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  • Ophelia bekommt endlich ihre Sprechanteile

    Im feministischen Stück „Ophelias Tränen“ im Schauspiel Leipzig hat Ophelia aus Shakespeares „Hamlet“ die Bühne für sich, um die Geschichte auf Schloss Kronberg aus ihrer Perspektive zu erzählen.

    In dem neuen Stück „Ophelias Tränen“ am Schauspiel Leipzig stellt sich Ophelia die Frage, ob sie lieber „weinen oder nicht weinen“ soll. Es stellt sich also nicht der männliche Protagonist Hamlet aus dem gleichnamigen Shakespearestück von 1623 die wohl berühmteste Frage aller Zeiten: „Sein oder Nichtsein?“ Ophelia entscheidet sich für das Weinen. Anstatt sich für ein Stillsein zu entscheiden, wie so viele Frauen in Theaterstücken, gibt Ophelia ihre belanglose Nebenrolle im Schatten des Titelhelden auf. In dem einstündigen Ein-Frau-Stück von Lina-Marieke Wegner und Paula Winteler, die auch die Hauptrolle spielt, hat Ophelia den Raum, ihre eigene Geschichte zu erzählen. 

    Das Stück beginnt mit einer ungewohnten kritischen Reflexion der eigenen unerfüllten Ansprüche an das Theaterstück selbst. Das Theater als politischer Ort solle die Gesellschaft verändern und die Welt bewegen. Theaterstücke sollen aktivistische Manifeste und Ausgangspunkten für weltweite Revolution sein. Dies sei mit dem Stück angestrebt worden, aber in der Realität leider misslungen.  

    Sodann steigt Ophelia in weißem Badekostüm von Maryna Iania (Bühne und Kostüm) in eine Badewanne, um sich wohl einer ästhetischen Self-Care-Routine zu widmen. Die Me-Time der Ophelia wird dabei von Anrufen wichtiger Literaturkritiker und rolliger Liebhaber gestört. Irgendwann fängt Ophelia an, ihre eigenen, selbstkomponierten Lieder zu singen, die sie mit dem Duschkopf live auf der Bühne mixt. Sie erzählt von ihrem Bruder Laertis und ihrem Vater Polonius, anstatt dass diese über ihre vermeintlich naive Liebe zu Hamlet sprechen. Zur Veranschaulichung der Geschichte setzt Paula Winteler auf kreative und witzige Weise ihre Füße ein, um Dialoge mit Hamlet nachzuspielen. 

    Szene aus dem Theaterstück. Ophelia in der Badewanne.

    Hamlets Geliebte bekommt endlich ihre Bühne.

    Das Stück bietet dabei, keinen revolutionären Einblick in die Gefühlswelt der Ophelia. Sie ist keine neue feministische Ikone mit revolutionären Ideen. Das Stück bleibt also oberflächlich.  

    Irgendwann wird das Stück abgefahren und unverständlich. Ophelia befindet sich auf einmal zwischen Süß-Mäusen in Schweizer Käselöchern in ihrer Badewanne und steht vor lauter Tränen bald völlig unter Wasser. Ihre Gefühlswelt bleibt dabei diffus. Eine Neuinterpretation der Ophelia-Figur bleibt aus. Auch die Popsong-Hits über die vergebliche Liebe zu Männern von Lana Del Rey, Adele, Billie Eilish und Sinéad O’Connor sorgen zwar für eine gute Stimmung, können aber zu einem tiefgründigeren Verständnis der Ophelia nicht verhelfen.  

    Dennoch regt das Stück zum Nachdenken an. Denn es bleibt der tiefe Eindruck, dass die Lage von Frauen im Theater, in Kunst und Kultur zum Heulen ist. Durch eingebaute Fußnoten von Theaterkritikern wird veranschaulicht, dass Frauen unter dem männlichen Blick im Theater ihren Platz als ästhetische Nebenrollen haben sollen, wobei das größte aller Gefühle die Poetik sei, die in ihrem Tod liegt. Dies erklärt, warum Ophelia am Ende von „Hamlet“ ins Wasser geht, ohne dass ihr eigenständiger Charakter abgebildet wird. Das Stück weist auf die immer noch vorhandenen Missstände in der Gleichstellung von Frauen* hin und erzeugt durch seine feministische Ausrichtung Tiefgründigkeit.  

    Das Stück revolutioniert nicht die Rolle der Ophelia. Trotzdem ist der Besuch sehr lohnend. Die Inszenierung von Paula Winteler ist nicht nur unterhaltsam, sondern bricht auch mit einer jahrtausendealten Männerdominanz in Theaterrollen. So heißt es in „Ophelias Tränen“ zur Abwechslung einmal: Bühne frei für Frau*.  

    „Ophelias Tränen“ feierte am 11. September Premiere und ist noch am 16. November im Schauspiel Leipzig zu sehen.

     

    Fotos: Rolf Arnold

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