Kunst, Paypal und der antifaschistische Kampf
Antifaschistisch soll es zugehen bei der Solidarischen Lesebühne. Seit diesem Sommer organisieren Angehörige des Deutschen Literaturinstituts das neue Projekt.
Die Veranstaltung findet in einem kleinen Holzschuppen statt und erinnert an eine autonome Open-Mic-Session. Die unverputzten Backsteinwände im Hintergrund gehören obligatorisch dazu. Für den reichlichen Besuch von ungefähr 30 bis 35 Menschen fällt der Schuppen klein aus. Das Publikum ist zum Großteil jung und urban. Nach den Ergebnissen der EU-Wahlen, so ein Beteiligter, sei die Nachfrage nach politischem Engagement vor allem in der Leipziger Großstadt angewachsen.
Vorher fehlt mir das für eine Club Mate heute das nötige Kleingeld.
Ich muss freundlich nachfragen, ob ich etwas geborgt bekomme:
Ob ich Paypal habe?
– Nein.
Schade, dann leider nicht!
So viel ist klar, die Kunst- und Kulturszene, der Kampf für den Antifaschismus und gegen den Faschismus haben eine Gemeinsamkeit: Sie leiden (trotz des Demokratiefördergesetzes, von dem am Abend noch die Rede sein wird) an chronischen Geldsorgen und sind in den Augen ihrer Anhänger unterfinanziert. Also in etwa so wie ich heute Abend. Kredit wird nicht gegeben.
Nein, Pardon wird nicht gegeben, hieß der Titel von Alfred Döblin.
Das heutige Event, nahm seinen Ausgang in einem Seminar des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL). Am Abend, zusammensitzend, so berichtet Jonë Zhitia, Studentin am Institut, wurde die Forderung laut, man müsse doch jede Woche wenigstens zwei Stunden etwas gegen den Faschismus unternehmen. Daraus entsteht das Projekt, das vor allem Anhänger des Instituts und ihre Bekannten nicht nur selbstständig organisieren, sondern auch besuchen. In Zukunft lasse sich, so Jonë Zhitia weiter, der Kreis hoffentlich erweitern und ein breiteres Publikum ansprechen.
Jede Bühne unterhält eine Solitresen, also eine Spendensammlung für ein sozial-politisches Projekt. Bei der ersten Veranstaltung waren das die Bunten Perlen Waldheim, einem „Demokratisches Bündnis für Toleranz und Vielfalt, gegen jede Form von Ausgrenzung und Faschismus“. Bei der Veranstaltung am heutigen Abend wird für Polylux, eine „Initiative gegen den Rechtsruck im Osten“ gesammelt.
Bei seiner kurzen Ansprache thematisiert Max von Polylux die Kürzungen bei diversen Projekten, die schon jetzt nicht in das Bild konservativer Politiker passen und die weiteren voraussichtlichen Auswirkungen, die die kommenden Wahlen haben werden. Der sogenannte Rechtsruck betrifft vor allem „den ländlichen Raum“, wo AfD und Konservative starke Ergebnisse erzielen. Sein Gegenprogramm umreißt Max in etwa mit den Worten: Es brauche eine emanzipatorische Politik und antifaschistische Strukturen, für ein besseres Leben und eine bessere Welt für alle.
Insgesamt lesen vier Personen (Josefa, Sophie, Constantin und Viktoria). Natürlich keine Interpretationen, sondern eigene Texte, die – wie es Kunst und Kultur bekanntlich tun – reichlich aus dem Nähkästchen und Seelenleben Leipzigs und seiner jungen Künstler*innengeneration plaudern.
Die erste Lesung ist ein Auszug aus einer lesbischen Inselromanze, die auf der italienischen Vulkaninsel Stromboli spielt. Es handelt sich um eine plastische Erzählung voll schöner Gesten und Bilder, wie etwa der schwarzen Vulkanasche, die sich auf den Wimpern einer ihrer Protagonist*innen wiederfindet. Der Vulkan, nach guter feministischer Manier – „die Brust“ – fungiert als lose Allegorie. Der gegenderte Text hat Züge, die stark an das Fin de Siecle und neue Sachlichkeit erinnern.
Entfremdung, Gefühle der Leere, Trostlosigkeit und Entzauberung sind wohl die präsentesten Themen der Texte des Abends und werden später auch bei den anderen Lesungen wiederauftauchen.
In der zweiten Lesung dreht sich alles – so heißt es schon in der Ankündigung – um Queerness, Widerständigkeit, Verletzlichkeit und Solidarität. Gedichte, die Körper und deren Identifikation problematisieren, sich kritisch mit Ordnungskategorien auseinandersetzen und einen Hang zum Morbiden haben. Die non-binäre Autorenperson erzeugt mehr eine Stimmung als eindeutige Botschaften. Die Gedichte lassen sich deswegen lediglich mit „kompliziert“ und berührend zusammenfassen, ohne sich auf einen Kern herunterbrechen zu lassen. In eine ähnliche Richtung geht auch die vierte Lesung mit ihrer verrätselten und traurigen Fantasie über die Suche nach einem toten Zwilling. Wenngleich in Form einer Erzählung,
Dazwischen bekommen wir noch eine humoristische Performance im Stil von Mark Uwe Kling serviert, die einerseits die Stimmung bedeutend auflockert, andererseits mit beachtlicher Professionalität ausgeführt wurde. In der Durchführung hinterlässt die Vorführung Eindruck. So absurd wie die Texte, sind auch die Titel, einer heißt „Über Schlesinger“, ein anderer prägt die Phrase „aus der Vertikale“. Humor ist sicher Geschmackssache, der Aufritt erntet aber einige Lacher.
Mit Jonë Zhitia, die auch am Literaturinstitut studiert, komme ich an diesem Abend etwas ausführlicher ins Gespräch. Die Ende-20-jährige fränkelt leicht. Zuerst einmal wolle sie nicht, dass sie nicht in eine (politische) Schublade gesteckt werde. Vielmehr würden ihre Texte von außen als politisch wahrgenommen. Auch das hört man als einmal an diesem Abend.
Ich frage sie nach dem Rechtsruck. Sie erklärt ihn sich aus Versäumnissen in der Zerschlagung rechtsradikaler Netzwerke und Strukturen seit 1945, die zum NSU und Hanau führten. 32 Prozent der Sachsen, die in der Europawahl AfD wählten, seien nicht zugewinnen. Diskussionen darüber, ob es sich um Protestwahlen handele, habe sie inzwischen entschieden satt. Vielmehr, so gibt sie mir zu verstehen, sei hier ein geschlossenes rechtspopulistisches Weltbild vorherrschend.
Kurz: Kein Bock mehr auf rechtspopulistische Parolen. Diskussionen erübrigten sich.
Die Dringlichkeit ihres Anliegens merkt man ihr an. Dabei wirkt sie pragmatisch, bleibt aber gleichzeitig vage: Die SPD stehe inzwischen rechts der Mitte. Allgemein müsse man sich nur kapitalistischen Verhältnis (zum Beispiel osteuropäische Gastarbeiter*innen in der Fleischindustrie) und die geschichtlichen Erfahrungen aus dem Kolonialismus ansehen, um zu verstehen, wie tiefliegend eigentlich die Probleme seien.
Rechts zu bekämpfen, ob parlamentarisch oder mittels Literatur, Aktivismus oder Engagement, das macht für sie keinen Unterschied. Einer bestimmten Partei scheint sie sich nicht zugehörig zu fühlen.
Auch für Sven, der ebenfalls am Institut studiert, steht Politisches nicht im Fokus seines Schreibens. Die Solidarische Lesebühne möchte nicht unbedingt politisch auftreten. Von ihm bekomme ich übrigens dann doch noch eine Mate ausgegeben, was ich eine dufte Geste finde. Ohnehin sieht man sich immer zweimal.
Vielleicht könnte man sagen, dass einige der Texte auf sozio-ökonomische Missstände aufmerksam machten, aber tatsächlich drückte sich die politische Botschaft bei keinem der Künstler durch Apelle, Anprangerungen oder Moralisierungen deutlich aus. Erstaunlich bleibt mir die strikte Trennung von Finanzierung, Literatur und politischem Aktivismus, die offenkundig viele zu vertreten scheinen. An diesem Abend bleibt vieles im Unklaren und mir schwirrt die niederländische Version des Liedes von Jacque Brel Min flakke Land durch den Kopf.
Die Solidarische Lesebühne hatte ihren siebenten Auftritt am 1.10.2024 in der Eisenbahnstraße. Alle Infos findet ihr unter: https://www.instagram.com/solidarischelesebuehne/
Fotos: Jonas Pohler; Titelbild: Plakatausschnitt von Polylux
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