Von Licht und Schatten
Die Ausstellung „Impuls Rembrandt“ beleuchtet das Verhältnis von ihm zu seinen Schülern – und zeigt einen ganzen Haufen wahrer Meisterwerke.
Es ist dunkel im Kellergeschoss des Museums der bildenden Künste (MdbK). Dort, wo sonst häufig strahlend weißes Licht den Ausstellungsraum beleuchtet, sind heute lediglich einzelne Spots auf die Bilder gerichtet, die sich an den Wänden entlangziehen. Zwischen diesen Lichtpunkten gehen die Besucher*innen der Pressekonferenz vor den Bildern entlang, ähnlich gekleidet wie das normale Museumspublikum, viel schwarz, viel grau, vielleicht einige Anzüge mehr als normalerweise. Zu zweit oder zu dritt im Gespräch, welches ab und an unterbrochen wird vom Aufheulen der Alarmanlage, die wegen des Wertes der Bilder für diese Ausstellung scheinbar besonders scharf gestellt worden ist. „Sie hören schon, die Ausstellung hat durchaus einige Soundeffekte zu bieten“, scherzt der etwas steif wirkende Museumsdirektor Stefan Weppelmann später, als der Alarm seine Rede unterbricht. Die Security scheint allerdings nicht viel zu befürchten von den Vertreter*innen der Presse, die nicht ehrfürchtig vor den Bildern entlang schreiten, sondern zügig durch die Räume gehen. Sie beugen sich vor, um ein Detail zu inspizieren oder mit dem Finger auf etwas zu zeigen: Auf eine runzelige Hand einer Greisin, die auf einer Bibel liegt, auf den Faltenwurf eines Turbans oder auf die Reflexion einer Perlenkette.
Imitation des Meisters
Schließlich möchte man sich, bevor die Konferenz beginnt, schnell einen Gesamteindruck der Ausstellung machen. Doch das ist gar nicht so einfach bei insgesamt 142 Gemälden, Radierungen und Zeichnungen. Man sucht nach den Bildern des Meisters, nach dem typischen Rembrandtstyle, dem Leuchten, dem vieldeutigen Gesichtsausdruck, nach diesen Figuren, die vor ihrem schwarzen Hintergrund so aussehen, als wären sie ganz allein auf der Welt. Man findet ihn, entdeckt dann aber, dass neben dem Bild nicht etwa „Rembrandt van Rijn“, sondern zum Beispiel „Ferdinand Bol“ oder „Jan Lievens“ steht. Dies ist eine der Überraschungen, auf die es die Ausstellung abgesehen hat. Nur rund 60 der ausgestellten Werke werden Rembrandt selbst zugeschrieben, die anderen stammen von Kollegen und vor allem von Schülern Rembrandts. Die Grenzziehung zwischen dem Meister und Adepten wird nicht zuletzt durch die Hängung der Bilder unterminiert, die die Unterrichtspraxis in der rembrantschen Werkstatt in den Mittelpunkt rückt. Klar wird dabei, dass die Schüler nicht nur lernten, zu malen wie der Meister, sondern auch sich entsprechend zu vermarkten. „Lehrer, Stratege, Bestseller“ heißt entsprechend der Untertitel der Ausstellung.
Die Imitation des Meisters nahm dabei teilweise groteske Züge an. So enthält die Ausstellung einige „Selbstbildnisse“ Rembrandts, die nicht von Rembrandt selbst stammen. Wenn jedoch die Schüler malen wie der Meister und sich dann auch noch die gleichen Motive vornehmen, wird fraglich, ob sich der Unterschied überhaupt noch auf wahrnehmbarer Ebene feststellen lässt. Die Ausstellung präsentiert Rembrandt dementsprechend nicht als autonom arbeitendes Genie, sondern als „Marke“ und „bettet den Künstler in die soziokulturellen Strukturen ein, statt eine reine Faszinationsgeschichte fortzuschreiben“, wie Christoph Willmitzer von der Kulturstiftung der Länder ausführt.
„Maker-Space“ in der Ausstellung
Diese Verschiebung vom Genie zur kollektiven künstlerischen Praxis passt gut in den gegenwärtigen Mitmachzeitgeist und so gibt es dann auch einen kleinen Rembrandt-Comic der Leipziger Künstlerin Anna Haifisch zum Selbstausmalen für die „jüngeren Gäste“, den Weppelmann in die Luft hält, um dann zu ergänzen: „Es ist auch sehr witzig“. Neben dem Comic gibt es außerdem noch einen „Rembrandt Studio“ wo man sich selbst mit Cape und Barett vor einer violetten Lampe rembrandtstyle in Szene setzen kann. Oder man schwingt selbst den Bleistift und überträgt einen Detailausschnitt aus der Ausstellung auf ein Kärtchen, welches dann mit vielen weiteren zu einem „Gesamtkunstwerk“ zusammengefügt wird. Doch die Versicherung des Direktors, dass dieser „Maker-Space“ nicht nur „nice to have“ ist, sondern es sich vielmehr um einen integralen Bestandteil der Ausstellung handelt, klingt ein bisschen gewollt und die Aufforderung des Kurators an die Presse, diesen Raum bitte unbedingt auch zu besuchen, wirkt fast flehentlich.
Und hier wird dann auch spätestens ein Problem klar: Einerseits soll das Genie im Kontext seiner Werkstatt gezeigt werden, denn nur so lässt sich legitimieren, warum eine Rembrandtausstellung überhaupt in Leipzig stattfinden soll. Denn laut dem Kurator Jan Nicolaisen ergibt es keinen Sinn, eine Ausstellung auszurichten, die nichts mit der eigenen Sammlung zu tun hat. Allerdings verfügt das MdbK selbst neben einigen Stichen nur über eine einzige Zeichnung die Rembrandt selbst zugeschrieben wird – Werke seiner Schüler gibt es dagegen zuhauf. Entsprechend wird der Wert der Bilder der Schüler betont und die Zeichnungen und Stiche hervorgehoben. Nicolaisen behauptet gar, die Papierarbeiten seien „genauso wichtig oder berührend wie die Gemälde“ und sagten vielleicht noch mehr aus, „weil man hier beim Entwerfen zuschauen kann.“ Andererseits ist aber allen Anwesenden klar, dass eine Ausstellung, die sich allein Stichen, Zeichnungen und den Schülern Rembrandts widmen würde, lange nicht die gleiche Aufmerksamkeit zukommen würde, wie die jetzige mit originalen Gemälden des Meisters. So wird dann auch betont, dass man in Hinblick auf die Beschaffung originaler Gemälde keine Kosten und Mühen gescheut habe und diese nicht nur aus Deutschland, den Niederlanden, Schweden und England, sondern eines sogar aus New York hat herbringen lassen.
Frage der Autorschaft
Aufgrund dieser Widersprüche kann man sich trotz des großen Erfolgs, den die Ausrichtung einer Ausstellung solchen Formats für das MdbK bedeutet, bisweilen nicht dem Eindruck erwehren, dass hier aus der Not eine Tugend gemacht wird und man doch vom „Rijksmuseum“ am liebsten auch noch die „Nachtwache“ bekommen hätte. Man will sich dem Attributionsspiel „Rembrandt oder Nichtrembrandt“ entziehen, wird aber immer wieder auf die Frage nach der Originalität zurückgeworfen. Antworten auf diese Frage sind im Fall von Rembrandt notorisch schwierig, so wurden dem niederländischen Meister Anfang des 20. Jahrhunderts noch über 600 Bilder zugesprochen, nach einer eingehenderen Prüfung waren es zwischenzeitlich nur noch 240, wobei sich die Anzahl der Originale in den letzten Jahren wieder erhöht hat.
Der turbulente Wandel der Einschätzung über die Autorschaft kulminiert in der Geschichte des Gemäldes „Der Mann mit dem Goldhelm“. Das nach den Worten des Kurators wohl „berühmteste Bild Rembrandts, das nicht von Rembrandt ist“, stellt einen der Höhepunkte der Ausstellung dar. Lange Zeit war es eines der Prunkstücke der Berliner Gemäldegalerie und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts sogar zum nationalistischen Symbol für das Deutschtum stilisiert. In dem Mann, dessen verfinstertes Gesicht von einem goldenen Helm überstrahlt wird, meinte man bisweilen Bismarck zu erkennen. Seit den 1980er Jahren wird dieses Bild jedoch nicht mehr Rembrandt selbst, sondern lediglich seinem Umfeld zugesprochen. Allerdings taucht er in der Pressemappe unter den Originalen auf. Ein Fehler, der auf Nachfrage sofort richtiggestellt wird, den man aber durchaus als freudsche Fehlleistung verstehen sollte: Als kontrafaktische Wunscherfüllung.
Man könnte die Frage der Autorschaft als nebensächlich abtun, schließlich bleibt das Bild ja gleich, wen kümmert es da, wer es gemalt hat. Das Problem ist, dass die Ausstellung einer solchen Auflösung der Autorschaft ein Stück weit entgegenkommt, denn das Sprechen von der „Marke“ Rembrandt evoziert, dass die künstlerische Qualität von einem Set erlernbarer Qualitäten abhängen würde. Und auch Nicolaisens Bemerkungen bezüglich der Zeichnungen mögen zwar in Bezug darauf richtig sein, dass sich anhand dieser besser rekonstruieren lässt, wie Rembrandt gelehrt hat. Dies heißt allerdings nicht, dass es neben diesem historischen Wert nicht auch einen künstlerischen Wert gibt, der bei einem vollendeten Gemälde durchaus höher sein kann als im Fall einer Zeichnung. Dieser künstlerische Wert hängt davon ab, welche Aussage ein Werk machen kann, wenn es von Rembrandt ist und welche, wenn es beispielsweise von Willem Buytewech ist.
Die Frage nach der Wertigkeit, des Gehalts oder selbst danach, ob wir es überhaupt mit einem Kunstwerk zu tun haben, lässt sich nicht abgekoppelt von der Autorschaft beantworten. Wir haben es nicht einfach mit einer bestimmten Anordnung von Pigmenten auf einer Leinwand zu tun, sondern mit Entscheidungen, Sehnsüchten, Schmerz und Hoffnungen, die sich in den Bildern ausdrücken. Ob wir davon auch Jahrhunderte später immer noch getroffen werden können, lässt sich nicht über die Beherrschung technischer Mittel absichern, sondern nur ermöglichen. Dass dies nicht nur Rembrandt, sondern auch einer Menge seiner Schüler gelungen ist, lässt sich in der Ausstellung im MdbK bestaunen. „Dass man nicht unberührt aus diesen Räumen gehen kann“, wie die Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke in der Pressekonferenz behauptet, ist jedoch keine Notwendigkeit. Das wird jede*r selbst sehen müssen.
Die Ausstellung ist noch bis 26.01.2025 im Museum der bildenden Künste zu sehen. Die vorherige Anmeldung wird empfohlen, da es ansonsten zu längeren Wartezeiten kommen kann.
Foto: Leon Tiemeier
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.