Einladung zum Gruseln
Kolumnistin Anne ist traurig über das Ende des Sommers. Halloween ist für sie ein schauriger Lichtblick in der trüben Jahreszeit.
Die Sommerhitze ist durchgestanden, ein angenehm kühler Wind weht die bunten Blätter von den Bäumen, die Wollpullis und Kuschelsocken können aus dem Schrank hervorgekramt werden – so stellen sich viele den romantisierten Herbst vor. In der Realität besteht er allerdings aus matschigem Nieselregen, zu wenig Tageslicht und kratzigen Synthetikpullis. Ich bin ehrlich: Ich schwitze lieber am Badestrand, statt mir im überfüllten Starbucks einen viel zu teuren Pumpkin-Spiced-Latte zu bestellen – der kann mir nur schwerlich darüber hinweghelfen, dass der Sommer wieder viel zu schnell vorbei ging.
Doch all das Bedauern kann den Lauf der Jahreszeiten nicht aufhalten. Immerhin klopft Ende Oktober eines meiner Lieblingsfeste mit seinen knochigen Fingern an unsere Türen: Ich bin ein absoluter Halloween-Fan. Im Herbst will ich keine Kürbissuppe essen, ich will auch keine langen Herbstspaziergänge machen oder ein Schaumbad im Kerzenschein nehmen. Ich will den Sommer vermissen und auf den Tag warten, an dem dessen Vergänglichkeit betrauert wird. Denn der Ursprung von Halloween liegt im keltischen Fest Samhain, das in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November den Übergang vom Sommer zum Winter markierte. Die Kelten glaubten, dass in dieser Nacht die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten verschwimmen. Um nicht von bösen Geistern heimgesucht zu werden, verkleideten sie sich und entzündeten ein Feuer. Die Tradition wurde vom Christentum übernommen, welches seit an Allerheiligen verstorbene Märtyrer betrauert. Daher stammt auch der Name „Halloween“. Denn „Allerheiligen“ heißt auf englisch „All Hallows‘ Day“. Der Abend davor – „All Hallows‘ Eve“ – wurde schließlich zu „Halloween“. Ich persönlich habe glücklicherweise keine Verstorbenen in meinem engeren Umfeld, die ich beweinen könnte. Deswegen betrauere ich an Halloween das Ende des Sommers.
Für Gruseliges habe ich eine gewisse Vorliebe. Die Psychologie kann erklären, warum sich Menschen gerne gruseln: Das Gehirn spielt Angstsituationen durch, um im Ernstfall darauf vorbereitet zu sein. Während eines Horrorfilms, bemerkt das Gehirn, dass wir uns in einer gefährlichen Situation befinden und diese überstehen, ohne draufzugehen. Das bewertet es als positiv und setzt Dopamin frei. Das Gehirn freut sich über die Gefahrenübung und belohnt den Körper mit Glückshormonen. Wer mehr über das Thema wissen möchte, kann sich das Quarks-Video dazu anschauen.
Ich bin kein spirituell veranlagter Mensch. Gerade deswegen nutze ich Halloween, um mich einmal im Jahr mit dem Verborgenen und Übernatürlichen auseinanderzusetzen. Die dunklen Tage bieten eine gute Möglichkeit, sich mit einer Seite von uns selbst zu befassen, die wir sonst möglicherweise nicht zulassen. Halloween ist ein Abend, der uns erlaubt, unterdrückte Wünsche zuzulassen. Ob diese darin bestehen, die Nacht bei einer Fetisch-Party zu verbringen oder den Süßigkeiten-Schrank zu plündern, bleibt jedem selbst überlassen.
Nicht zuletzt ist der Grusel auch ein Spiel mit der Vorstellungskraft. Im Alltag, der oft vorhersehbar und routiniert ist, bietet er eine willkommene Abwechslung. Verkleidungen zu Halloween bieten beispielsweise eine Möglichkeit, in andere Realitäten einzutauchen. Ich empfehle jedem, sich an Halloween als eine Person zu verkleiden, von der man immer fasziniert war. Die hart gesottenen wählen womöglich einen bekannten Gruselfiguren. Allerdings ist es auch interessant, für einen Abend in die Rolle einer Künstlerin oder einer Kindheitsheldin zu schlüpfen. Vielleicht können wir uns durch Verkleidungen unseren Vorbildern annähern und etwas von ihnen mit in den Alltag nehmen.
Halloween ist immerhin ein Trostpflaster auf der klaffenden Wunde, die das Ende des Sommers hinterlässt. Ich nutze den Abend, um mich mit Übernatürlichem und der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Ich kann meine Ängste spielerisch ausleben. Ich kann mich fragen, wer meine Vorbilder sind, und wie ich diesen auch im Alltag ähnlicher werden kann. Besonders den nicht spirituell Veranlagten empfehle ich, sich dieses Jahr auf eine Reise in die inneren Abgründe zu gegeben. Oder wenigstens an der Oberfläche der verborgenen Wünsche zu kratzen.
Fotos: ab
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.