Männer, Mikrophone, Macht
Die Dominanz von Männern in der Musikszene betrifft Musiker*innen schon lange, ist aber erst seit kurzem im Fokus von Vereinen und Organisationen.
Es ist bei Weitem nichts neues, dass fast alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens von patriarchalen Strukturen bestimmt werden. In Managerposten, in der Politik, in der Wissenschaft, dominiert der Männeranteil und das, was Männer in der westlichen Geschichte produziert haben. Um diese Dominanz aufzubrechen, versuchen viele Menschen in ihrem Alltag den Fokus auf Frauen und queere Menschen zu legen und auf das, was nicht von Männern geschrieben, geschaffen und gedacht wurde. Der Prozess der Ent-Männer-Fizierung ist langwierig und kompliziert, aber nicht unmöglich.
Doch viele, die es geschafft haben, ihren Alltag zu ent-männer-fizieren, hören trotzdem Deutschrap mit frauenfeindlichen Texten oder Musik von Männer-Indie-Bands, die den Musikmarkt übersättigen. Auch Spotify-Playlists zu diversifizieren, ist gar nicht so leicht, weil die Dominanz von Männern in der Musik so groß ist. Und obwohl die Geschlechtergleichstellung in vielen Branchen mittlerweile ein großes Thema ist, lässt sie in der Musikszene auf sich warten.
In Deutschland bekam das Thema erstmals mehr Aufmerksamkeit, als die MaLisa Stiftung 2021 eine Studie veröffentlichte, in der sie die fünf größten Musikpreise im Bereich der Popmusik von 2016 bis 2019 auf ihr Geschlechterverhältnis überprüft hat. Die Ergebnisse sind frappierend. Musikerinnen und nicht-binäre Musiker*innen werden bedeutend seltener mit Preisen ausgezeichnet. Im Jahr 2018 beispielweise waren unter den Preisträger*innen 86 Prozent männlich. Bereits bei den Nominierungen für die Preise werden mehr männliche Kandidaten ausgewählt und in der Jury sitzen je nach Preis zwischen 64 und 100 Prozent Männer. Die Ergebnisse zeigen nicht nur den großen Graben zwischen den Geschlechtern in der Auswahl und Auszeichnung von Musiker*innen – sie bedeuten ernsthafte Nachteile für weibliche und nicht-binäre Musiker*innen in ihren Erfolgschancen innerhalb der Musikbranche. Musikpreise verhelfen Musiker*innen zu mehr Öffentlichkeit und Popularität und damit auch zu Buchungsagenturen, die sie finanziell unterstützen.
Die Ergebnisse der Studie sind so drastisch, dass sie für Bewegung in einigen Subszenen gesorgt haben. Zum Beispiel beim Alternativen Akustikkollektiv in Dresden. Es ist eine Untergruppe des Neustadt Art Kollektivs, das die Kulturszene der Dresdener Neustadt mitgestaltet. Es besteht aus vielen unabhängigen Musiker*innen und Kunstschaffenden, die sich für die Vernetzung untereinander einsetzen und Events organisieren. Die diesjährige Konzertreihe, die das Kollektiv veranstaltet, heißt Akustikkollektiv feministisch. Hier treten ausschließlich nicht-männliche Musiker*innen auf. Aber auch in anderen für Konzerte relevanten Bereichen wie Fotografie und Technik wurde darauf geachtet, dass Flinta-Personen eingestellt wurden. Zusätzlich hat das Kollektiv eine Flyerkampagne erarbeitet, um über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Musikbranche aufmerksam zu machen.
Jan Kosyk, selbst Musiker und Mitglied des Akustikkollektivs, kann sich die Ergebnisse der Studie nur strukturell erklären: „Männer neigen dazu, andere Männer in ihre Projekte einzubinden und auf die Bühne zu holen, aus Angst, dass durch die Zusammenarbeit mit Frauen andere Dynamiken entstehen. Das hängt mit einem stigmatisierenden Frauenbild zusammen.“ Wie in allen Gesellschaftsbereichen, gebe es auch in der Musikbranche geschlechterspezifische Erwartungen und Zuschreibungen: „Frauen sitzen nach klassischen Geschlechterrollen eher nicht am Schlagzeug oder spielen Bass-Gitarre, sondern singen.“
Durch gezielte Buchung von Flinta-Musiker*innen versucht das Kollektiv, mit diesen Erwartungen zu brechen und für mehr Repräsentation und Sichtbarkeit zu sorgen. Außerdem ist das Kollektiv Teil der Keychange Pledge. Keychange ist eine europaweite Initiative zur Gleichstellung der Geschlechter in der Musikbranche. Mit der Pledge (englisch für Forderung) werden Akteure in der Musikindustrie (zum Beispiel Veranstaltungsorganisationen und Buchungsagenturen) aufgefordert, mindestens 50 Prozent Frauen und andere nicht-männliche Geschlechter in die Line-Ups aufzunehmen. Mit Unterzeichnung der Pledge versprechen Organisationen, diese Forderung einzuhalten. Mehr als 200 Festivals und Veranstalter haben die Pledge bereits unterzeichnet.
Doch nicht nur in den großen Strukturen zeigt sich die männliche Dominanz in der Musikszene: Viele Musikmachende spüren Vorurteile und Hindernisse in ihrem Alltag und Werdegang.
In einem Austausch mit der Leipziger Bassistin Finja Sander von der queeren Indierock-Band baby of the bunch offenbart diese die Stigmatisierungen und Hürden, denen sie in ihrem Alltag als Musikmachende begegnet.
Sie erzählt von den Anfängen in der Band vor acht Jahren, als es noch etwas Besonderes gewesen sei, wenn Frauen und nicht-binäre Personen in einer Band spielen: „Wir hatten die klassischen Erfahrungen von neidischen Musikerkollegen, die meinten, dass Menschen nur zu unserem Konzert kommen, weil wir Flinta-Personen sind. Oder Techniker, die einem sehr gerne Sachen erklären. Vor allem von älteren Leuten.“
Und davon, wie schwer es ist, in der Szene Fuß zu fassen: „Buchungsagenturen haben immer dieselben Musiker*innen auf dem Schirm und gucken nicht wirklich über den Tellerrand hinaus. Das finde ich schade, weil die deutsche Musikszene so viele tolle Flinta-Acts bereithält, die gar nicht gesehen werden.“ Sie erzählt, dass es überall an Geld fehle, dass die Politik und die Menschen sparen und dadurch der Beruf Musiker*in noch prekärer werde, als er ohnehin schon ist. Die Musikagenturen würden weniger Risiko eingehen und eher in Bands und Musiker*innen investieren, die Songs von vor ein paar Jahren recyclen, also Musik, die schon mal funktioniert hat. „Die Frage ist: Soll Musik funktionieren? Ich finde nicht. Musik soll Menschen berühren.“
Sie selbst spiele am liebsten vor einem Publikum, das auch queer ist. Gleichzeitig findet sie auch, dass es wichtig ist, an Orten Präsenz zu zeigen, in dem es noch nicht normal ist, wenn eine Person queer ist. „Wenn ich in Berlin eine gaye Ansage mache, dann interessiert das keinen, aber wenn ich Nähe Chemnitz eine Ansage mache, bei einem Event, bei dem Leute, die Antifa-Shirts tragen, nicht reingelassen werden, dann hat das eine viel größere Wirkung. Genau dort müssen wir spielen und den Leuten zeigen, wie normal das für uns ist. Manchmal kommen Leute nach der Show zu uns und fragen, was denn ‚heterosexuell‘ bedeutet.“
Sander findet aber auch, dass es schon besser geworden ist in den letzten Jahren und dass es normaler wird, Frauen und nicht-binäre Musiker*innen auf kleinen und großen Bühnen zu sehen. „Wir versuchen uns davon zu distanzieren, dass wir eine Flinta-Band sind, weil eigentlich wollen wir einfach eine Band sein. Es ist egal, welches Geschlecht die Menschen haben, die Musik machen. Wichtiger sollte die Musik sein. Ich würde mir wünschen, dass mehr Flinta-Personen Musik machen. Denn je mehr das passiert, desto normaler wird es und dann müssen wir nicht mehr darüber sprechen, dass wir Flinta-Personen sind. Denn mich nervt das.“
Titelbild: Nat Gass
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