Heimtrikot des FC Bayern aus der Saison 2013/14. Ich besaß es schon damals als Zehnjähriger, es war mein erstes originales Trikot meines Lieblingsvereins. Wie stolz ich war. In Komplettmontur mit Hose und Stutzen ging es zum Fußballtraining. Jedes Mal, wenn ich mir das Jersey überstreifte, fühlte ich mich ein Stück wie mein damaliges Idol Franck Ribéry, dessen Rückennummer das Trikot zierte. Mit den Jahren kamen etliche weitere Fußballtrikots dazu. Doch die emotionale Verbindung mit dem ersten Trikot wird immer am stärksten sein. Wie es die Biologie vorschreibt, bin ich irgendwann aus dem Trikot herausgewachsen, auch wenn ich lange Zeit den Eindruck hatte, es wachse mit mir mit. Als ich nun eben jenes Trikot – wenn auch ohne Spielerflock – zu einem recht erschwinglichen Preis fand, konnte ich nicht anders: Das Trikot landete wie versehentlich in meinen Warenkorb.
Modetrend
Ich trage gerne Fußballtrikots. Weniger beim Sport, sondern mehr in der Freizeit. Mittlerweile gibt es dafür den Begriff „Blokecore“, abgeleitet vom englischen Wort „bloke“, was übersetzt für „Kerl“ oder „kerniger Typ“ steht. Eher klischeehaft wird damit eine Person beschrieben, die besonders „männlich“ und daher auch Fußballfanatiker ist. Im Modetrend werden nun (Vintage-)Trikots mit der Alltagskleidung kombiniert, in der Regel Jeans und sportlichen Sneaker. Ein Look, der seine Wurzeln ungefähr in den 1990er-Jahren hat. Mittlerweile gibt es weiterführend den feminin orientierten Begriff „Blokette“, bei dem Fußballtrikots mit Miniröcken, Kniestrümpfen und Haarschleifen verbunden werden. Gerade Retro-Trikots erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, die auch abseits der Fanszene Anklang findet. Der Rapper Travis Scott wurde schon in Trikots von Borussia Mönchengladbach und dem Hamburger SV abgelichtet, Kim Kardashian trug ein Trikot von AS Rom aus der Saison 1997/98 und auch Dua Lipa posierte schon in einem schwarz-roten Sportshirt. Auf Tiktok kursieren Videoclips, in denen Leute einem die neuesten „Bloke“-Trends erklären. Ursprünglich kleine Shops wie „Classic Football Shirts“ sind mittlerweile global agierende Konzerne, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Fußballtrikots werden förmlich gejagt. Es ist eine Jagd, die sich vor allem auf ältere Trikots fokussiert, wo die Designs oft noch auffällig ausgefallen waren. Eine Jagd, bei der für ein einziges Shirt gerne mal mehrere hundert Euro ausgegeben werden.
Das ist eine Entwicklung, die ich mit gemischten Gefühlen betrachte. Einerseits freue ich mich über das Revival älterer Trikots. Ich freue mich über die Buntheit, die der Modeszene verliehen wird. Ich freue mich auch darüber, wenn sich Leute über Trikots möglicherweise für den Sport begeistern können. Andererseits hinterlässt dieser Trend bei mir gleichzeitig ein leicht befremdliches Gefühl. Denn Fußballtrikots sind für mich nicht nur ein reines Modestück, sie sind für mich ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis zu dem Klub, den man mit dem Tragen des Trikots repräsentiert. Wenn ich ein Trikot trage, denke ich auch an die Geschichten, die das Stückchen Stoff erzählt, an die Spiele, die der Verein in dem Dress gewonnen oder verloren hat. Gerade dieser Aspekt ist es, warum ich mich nicht als „Bloke“ bezeichnen würde. Wenn ich ein Trikot anziehe, dann achte ich weniger darauf, ob das Trikot zu meiner Hose oder den Schuhen passt – ehrlich gesagt wird mir diese Entscheidung bei der geringen Anzahl an Schuhen und Hosen, die ich besitze, auch recht leicht gemacht. Wenn ich ein Trikot anziehe, denke ich vorrangig nur an die emotionale Verbindung zu einem Verein. Ich würde nie ein Trikot von Real Madrid anziehen, sei es noch so schick: Fanartikel von einem Verein, den ich einfach kacke finde, kommen bei mir nicht in den Kleiderschrank. Nur für meinen Herzensklub, für die deutsche Nationalmannschaft oder für Vereine, mit denen ich sympathisiere, greife ich gerne tiefer in die Tasche.
Problem ist: Die wenigsten werden diesen Aspekt bemerken. Manchmal habe ich das Gefühl, eine fremde Person, die mich sieht, denkt: Ein Typ mit Trikot, unbezahlte Werbefläche eines Fußballvereins, legt Wert auf Markenkleidung. Dass das Trikot für mich mehr als nur ein Kleidungsstück ist und mir Marken sonst herzlich egal sind, werden die wenigsten bemerken. Ja, in gewisser Weise entwertet der „Blokecore“-Trend das Fansein. Denn oberflächlich betrachtet sehen alle gleich aus.
Money, Money, Money
Fußballtrikots zu sammeln, ist teuer. Zum einen ist da der Preis für ein einzelnes Trikot. Beim aktuellen Heimtrikot des FC Bayern ist man (ohne Spielerflock) bei aktuell rund 100 Euro, womit man Spitzenreiter in der Bundesliga ist. Aber auch bei den günstigsten Trikots (unter anderen vom FC Heidenheim) ist man schon bei etwa 80 Euro. Mittlerweile bin ich deshalb dazu übergegangen, bei Trikots, die mir wirklich gefallen, erst bis zum Saisonende zu warten, wenn der Schlussverkauf eröffnet wird und die ersten Rabatte die Sportshirts ein wenig günstiger machen. Seien es nur 15 Euro: Es geht ums Prinzip.
Natürlich besteht auch die Möglichkeit, auf gefälschte Trikots zurückzugreifen. Auch ich habe ein paar dieser Varianten im Kleiderschrank. Doch bei den täuschend echten Repliken merkt man den Unterschied: Der Flock ist weniger langlebig, der Schnitt oft ein anderer. Und hintergehe ich nicht irgendwie meinen Lieblingsklub, wenn ich mich nicht im vereinseigenen Fanshop bediene?
Doch der Preis eines Trikots ist nicht das einzige Problem. Hat man dieses Zahlenspiel durchgespielt und sich auf einen Verein festgelegt, stellt sich die Frage: Für welches Trikot entscheide ich mich eigentlich? Mittlerweile spielen Vereine schonmal in fünf bis sechs unterschiedliche Varianten. Bedenke: In einer Saison. Gab es früher schlicht Heim-, Auswärts- und Torwarttrikot, wird diese Palette mit einem Ausweichtrikot oder diversen Sondertrikots ergänzt. Sei es ein Spezialtrikot zum Oktoberfest, für den Karneval oder ein Vereinsjubiläum: Die Marketingmaschinerie läuft stetig heiß. Manchmal entstehen dabei echte Hingucker, oft wirken diese Trikots jedoch wie ein missglücktes Gedankenexperiment. Und manchmal sind sie nur in Nuancen von einer anderen Trikotvariante aus derselben Saison zu unterscheiden. Wer also mit dem Gedanken spielen sollte, jede Trikotvariante in der Saison zu kaufen, sollte sich das mehr als zweimal überlegen. Klar: Man hat eine große Auswahl. Klar ist aber auch für mich: Man muss sich entscheiden. Jedes Trikot kann und will ich mir jedenfalls nicht leisten.
In diesem Sinne ist die Beliebtheit von Retro-Trikots auch als ein bewusster Rückzug in eine geordnete Welt zu verstehen, der Mittelfinger gegen die aktuelle Trikotindustrie. Möglicherweise ist dieser Trend auch der Grund, warum mehr und mehr Vereine alte Trikots neu auflegen. Du findest das rot-weiß gestreifte Trikot aus den Jahr 1971 cool, in dem die Bayern-Mannschaft um Franz Beckenbauer die Herzen der Menschen eroberte? Kein Problem, gibt’s aktuell im Fanshop. Doch wie oben bereits beschrieben, ist auch dies ein Markt, in dem Geld keine Rolle zu spielen scheint und in dem sich ein echter Fan die Frage stellen muss: Wo bleibe ich in diesem Karussell des Konsums? Die Antwort auf diese Frage bleibt unklar.
Mentalitätswandel?
Schließlich gibt es noch die Exittaste: Kaufe keine Trikots mehr und gib dich mit einem Exemplar zufrieden. Problematische Aspekte wie Nachhaltigkeit oder die Arbeitsbedingungen, mit denen die Trikots produziert werden, habe ich in dem Kontext noch gar nicht ausgeführt, müssen aber mitgedacht werden. Nimmt man diese Kontrapunkte zusammen, scheint ein Rückzug aus dem Trikotkreislauf sinnvoll. Doch zugegeben: Für viele Fans (mich eingeschlossen), die einmal auf das bunte Sportshirt gekommen sind, ist das auf Dauer keine Lösung.
In dem Sinne bleibt mir nur die Möglichkeit, eine Art Mittelweg zu finden. Einerseits ist die Trikotindustrie in weiten Bereichen pervertiert und man wird mit dem Kauf eines Trikots mit Sicherheit keinen Orden erhalten. Anderseits empfinde ich bei jedem neuen als auch alten Trikot eine kindliche Freude, die mich nicht loslässt. Eine kindliche Freude, wie ich sie beim Öffnen des Pakets gespürt habe und die in mir Erinnerungen an bestimmte Momente meines noch sehr jungen Lebens wecken.
Fotos: privat
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