Ausbeutung oder gute Zusammenarbeit?
Die Produktions-Bedingungen der Ersti-Beutel sind umstritten an der Universität Leipzig. In diesem Jahr erreichte der Konflikt eine neue Stufe der Eskalation – und das Packen wurde anders organisiert.
Wer kennt sie nicht: Die geliebten Beutel mit allerlei wichtigen Geschenken – unter anderem der letzten luhze-Ausgabe – die allen Erstsemester-Studierenden der Universität Leipzig pünktlich zum Semesterstart zur Verfügung gestellt werden. Im Oktober wurden diese „Ersti-Beutel“ wieder vom Student*innenrat (Stura) der Universität Leipzig verteilt. Doch ganz so einfach war das dieses Jahr nicht – beinahe wären die neuen Studierenden sogar mit leeren Händen nach Hause gegangen.
Das Thema bereitet schon länger Probleme: Die etwa 6.000 Beutel werden von der Universität Leipzig bestellt und vom Stura verteilt, so die Einigung. Die Universitätsleitung arbeitet dabei schon seit Jahren mit dem Kulturfalter, einem Verlag aus Halle, zusammen, der für das Packen und die Aufbewahrung der Beutel die Lindenwerkstätten der Diakonie Leipzig in Schkeuditz beauftragt. Soweit, so gut – wäre da nur nicht die Tatsache, dass in den Werkstätten Menschen mit Behinderung arbeiten, die keinen Mindestlohn für ihre Arbeit bekommen, sondern nur etwa zwei Euro pro Stunde. Der Stura kritisiert dies seit drei Jahren als „Ausbeutung“, so Stura-Vertreterin Lone Bettin, und plädiert dementsprechend für eine Produktion der Beutel unter besseren Bedingungen.
In einem Beschluss vom Mai 2023 bat der Stura die Universität um Neuverhandlung des Vertrages mit dem Kulturfalter. Weil danach aber immer noch dieselben Werkstätten unter denselben Arbeitsbedingungen die Beutel packten, beschloss der Rat im Juni, diese zukünftig nicht mehr auszuteilen, wenn die Bedingungen dieselben bleiben würden. Die Universitätsleitung weist die Verantwortung von sich: „Die Universität Leipzig hat für die Befüllung der Erstsemesterbeutel eine Behindertenwerkstatt nie direkt beauftragt“, heißt es aus der Pressestelle.
Der Kulturfalter reagierte überrascht auf den Beschluss des Stura. Man hätte beim Kulturfalter „bedauerlicherweise” wenig vom Konflikt mitbekommen – müsste nun aber die Konsequenzen des Stura-Beschlusses tragen und sehr kurzfristig die Produktion der Beutel umstellen, erklärt Mitarbeiter Martin Große im Gespräch mit luhze. Studierende übernahmen dieses Jahr also die Befüllung der Beutel und erhielten dabei den Mindestlohn. Wegen der schnellen Umstellung konnte der Kulturfalter keinen finanziellen Umsatz machen, dafür sei es aber schneller und „überraschend sehr gut“ gelaufen. Die Studierenden arbeiteten drei Tage an der Befüllung, wogegen in den Vorjahren zwei Wochen in der Diakonie nötig gewesen waren.
Über die Arbeitsbedingungen in den Lindenwerkstätten ist Große zwiegespalten: „Ich halte es für den falschen Ansatz, die Zusammenarbeit mit der Diakonie einzustellen.” Denn es gebe für die Firma große Vorteile in dieser Kooperation, unter anderem der, dass die Beutel am selben Ort gelagert und gefüllt werden. „Ich kann aber die Kritik zum Teil verstehen, es ist klar, das System muss reformiert werden”, sagt Große.
In der Werkstatt ist die Stimmung ganz anders. „Hier wird niemand ausgebeutet“, sagt Fred Umlauf, Leiter der Werkstätten, und bedauert dabei vor allem eins: Der Stura habe die Einladungen abgelehnt, die Werkstatt zu besuchen und sich die Lage vor Ort anzuschauen. „Wir wissen, dass es nichts bringen wird, sie sind in diesem zweiten Arbeitsmarkt-System gefangen”, sagt Bettin dazu. Darauf erwidert Umlauf: Die Lindenwerkstätten seien keine klassischen Erwerbsarbeitseinrichtungen, sondern berufliche Rehabilitationseinrichtungen. Ihr Auftrag bestehe dementsprechend darin, Menschen mit Behinderung bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu helfen.
Die Debatte um eine Einführung des Mindestlohns ist Umlauf nicht unbekannt: „Es wäre natürlich sehr schön, aber es gibt auch Nachteile. Wenn die Mitarbeiter*innen der Werkstatt den Mindestlohn erhielten, könnten ihnen andere wichtige Sozialhilfen gekürzt werden.” Vor diesem Hintergrund sei das Thema komplexer, als der Stura es darstelle, vor allem „zu weit entfernt von der Realität”. Doch auch wenn die Lösung dieses Problems von anderen Akteuren gelöst werden muss, besteht der Stura darauf, dass die Arbeitsbedingungen, unter denen die Beutel hergestellt werden, geändert werden müssen: Zwei Euro pro Stunde seien zu wenig. In diesem Jahr konnten die Ersti-Beutel gesichert werden – wie es weitergeht, wird im November verhandelt.
Foto: Stura der Universität Leipzig
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