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  • „Und wenn sie uns nicht hören, dann werden wir weiter laut sein!“

    Die studentische Vollversammlung beschließt Forderungen der Studis gegen Rechts, um die Universität Leipzig vor dem „Rechtsruck“ infolge der Landtagswahl zu schützen.

    Am 29. Oktober 2024 fand im Audimax der Universität Leipzig eine studentische Vollversammlung statt. Eingeladen hatten die Studis gegen Rechts Leipzig zusammen mit dem Student*innenRat (Stura) der Universität Leipzig. Laut den Veranstaltenden folgten etwa 1500 Studierende der Einladung, sodass um 14 Uhr nicht nur der Audimax voll war, sondern auch eine große Gruppe Studierender die Versammlung per Stream im Augusteum verfolgte. Die Tafel und auch die hintere Wand des Hörsaals waren mit Transparenten versehen, auf denen Sprüche wie Unser Campus Nazifree! oder Kein Platz für Rassismus auf unserem Campus zu lesen waren. 

    Die Studis gegen Rechts Leipzig sind Teil einer bundesweiten Vernetzung von Studierenden. Ihre Ortsgruppe habe sich Anfang dieses Jahres gegründet, erzählt Ilia, ein Mitglied von Studis gegen Rechts, der luhze. Die Gruppe bestehe zurzeit aus etwa 20 bis 30 Aktiven, die sich darüber Gedanken machen würden, wie sich der Rechtsruck auf die Universitäten und Hochschulen in Sachsen auswirken könnte. Um einer Entwicklung nach rechts entgegenzuwirken, hatte die Gruppe sechs Forderungen aufgestellt, die im Rahmen einer studentischen Vollversammlung diskutiert und verabschiedet werden sollten. 

    Was kann eine Vollversammlung? 

    Zu den Klängen der Rapperin Sokkee eröffneten die beiden Moderatorinnen von Studis gegen Rechts die Vollversammlung mit einer Beschreibung der aktuellen politischen Lage in Sachsen nach den Landtagswahlen. Für die Studis gegen Rechts sei die AfD keine normale Partei, sie plane vielmehr den Umsturz der demokratischen Ordnung. Und es wäre an der Zeit sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, statt ihr weiter tatenlos zuzusehen. Dieser Begrüßung schlossen sich Tilman und Lara vom Stura an und informierten die Anwesenden kurz über die Funktionsweise einer studentischen Vollversammlung. Diese kann von Studierenden oder vom Stura selbst beschlossen und einberufen werden. Für diesen Anlass würde Letzteres zutreffen, so Tilman. Die Vollversammlung könne die Durchführung eines Student*innenentscheides beschließen, ansonsten haben die Beschlüsse der Versammlung einen empfehlenden Charakter. Die an diesem Tag zur Abstimmung stehenden Forderungen an das Rektorat der Universität Leipzig sind folglich als Empfehlung einzuordnen. 

    Den ersten Teil der Versammlung prägten Redebeiträge von Personen, die alle auf ihre Art an der Uni Leipzig mitwirken. Den Anfang machte Dareen, die als Stura-Referentin für Antirassismus von ihrem langen Kampf gegen Rassismus an der Uni Leipzig erzählte und wie dieser sie erschöpft habe. In ihrer Rede berichtete sie, wie in Uniseminaren über die vermeintlich gefährliche Eisenbahnstraße diskutiert werden würde, dabei wäre die Eisi der Ort, an dem ihre Mutter Oliven und Tomaten kaufen könne, ohne dass ihr sofort Diebstahl unterstellt werden würde. Außerdem kreidete Dareen den Umgang der Uni mit Studierenden an, die sich solidarisch mit Palästina zeigen würden. Dabei spielte sie auf die polizeiliche Räumung einer Besetzung des Audimax in Solidarität mit Palästina im Mai 2024 an.

    „Progressives Leipzig in Gefahr“ 

    Im Anschluss daran wurde Ilia von Studis gegen Rechts das Wort erteilt. Sie käme nicht aus Leipzig, sondern habe ihre Jugend in einem kleinen Ort verbracht, in dem es wenig Kultur gegeben hätte und Menschen den Begriff Flinta (Frauen, Lesben, interbinäre, nichtbinäre, trans und agender Menschen, Anm. d. Red.) nicht kannten. Mit dem Haare abschneiden hätte sie bis nach dem Umzug gewartet. Dieses freie und progressive Leipzig wäre nun in Gefahr. 

    Nach ihr sprach Timo, ein Studierender aus der Physik, in Vertretung für die Kritische Einführungswoche (KEW). Ihn selbst hätte die KEW sehr geprägt, als er vor Jahren nach Leipzig gekommen ist. Das zehnjährige Jubiläum der KEW in diesem Jahr sei aber von Problemen überschattet worden. Viele Räume hätten erst direkt zu Veranstaltungsbeginn bekannt gegeben werden können, weil die Uni sie nicht früher frei gegeben habe. Andere Veranstaltungen zu Themen wie Feminismus oder dem Krieg in Gaza hätten gar keine Räume von der Uni bekommen. Außerdem wäre die Finanzierung der KEW durch den Stura von der Uni unterbunden worden und so hätte die KEW finanzielle Schwierigkeiten. An die Studierenden richtete er die Worte: „Tretet gegen eine zunehmende Zensur und für die Meinungsfreiheit an diesem Campus ein!“ 

    Den letzten Redebeitrag hielt Max als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni und somit im Namen der universitären Belegschaft. Er kreidete die oft prekäre finanzielle Lage an den Lehrstühlen der Uni an. Forschung wäre auf Drittmittel angewiesen und unliebsame Stimmen würden so von Anfang an klein gehalten werden. Besonders in den kleinen, sogenannten Orchideenfächern aus den Geisteswissenschaften, wie den Gender Studies oder neuerer Geschichte, würde ständig weiter gekürzt werden. Dabei würden es gerade solche Fächer sein, die sich dem Rechtsruck wissenschaftlich entgegenstellen könnten. 

    Forderungen an Universität und Studierendenschaft 

    Dann folgten die sechs Forderungen der Gruppe, die einzeln vorgelesen wurden: Die Uni Leipzig solle Verbindungen zu rechten Gruppen wie der AfD kappen, außerdem den Studierenden Räume für politische Diskussion und kritische Bildung gewährleisten. Studentische Mitbestimmung solle gesichert werden und die finanzielle Absicherung Studierender ausgebaut. Nicht nur die Forschung an der Uni solle rein zivilen Hintergrund haben, Polizei und Militär hätten generell nichts auf dem Campus verloren. Die letzte Forderung ist ein Versprechen der Studierenden an sich selbst, den nächsten Bundesparteitag der AfD zu verhindern. Zwischen den Forderungen gab es lauten Applaus. Die anschließende Murmelrunde, in der die Studierenden sich mit ihren Sitznachbar*innen über ihre ersten Gedanken zu den Forderungen austauschen sollten, nahmen einige zum Anlass die Vollversammlung zu verlassen. „Bitte bleibt hier!“ rief die Moderation in das Mikrofon. „Wir brauchen eure Stimmen!“ 

    Um die ging es dann auch in der anschließenden halbstündigen Diskussion. Alle konnten sich melden, die Redezeit wurde auf zwei Minuten begrenzt. Trotz ausgesprochener Ermutigung an Flinta, sich zu melden, und der Ankündigung, diese auf der Redeliste vorzuziehen, überwogen die Diskussionsbeiträge von Männern. Viele Wortbeiträge unterstrichen die Forderungen der Studis gegen Rechts. Andere betonten, dass diese nicht weit genug gehen würden oder appellierten an mehr Zivilcourage und antifaschistische Handarbeit. 

    „Wir kriegen als Linke so gar nichts mehr geschissen.“ 

    Ansonsten gab es einige Änderungsanträge, um die Forderung zur sicheren Finanzierung auszuweiten und nicht nur Studierende, sondern auch Beschäftigte besser abzusichern. Zudem ging es oft um Drittmittelgebende und Werbepartnerschaften der Uni Leipzig. Eine Studierende wies darauf hin, wie verwundert sie war, als sie das erste Mal die Werbung der Sparkasse auf der Rückseite der Uni Card sah, denn die Sparkasse würde ja sowohl in Waffen als auch in fossile Energien investieren. 

    Präsent im Audimax war auch das Spannungsfeld der verschiedenen Positionen von Menschen zum Krieg zwischen Israel und Palästina. Eine studierende Person forderte die Offenlegung aller Verbindungen zwischen der Uni Leipzig und israelischen Institutionen und eine Beendigung dieser. Eine andere Person sprach die Anzeigen der Uni Leipzig gegen ein Dutzend Einzelpersonen an, die sich an der oben erwähnten Hörsaalbesetzung beteiligt hatten. Die Uni müsse diese fallenlassen und Studierende müssten sich klar gegen den Genozid in Gaza positionieren. 

    Dann meldete sich eine Person mit jüdischer Perspektive. Sie sprach an, dass viele jüdische Studierende sich seit dem siebten Oktober 2023 aus Angst vor Antisemitismus nicht mehr auf den Campus der Uni Leipzig trauen würden. Ihr würden klare Worte gegen Antisemitismus und der Support von jüdischen Menschen fehlen. Gleichzeitig seien die Beiträge und Diskussionen um Solidarität mit Palästinenser*innen wichtig: „Ich halte Gleichzeitigkeiten aus.“ 

    Während der Diskussion wurde die Stimmung im Audimax insgesamt angespannter und es wurde deutlich, dass dieser Krieg durchaus das Potenzial hat, eine solche Versammlung zu sprengen. Zum Schluss ergriff ein Mitglied der Studis gegen Rechts nochmal spontan das Wort und appellierte an alle Anwesenden, diese Diskussionen zwar zu führen, sich aber nicht darin zu verlieren, sondern politisch handlungsfähig zu bleiben: „Wir kriegen als Linke so gar nichts mehr geschissen.“ 

    Lange Abstimmung mit lautem Ende 

    Im Anschluss ging es weiter mit der Abstimmung der Forderungen. An jedem Platz im Audimax lag eine grüne Stimmkarte aus Papier mit der die Studierenden sich jeweils bei Ja, Nein oder Enthaltung melden konnten. Das nahm einige Zeit in Anspruch, da über alle Änderungsanträge einzeln abgestimmt wurde. Außerdem mussten die Ergebnisse aus dem Augusteum immer erst in den Audimax überbracht werden. Die Studierenden nahmen alle Änderungsvorschläge mit deutlicher Mehrheit an, außer den zur sofortigen Beendigung aller Verbindungen zwischen der Uni Leipzig und israelischen Institutionen. Nur ein weiterer Änderungsvorschlag verzeichnete erwähnenswerte Gegenstimmen, nämlich der zur Forderung nach einem elternunabhängigen Grundeinkommen für Studierende, das nicht zurückgezahlt werden muss. 

    Nach der letzten Abstimmung ertönte lauter Applaus im Audimax. Die Versammlung ging bereits über zwei Stunden und viele waren wohl schon etwas müde. Die Moderation erklärte nun, dass die Forderungen an das Rektorat übergeben und über den Stura veröffentlicht werden würden. „Und wenn sie uns nicht hören, dann werden wir weiter laut sein!“ Die weiteren Schlussworte gingen im tosenden Applaus unter. Die Studierenden verabschiedeten sich selbst mit Standing Ovations und gemeinsamen Alerta-Rufen. 

     

    Titelbild: Margarete Arendt

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