Burg Leipzig
Nach faschistischen Umsturzplänen, Hochwasser, Wahlen und anderen Katastrophen: warum Leipzig wieder mehr wie Leipzig werden muss.
Ganz Sachsen ist von den Braunen besetzt. Ganz Sachsen? Nein, eine – nicht ganz so kleine, wie Westdeutsche häufig annehmen – kreisfreie Stadt im Nordwesten Sachsens leistet erbittert Widerstand gegen die feindlichen Mächte.
Aber tut sie dies denn überhaupt so vehement, wie es sich die notorisch linke, junge Stadt Leipzig gerne auf die Fahnen schreibt? Im Zuge der Landtagswahl prägten Sticker und Plakate wie „Leipzig raus aus Sachsen“ das Stadtbild und solche Impulse sind bei grauenhaften Wahlergebnissen durchaus verständlich. Dennoch drängt sich gerade nach dem 1. September die Frage auf, inwiefern der Stereotyp der Enklave Leipzig, in der die Welt noch in Ordnung ist, zutrifft beziehungsweise passend gewählt ist.
Klar, man kennt das Gefühl: Irgendwo im Rest Sachsens geht es drunter und drüber.
Als in manchen Gegenden wortwörtlich die Welt unterging, ganze Wohngebiete unter Wasser standen, schaffte es die Katastrophe außerhalb der Nachrichten nicht in meinen Alltag. Das Kaff, in dem der Oberbürgermeister nun ein AfDler ist, musste ich erstmal googlen und als Berichte über bewaffnete Nazis, die Teile Sachsens erobern wollten, öffentlich wurden, erwischte ich mich bei dem Gedanken: Sollen sie Sachsen doch einfach haben. Dabei wohne ich und wahrscheinlich ein Großteil der, die das hier lesen, in Leipzig. Und obwohl ich die Ignoranz meiner Gedanken nicht leugnen kann, ging es vielen bestimmt schon mal so ähnlich Fast fühlt man sich wie ein Ritter in seiner Burg, der es sich gut gehen lässt, während die Bauern auf den Feldern die Seuchen und Hungersnöte ausbaden.
Doch inwieweit unterscheidet sich die politische Gesinnung Leipzigs überhaupt vom Rest Sachsens? Wie isoliert ist Leipzig in der Wahrnehmung seiner Bewohner*innen? Und vor allem: Was machen wir daraus?
Im Sachsen-Kompass, einer im Mai und Juni 2024 von der Sächsischen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung durchgeführten Umfrage unter mehr als 23.000 Menschen in verschiedensten Teilen des Bundeslands, zeigt sich ein differenziertes Bild.
So gibt es in Leipzig einige erwartbare Differenzen zum Rest Sachsens: Mehr Menschen wären beispielsweise bereit, Migrant*innen zu helfen, die Zufriedenheit mit Premierminister Kretzschmar ist deutlich geringer, die mit der Ampel deutlich höher. Dies ist womöglich zum Teil durch die höhere Zufriedenheit mit der ärztlichen Versorgung zu begründen. Gerade in der hausärztlichen Abdeckung sehen sich die Leipziger*innen besser aufgehoben als ihre sächsischen Mitbürger*innen.
Ebenfalls für den Mythos der „Burg Leipzig“ spricht, dass in Leipzig mehr (6%) Menschen die Mentalität der anderen als Grund nennen, warum sie ihre Heimat mögen. Außerdem sehen sich 17% mehr politisch links und 10% weniger rechts der Mitte als im Rest Sachsens, ähnlich verhält es sich mit der Angst vor Rechts- respektive Linksextremismus.
Dem entgegen steht jedoch, dass es nur geringe bis gar keine Unterschiede in mitunter zentralen Fragen gibt. So stimmen Leipzig und das gesamte Bundesland in den Top Drei der drängendsten Themen bis auf geringe prozentuale Abweichungen überein. Diese sind Bildung, das gesellschaftliche Miteinander und Migration. Bei letzterer finden sogar in Leipzig vergleichsweise mehr Menschen, dass Geflüchtete die Sozialsysteme überlasten würden und weniger, dass diese eine Bereicherung für unsere Gesellschaft seien. Und auch bei der Frage nach der Relevanz von Klimaschutz hält sich Leipzig mit Sachsen die Waage: Nur 14% erachten diesen als eines der drei relevantesten Themen, die Änderungen bedürfen (im Vergleich zu 40% bei der Migration).
Mit Blick auf die Wahlergebnisse zeigt sich ebenfalls ein nicht ganz eindeutiges Bild. Mit Connewitz und dem Zentrum-Südost hat die Linke hier zwei ihrer letzten Hochburgen und auch Plagwitz schwimmt gegen den schwarz-braunen Strom, aber die äußeren Stadtbezirke nähern sich dem gesamt-sächsischen Ergebnis doch mehr an, als einem lieb sein könnte. Unter dem Strich sind die Ergebnisse für Nazis in Leipzig deutlich unterdurchschnittlich, wenn auch trotzdem viel zu hoch.
Die Zuordnung zu einer politischen Gesinnung, die sich in Leipzig deutlich weiter links gestaltet, ohne jedoch signifikante Unterschiede in der persönlichen Relevanz politischer Themen, spricht nun gerade für eine eher rein empfundene Isolierung oder gar Erhabenheit vom Rest Sachsens. Dies belegen Studien der letzten Jahre, in denen gezeigt werden konnte, dass sich die Selbstwahrnehmung Leipzigs in den Indentitätsmerkmalen immer stärker von der des Rest Sachsens abhebt. Leipzig gilt als weltoffener, urbaner und durch kulturelle Vielfalt geprägt, was vor allem auf eine wachsende internationale Bevölkerung und alternative Kulturszenen zurückzuführen ist. Während andere Städte oder Gemeinden als eher konservativ und bodenständig gesehen werden.
Der Mythos der „Burg Leipzig“ speist sich also zu einem nicht unerheblichen Teil aus tatsächlichen Gegebenheiten: den deutlich weniger rechten Wahlergebnissen, der politischen Einordnung, sowie Zustimmungswerten zur Regierung und vor allem natürlich der eigenen Einstellung zur Stadt und deren Bevölkerung im Vergleich zum Bundesland. Bei einigen konkreten Positionen versagen die Leipziger*innen jedoch darin, klar herauszustechen und auch das Wahlverhalten ist längst nicht unproblematisch.
Die Alleinstellung Leipzigs ist daher sicher nicht aus der Luft gegriffen, ich meine, erinnern wir uns an die oben genannten politischen und gesellschaftlichen Krisen in Sachsen: Wie viel davon war tatsächlich in Leipzig spürbar? Und wenn, dann meist durch eine Gegendemo.
Doch auf der anderen Seite stehen ein Erstarken der AfD innerhalb Leipzigs, sowie reaktionäre Umfragetrends, auch bezüglich dringendster Themen wie dem Klimaschutz. Gerade deshalb gilt es, zum einen wieder den Standards des gallischen Dorfes in Sachsen gerecht zu werden, indem man linke Politik vorlebt, aber dieses zum anderen auch hinauszutragen in die Teile Sachsens, die es noch bitterer nötig haben. Sei es durch den Support von CSDs oder Demos in kleineren Städten, Plakatieren, Bürgerbegegnungsorte oder das Gespräch mit den Großeltern, wir alle müssen die Leipziger Utopie zurückerobern und in die Welt tragen. Die Burg gehört uns!
Titelbild: Helena Charlotte Ahlgrimm
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