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  • Schulter an Schulter, wo der Staat versagt

    Schulter an Schulter zeigt die antifaschistische Szene der 90er – und lässt dabei tief blicken. Von Straßenkämpfen, Todesfällen und Anekdoten erzählen die fünf Protagonist*innen.

    Radikale Subjektivität, das wäre wahrscheinlich das Genre, mit denen die Macher*innen ihren Filmstil beschreiben würden. Straßenkämpfe, Kampfsport, Schlachten mit der Polizei. All das wird hier erzählt; subjektiv und aus einer dezidiert linkspolitischen Haltung heraus, die nicht versucht, sich durch eine künstliche Ausgewogenheit zu verstecken – das ist erfrischend.  Wer in Schulter an Schulter also die Perspektive von Polizei und Politiker*innen auf die antifaschistische Bewegung der 1990er und 2000er Jahre vermisst, ist fehl am Platz. Hier stehen die Erfahrungsgeschichten von fünf Antifaschist*innen im Vordergrund, die mehrere Dekaden selbst in der Szene aktiv waren.

    Über mehrere Jahrzehnte

    Überfälle auf Neonazis, bewaffnete Auseinandersetzungen und Erzählungen von verlorenen Leben. Die Gewalt der 1990er Jahre wird in den Schilderungen der fünf Protagonist*innen spürbar.  Zwischen den Interviewszenen blitzen immer wieder kleine Aufnahmen aus der Vergangenheit auf, die hier das allererste Mal überhaupt gezeigt werden. Zwischen den Bildern der Straßenschlachten gibt es immer wieder auch Szenen feststeckender Polizeiautos oder von Sprayer*innen.

    Von Telefonketten und Zeiten ohne Smartphone

    Mit Bangalo und Banner – Free All Antifa, Foto: Leftvision

    Wer selbst in der Szene aktiv war, für den sind die Dinge, die hier erzählt werden, wahrscheinlich nicht neu. Von Telefonketten in Zeiten ohne Smartphone und blindem Vertrauen gegenüber denen, die ebenfalls antifaschistisch organisiert sind, und von denen man eigentlich nichts weiß, springt der Film auch in konkretere Erzählungen. So unterbrechen befreundete Punkbands ihre Konzerte, um gemeinsam die Angriffe von Rechten zu unterbinden, die versuchen, Geflüchtetenheime anzugreifen. Die Berichte zeigen die gute Vernetzung und die bedingungslose Solidarität der Menschen, die hier für die gleiche Sache einstehen. Menschen, die sich kaum kennen, springen ein, sobald es irgendwo eine Gefahr gibt, und um sich gegenseitig zu unterstützen. Denn, wie im Film selbst gesagt wird: Antifa-Arbeit äußert sich in direkter Aktion, auf der Straße und durch schnelle Reaktion.

     Als würde man in den Archiven wühlen.

    Aber in dieser Dokumentation kommt auch eine andere große Errungenschaft antifaschistischer Anstrengung zur Geltung, die oft eher still passiert: die Archivarbeit. Zwischen großen Türmen von Büchern und Infomaterialien erzählt eine der fünf Antifaschist*innen davon, wie man mit einem Foto und durch das Herumfragen, die Namen und Adressen von Kadern der radikalen Rechten herausfinden und archivieren kann. Sie gehört zu denen, die tendenziell eher froh darüber waren, wenn jemand anderes gut Kampfsport konnte. Und gibt einen Einblick, in die Anfänge der feministischen Bewegung zu. Einer Perspektive, die beim Thema Antifaschismus oft auf der Strecke bleibt. Doch leider zeigt sich hier die erste der vielen blinden Flecken des Films: Bis auf die Erwähnung eines Mädchentreffs und der Organisierung von Frauen unter sich, wird nicht viel mehr aus diesem Teil der antifaschistischen Arbeit erzählt. Auch die dezidiert migrantische Perspektive auf antifaschistische Arbeit bleibt in dem Film ausgespart.

    Gewalt, Gewalt, immer nur Gewalt

    Wer einen Film über Antifaschist*innen macht, kommt wohl oder übel um die Gewaltfrage nicht herum – sie wird von allen Medien gestellt, aber der Diskurs endet oft in den gleichen Phrasen. Auch in diesem Film. In den Interview-Sequenzen wirkt die Frage schon eher pro-forma. Ein Film, der sich als radikal subjektiv definiert, hätte auch einen radikalen Schritt gehen können. Man hätte die Frage ganz ausklammern können, da die Aussagen der Antifaschist*innen sich auch nicht vom üblichen „manchmal ging die Gewalt zu weit / Gewalt ist notwendig“ hinausgehen. Es fehlt an einer wirklich kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt – man wünscht sich mehr Substanz, mehr konkrete Analyse. So bleiben ein unabgeschlossenes Gefühl und Antworten, die auch sonst schon überall gegeben werden, zurück.

    Wo ist sie, die Utopie?

    Nicht nur die migrantische und feministische Perspektive fehlen. Als die Frage nach den Erfolgen der Antifa gestellt wird, schauen wir in ratlose Gesichter. Es ginge eher darum, Schlimmeres zu verhindern, heißt es. Wenn man solche Antworten hört in Zeiten, in denen rechte Parteien in ganz Europa immer wieder bei den Wahlen neue Rekordwerte aufstellen, wird einem schwummrig.Ist es das, was Linke tun? Schlimmeres verhindern? Es gibt genug Gegenkonzepte, die sich für eine solidarische Gemeinschaft auf Augenhöhe einsetzen: die vielen Jugendzentren, Nachbarschaftsvernetzungen, Mieter*innenvereine, direkten Hilfen und Archive, die im Film selbst doch eine so große Rolle spielen. Es ist schade, dass ein Film, der sich die Deadline Landtagswahl setzte, einen dann doch mit einem Gefühl entlässt, dass eher mit Hoffnungs- und Strategielosigkeit durchtränkt ist als mit Ideen und Utopie

    Begegnung am Balkon – Treffen der Generationen, Foto: Christian Ditsch

     

    Es stellt sich also die Frage, mit welcher Intention der Film gedreht wurde. Im Podcast 99zu1 erzählt einer der Macher, Marco Heinig, dass der Film das perfekte Ereignis sei, um sich mit seinen*ihren Freund*innen an alte Zeiten zu erinnern und hinterher noch einen Sekt zu trinken. Wenn es also darum geht, subjektive Erfahrungswerte, Bilder von Straßenkämpfen und von linken Insidern festzuhalten, bei denen der ganze Kinosaal gemeinsam kurz auflacht, dann schafft das der Film ziemlich gut. An radikaler Ehrlichkeit und nahbaren, reflektierten und sympathischen Protagonist*innen, die auf ihre Zeit zurückblicken und nichts bereuen, scheitert es nicht. Vielleicht reicht das aus, damit Menschen Lust bekommen, sich antifaschistisch zu organisieren, oder aber nur für einen gemütlichen Abend im eigenen Szene-Kiez, wo man gemeinsam mit Genoss*innen den Abend ausklingen lassen kann.

    Titelbild: Leftvision

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