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  • Abgehoben sein – aber mal anders

    Kolumnist Dennis möchte öfter mal seine Zweiraumbude verlassen und mehr Action machen. Neben Rockstar und Staranwalt steht auf seiner Bucketlist: Pilot. An einem sonnigen Novembertag war es soweit.

    Es gibt sie, die Momente, an denen man seine gesamte Existenz hinterfragt. Oder zumindest, ob das Hamsterrad, in das man sich täglich mit immer mehr kostbarer Lebenszeit hineinperpetuiert, irgendwann die erhoffte Erfüllungs-Rendite abwirft. Oder anders gesagt, ob man einfach mal die Komfortzone verlassen und irgendeinen Main Character-Move starten soll. Einen solchen Moment hatte ich diesen April, als ich am Terminal des Kansai Airports in der Bucht von Osaka saß, mit Blick auf das Gate, und unser späterer Pilot, ein Amerikaner, sich langsam und einsam dem Flugzeug näherte, kurz anhielt und erhaben auf das Rollfeld blickte. POV, dachte ich mir in dem Moment!

    Doch es gibt eine Menge guter Gründe, warum ich gerade keine Passagiere in einer 900 km/h schnellen Aluröhre durch ein lebensfeindliches Höhenumfeld schieße, sondern stattdessen diese Kolumne hier herunterpinsle. Das fehlende Kapital für die nötige ATPL-A Lizenz (nicht unter 100.000 Euro) und mein schon fortgeschrittenes Alter sind dabei nur zwei Gründe.

    Blick auf die Stadt Leipzig aus dem Flugzeug.

    Von oben wirkt selbst der Uniriese ganz klein.

    Doch es gibt viele Wege ins Cockpit. Der einfachste ist, sich für 60 Minuten selbst fliegen anzumelden. Gesagt, getan – nach zweimaligem Verschieben wegen zu starken Windes fand ich mich auf einem Flugplatz nördlich von Leipzig wieder. Auf dem Rollfeld stand eine Ikarus C42 – ein deutsches Ultraleichtflugzeug, welches das maximale Startgewicht von 450 Kilogramm nicht überschreiten darf. Der Pilot, ein mittelalter Dude mit schwäbischer Gelassenheit, erkundigt sich nach meinem Beruf. Als ich „Jurist“ erwidere, meint er: „Oha, da muss man ja aufpassen, was man hier sagt“ und lacht. Der Innenraum fühlt sich an wie in einem sehr kleinen Sportwagen. Man liegt in den Schalensitzen, eine Mittelkonsole gibt es nicht, genauso wenig wie Beinfreiheit. Der Pilot erklärt die Cockpit-Instrumente und ihre  Funktionsweise, während er noch die Checkliste mit den Worten „Muss auch erst nochmal nachgucken wie das Modell hier funktioniert“ durchblättert.

    Die mehrere Sekunden andauernde Startfrequenz des 100 PS-Motors schüttelt die Kabine durch, als säße man in einer Waschmaschine. Dann geht es los in Richtung Startbahn. Mit den beiden Fußpedalen steuert man die Richtung auf dem Boden, gleichzeitig soll ich den Joystick in der Mitte hochziehen, damit das Flugzeug nicht nach vorn überkippt.

    Zum Starten übernimmt der Pilot erstmal wieder und fragt: „Bereit?“ Ich sage: „Klar!“ Der Schub kickt genauso wie das Adrenalin rein, die Kabine wird wie ein Achterbahnwagen nach vorn katapultiert und schon nach wenigen Sekunden hebt die Kiste steil in Richtung Horizont ab. Wegen der Lautstärke des Rotors kommunizieren wir über Headset. Man hört dabei den Funk jedes Flugobjekts in der Region mit – sowohl deutsche Funksprüche als auch Englisch rauscht es durch den Gehörgang.

    Auf einer Höhe von etwa 700 Metern bei umgerechnet 150 km/h flext der Pilot dann, was die Ikarus so alles kann. Die G-Kräfte drücken einen wie auf einer wilden Achterbahnfahrt in den Schalensitz, wenn die Maschine im 45 Grad-Winkel in die Kurve geschmissen wird oder kurz in den steilen Sinkflug übergeht. In Kombination mit den großzügigen Panoramafenstern und der damit einhergehenden genialen Aussicht ist das ein ungewohnt immersives Gefühl.

    Dann darf ich wieder ans Ruder. Wir cruisen zunächst zum Markleeberger See, über dem es wegen der Thermik zu Turbulenzen kommt. Ich drehe die Maschine nach rechts in Richtung Markleeberg, unter anderem auch, um den Blick in die grelle Sonne zu vermeiden (ironisch, dass die Flugzeugmarke Ikarus heißt). Sonnenschutzblenden wie in einem Auto gibt es nicht. Dann geht es zum Clara-Park, mit einer scharfen Rechtskurve kann man fast die Grashalme im Inneren des RB-Stadions erspähen.

    Es fühlt sich auf der einen Seite an wie bei Google Earth, beziehungsweise wie im Flugsimulator am PC, nur mit G-Kräften und Schaukeln. Auf der anderen Seite ist es ein starkes Gefühl von Freiheit, heroisch über die Stadt, in der du täglich zu Fuß oder per Rad unterwegs bist, einfach drüberschweben zu können und sich binnen weniger Sekunden nach Belieben von einem Stadtteil in den anderen zu bewegen. Das Ganze noch in Kombination mit der Herausforderung, die Maschine auf Kurs und gerade zu halten, schafft eine ungeheure mentale Präsenz – du denkst nicht an gestern oder an morgen.

    Die Zeit vergeht buchstäblich wie im Flug und wir drehen wieder Richtung Flugplatz ab. Getreu dem unter Piloten gängigen Spruch  – eine gute Landung ist, wenn man aus dem Flugzeug aussteigen kann, eine sehr gute, wenn man das Flugzeug nochmal verwenden kann – übernimmt der Captain wieder das Steuer und setzt die Ikarus sanft auf der Gras-Landebahn ab.

    Mir wird bescheinigt, es für das das erste Mal ganz gut gemacht zu haben. „8000 Euro kostet die Lizenz für Ultraleichtflugzeuge – sammle das Geld zusammen, frag mal Oma und Opa, dann kommst du wieder!“ Klare Ansage. Damit ich mir das mal nebenbei leisten kann, muss ich aber erstmal den Punkt Staranwalt oder Rockstar auf der Bucketlist umsetzen.

     

    Fotos: privat

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