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  • „Praktischer Naturschutz ist unsere Berufung“

    Wie arbeitet eigentlich der Leipziger Naturschutzbund? Und welche Herausforderungen muss er bewältigen? Wir haben mit dem Vorsitzenden René Sievert gesprochen, um genau das herauszufinden.

    Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) ist ein ehrenamtlicher Verein mit lokalen Gruppen in der ganzen Bundesrepublik. Die Mitglieder des NABU arbeiten fast ausschließlich ehrenamtlich, zum Teil in Vollzeit und übernehmen viele Aufgaben im Bereich des praktischen Naturschutzes. So auch René Sievert. Er ist 52 Jahre alt, Vorsitzender der Leipziger Gruppe, Mitglied im Landesvorstand Sachsen und im Bundespräsidium. luhze-Redakteur Conn Heijungs hat mit ihm über die Arbeit und Struktur des NABU und über aktuelle Herausforderungen in der Naturschutzarbeit geredet.

    luhze: Guten Tag Herr Sievert. Sie engagieren sich seit 1992 im NABU und machen inzwischen im Vorstand auch auf Landes- und Bundesebene mit. Können Sie mir erläutern, wie sich die Aufgabenbereiche des NABU unterteilen?

    René Sievert: Dafür kann man unsere Abkürzung als Gedankenstützen verwenden. Eigentlich steht NABU ja für Naturschutzbund Deutschland. Aber man kann es auch in Naturschutz, Artenschutz, Biotoppflege und Umweltbildung übersetzen. Im Grunde genommen sind das die Säulen, auf denen der NABU steht. Unser Slogan „Naturschutzmacher“ betont, dass praktischer Naturschutz unsere Berufung ist. Wir sind halt kein Protestverein. Wir seilen uns nicht von Schornsteinen ab oder kleben uns an Straßen. Unser Anliegen ist es, ganz praktisch Dinge für die Natur zu tun, manchmal auch nur kleine Dinge.

    Welche dieser Bereiche sind Ihnen besonders wichtig?

    Mir ist der Aspekt der Umweltbildung besonders wichtig. Bildung ist generell ganz wichtig, damit Menschen informiert entscheiden und diskutieren können. Aber über die ökologischen Zusammenhänge wissen die Entscheidungsträger unserer Gesellschaft leider meist viel zu wenig. Es fehlt das Bewusstsein, dass es um unsere natürlichen Lebensgrundlagen geht.

    Und ein besonderer Fokus des NABU ist der Biodiversitätsschutz. Das ist ein bisschen Alleinstellungsmerkmal des NABU in der Szene der Umweltverbände. Sie haben häufig Anliegen wie menschliche Gesundheit, Schadstoffe, Klima oder Verkehrswende. Das sind alles ehrenhafte Anliegen, die wir auch bearbeiten, aber eben nicht vordergründig. Unser besonderer Fokus ist es, immer mit Blick auf die Biodiversität zu arbeiten. Natürlich haben wir eine Klimakrise und eine Krise der Umweltverschmutzung, aber eben auch eine Biodiversitätskrise. In Expertenkreisen heißt es oft, wie wir mit der Klimakrise umgehen, wird bestimmen, wie wir in Zukunft auf diesem Planeten leben können. Aber sie sagen auch, wie wir mit der Biodiversitätskrise umgehen, wird bestimmen, ob wir auf diesem Planeten leben können. Wir müssen also das Artensterben in den Griff kriegen.

    Wenn Sie über praktischen Naturschutz und Umweltbildung reden, wie werden diese Aufgabenfelder vom NABU angegangen?

    Naja, also die praktische Arbeit in Schutzgebieten empfinde ich als den angenehmen Teil der Naturschutzarbeit. Die Betreuung von Wiesen, mähen, Kopfweiden schneiden, Nisthilfen betreuen oder auch Wiedervernässungsprojekte. Mit Blick auf naturbasierten Klima- und Artenschutz wird gerade das, die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, immer wichtiger.

    Zum Teil geht das auch Hand in Hand mit der Umweltbildung und das macht auch sehr viel Spaß, wenn man zum Beispiel Exkursionen für interessierte Menschen organisiert. Aber wir machen auch „klassische Umweltbildung“. Wir gehen also in Klassenzimmer, arbeiten mit Schulen und Kindergärten und haben eigene Kinder- und Jugendgruppen. Unsere Jugendorganisation ist, wie der NABU auch, der mitgliederstärkste Verein in diesem Bereich. Sie können eigene Akzente setzen, sorgen aber auch für Nachwuchs in den Arbeitsbereichen des NABU.

    Also gibt es auch einen Teil, der nicht so viel Spaß macht?

    Ja, natürlich. Der NABU ist ein staatlich anerkannter Naturschutzverband. Das gibt uns Klagebefugnis bei bestimmten Beteiligungsverfahren.  Im Endeffekt werden unsere Stellungnahmen häufig ignoriert. In manchen Fällen kommt es auch dazu, dass der NABU juristische Schritte ergreift. Wenn es aber gelingt, politischen Einfluss zu nehmen, ist das auch sehr positiv. Dazu gehört, dass man versucht, Kontakte zu Entscheidungsträgern zu halten.

    Zusätzlich zu unserer Gliederung in Ortsgruppen, Landes- und Bundesverband haben wir eine fachliche Säule. Das ist eine Besonderheit des NABU. Wir haben viele Freizeitfachleute und auch Profis, die sich in Fachausschüssen organisieren. Da gibt es welche, die auf lokaler Ebene aktiv sind, und die, die sich zu Landesfachausschüssen oder Bundesfachausschüssen zusammenschließen.

    Das ist ein bisschen unser Erbe aus der DDR-Zeit. Der NABU wurde ja in Sachsen gegründet, kurz nach der Wende und danach haben sich die westdeutschen Landesverbände aus dem „Bund für Vogelschutz“ mit dem ostdeutschen NABU zusammengeschlossen. Und die Fachsäule kommt eben aus dem Kulturbund der DDR und ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit, weil wir fachlich fundiert, naturwissenschaftlich basiert argumentieren. Andere, zum Beispiel emotionalere Argumente sind natürlich auch zulässig. Unsere Motivation ist es aber, naturschutzfachlich und naturwissenschaftlich informiert zu handeln.

    Wie ist die Arbeit des Vereins saisonal strukturiert? Gibt es da bestimmte Hochzeiten?

    Ja, da gibt es ein festes Schema. Im Frühling kommt die Amphibienwanderung, die wir begleiten und sichern. Wir erfassen Populationsgrößen und beobachten die Laichgewässer. Dann kommt die Vogelbrutzeit und wir machen Brutvogelkartierungen.  Im Sommer geht es dann mehr um Fledermäuse. Da versuchen wir auch, einen Überblick über das Artenspektrum zu bekommen. Im Sommer geht es auch viel um Insekten, und im Herbst dann mehr um Landschaftspflege. Zum Beispiel starten wir dann Müllsammelaktionen, Wiesen werden gemäht, Bäume und Sträucher gepflanzt oder Blühflächen gesät. Im Winter werden Nisthilfen gewartet und Gehölze geschnitten, zum Beispiel Kopfweiden oder Obstbäume.

    Zur Vogelbrutzeit gibt es zusätzlich unsere Wildvogelhilfe, die sich nicht nur um den Schutz von Vogellebensräumen kümmert, sondern tatsächlich auch um bedürftige Individuen. Pro Jahr betreuen wir ungefähr 300 Vögel, viele davon Mauersegler, aber auch viele Stockenten. Und parallel dazu läuft unsere Hautflügler-Beratung, die Menschen zum Umgang mit Bienen, Wespen und Hornissen berät.

    Wo sehen Sie aktuell die größten Probleme des NABU?

    Das sind sicherlich der gesellschaftliche Wandel und die rechtlichen Änderungen. Unter den Stichworten „Beschleunigung“ und „Bürokratieabbau“ ändert sich die rechtliche Lage zunehmend so, dass Bürgerbeteiligung immer weiter erschwert wird. Manchmal wird das so dargestellt, als ob die Naturschutzvereine an den aktuellen Problemen unserer Infrastruktur schuld sind. Das ist natürlich Quatsch. Wir greifen sehr selten zu juristischen Mitteln und sind noch viel seltener dazu in der Lage, naturschädliche Projekte zu stoppen. Und eben der gesellschaftliche Wandel. „Weltverbesserer“ oder „Gutmensch“ werden ja schon als Schimpfworte gegen solche benutzt, die sich für ihre Mitmenschen, soziale Belange oder das Gemeinwohl einsetzen.

    Das führt zu Frust im Verein. Manche ziehen sich zurück, bearbeiten Dinge, die sie selbst kontrollieren können. Das geschieht dann im kleineren Rahmen des praktischen Naturschutzes. Andere meinen, so gehe es nicht weiter und wir müssten uns radikalisieren – so Richtung Letzte Generation oder Ende Gelände. Und dann gibt es neue strategische Überlegungen. Dass man halt direkt an die Wirtschaft und Landwirtschaft tritt und im Gespräch versucht herauszufinden, was die Leute freiwillig für den Naturschutz leisten könnten und wozu sie bereit wären.

    Wie können Interessierte den NABU Leipzig unterstützen?

    Die erste Möglichkeit ist, selbst praktisch mitzuarbeiten. Es gibt organisierte Exkursionen, aber häufiger verbinden wir die Events mit praktischen Aufgaben. Da geht man zum Beispiel Sträucher pflanzen, Wiesen mähen oder Nistkästen pflegen. Da kann man jederzeit gerne dazukommen und unterstützen oder sogar richtig einsteigen.

    Als ehrenamtliche Non-Profit Organisation leben wir natürlich auch von Spenden. Das finde ich auch immer bewundernswert, wenn Menschen trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage so ihren Teil beitragen. Auch einige Mitglieder sehen im finanziellen Engagement ihren Beitrag zum Naturschutz. Der Mitgliedsbeitrag ist zwar gering, da wir aber so viele Mitglieder haben, lässt sich damit eine gewisse Grundausstattung finanzieren. Fast noch wichtiger ist aber das Signal des gesellschaftlichen Rückhalts. Unsere Mitglieder bieten uns eine Argumentationsgrundlage, zum Beispiel vor der Stadtverwaltung. Deshalb sind wir über jedes Mitglied dankbar, ob sie bei allen Aktionen dabei sind oder uns über den Mitgliedsbeitrag unterstützen und Rückhalt signalisieren.

    Foto: René Bauer

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