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  • Mehr positive Nachrichten!

    „Ja! – Ich sehe hier aber weit und breit keine“, ist der grummelige innere Erstimpuls von Autorin Lene. Ein mentales Streitgespräch.

    Regierung dort: zerbrochen. Proteste hier: niedergeschlagen. Das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen: dieses. Gewalt gegen Frauen: gestiegen. Und dann ein Lichtblick zwischen den Krisenbesprechungen: eine positive Nachricht. Wie schön, irgendwo ist ein Panda-Baby geboren! Und Spanien führt ein Gesetz ein, dass es Menschen ermöglicht, bei Unwetterereignissen zuhause zu bleiben, ohne dafür vom Arbeitgeber bestraft zu werden. Wie schön. 

    Wie furchtbar es ist, dass dieses Gesetz so dringend notwendig ist, weil extreme Unwetter häufiger werden, das wird besser erst einmal beiseitegeschoben.  

    Für den Kontext: Ich höre gerade Was jetzt? – den Nachrichtenpodcast meines Vertrauens. Später scrolle ich durch die App meines Lieblingsmediums Zeit Online. Hier gibt es sogar eine ganze Seite für „ausschließlich erfreuliche Meldungen und inspirierende Texte.“ Ich schalte meinen Bildschirm aus. Etwas in mir rümpft die Nase über diesen unbedingten Versuch, den Negativschlagzeilen etwas entgegenzusetzen und den Forderungen nach weniger paralysierenden Neuigkeiten aus der Welt nachzukommen. 

    Einsicht 

    Die Forderung nach mehr optimistisch-stimmender Berichterstattung ist richtig. Die Psychologie sagt eindeutig: Wir brauchen positive Nachrichten! Menschen reagieren auf negative Botschaften häufig reflexhaft mit Verleugnung, Abwehr, Umdeutungen. In breiten Teilen der Gesellschaft zeigen sich erhöhte Erschöpfung und Gereiztheit, Ermüdung und Depressivität. Ein Gefühl der Verbitterung betrifft derart viele Menschen, dass über die Diagnose der Chronic Embitterment Disease, einer chronischen Verbitterungsstörung, nachgedacht wird. Konstante Gefühle der Gereiztheit und der Überforderung haben sowohl psychisch als auch körperlich negative Konsequenzen. Sie hängen zum Beispiel mit Herz-Kreislauf-Störungen zusammen 

    Positive Nachrichten sind auch für Demokratie und Teilhabe wichtig. Der Reuters Institute Digital News Report zur Nachrichtennutzung von 2024 zeigt, dass der Anteil der Internetnutzer*innen, die oftmals oder gelegentlich aktiv versuchen, Nachrichten zu vermeiden, gestiegen ist. 41 Prozent der Befragten gaben an, sich von der Menge an heutzutage verfügbaren Nachrichten erschöpft zu fühlen. Auch dieser Anteil ist innerhalb der vergangenen fünf Jahre rapide gestiegen. Negative Nachrichten geben oft ein Gefühl von Ohnmacht. Außerdem sorgen sie nur in den seltensten Fällen für nachhaltige Verhaltensänderungen. Stabiles neues Verhalten wird besser durch positive Rückmeldungen erlernt – das ist zum Beispiel bei der Berichterstattung über die Klimakrise wichtig.  

    Auch die Idee des konstruktiven Journalismus wird mittlerweile von vielen Medien umgesetzt. Hier geht es darum, bei der Berichterstattung über Krisen auch immer auf konkrete Lösungsansätze einzugehen. Ein hoffnungsstimmender Ausblick in die Zukunft soll ein gutes Gefühl bei den Lesenden hinterlassen. „Die Welt geht unter! Aber hey, vielleicht auch nicht.“ 

    Vielleicht bin ich im Herzen doch ein Grumpy Old Man.

    Kein Weg zur Besserung 

    Es braucht positive Botschaften und Konstruktivität im Journalismus. Doch dieser Text ist kein Lobgesang auf den konstruktiven Journalismus oder eine weitere Stimme, die mehr positive Nachrichten fordert. Beides ist wichtig – das ist mir bewusst. Und trotzdem fühle ich mich bei den oft so offensichtlich absichtlich platzierten guten Nachrichten immer ein bisschen verhätschelt und beschummelt. Es ist wie mit der Sandwich-Methode in Feedback-Runden: Ich traue dem Lob am Anfang und am Ende nicht wirklich. Vor allem, wenn ich weiß, dass die andere Person diese Methode bewusst anwendet. Und gerade wahrscheinlich händeringend nach Watte gesucht hat, in die sie mich kuschelig einpacken kann.  

    Ich weiß, es ist wichtig, dass ich davon höre — von dieser positiven Entwicklung beim Ausbau erneuerbarer Energien, der einen niedlichen Tierart, bei der sich doch noch ein Weibchen gefunden hat oder der Tatsache, dass die Alphabetisierungsrate langsam, aber stetig ansteigt.  

    Und doch ist da diese grummelige, resignierte Stimme in mir, die sofort beginnt, darüber nachzudenken, dass 1,5 Grad Erderwärmung definitiv nicht mehr erreicht werden können und die Klimakrise schon jetzt katastrophale Konsequenzen hat. Dass das Artensterben insgesamt schlimmer wird. Und dass es bei der Alphabetisierungsrate noch immer frappierende Unterschiede zwischen Weltregionen und zwischen Geschlechtern gibt 

    Der Ruf nach „Wir brauchen positive Nachrichten!“ sorgt bei mir für ein stummes „Ja, es gibt aber keine!“ – mein innerer Miesepeter ist flink mit seiner Katastrophenargumentation. Und naja, er hat ja Recht, oder? 

    Psychologisch nicht sinnvoll 

    Ich möchte nicht katastrophisieren und vor allem nicht dieser resignierte Grinch sein, dessen Stimme die guten Nachrichten sofort zu relativieren beginnt. Ich halte es für unwahrscheinlich wichtig, mögliche positive Zukünfte zu beschreiben, Geschichten von einer gerechteren Welt zu erzählen, Ideale, Hoffnung und die Utopie nie aus den Augen zu verlieren. Eigentlich. 

    Denn ich beginne zu resignieren. Es fällt mir schwer, das nicht zu tun. Dieser Text ist psychologisch nicht sinnvoll. Er ist aber eine Bitte um Rat, wie ich diese Dissonanz auflösen kann. Ich brauche wirklich Hinweise, was ich tun kann, damit positive Nachrichten bei mir die gewünschte Wirkung von Erleichterung, Optimismus und Mobilisierung haben.  

    Was der Miesepeter vergisst 

    Vielleicht ist dieser Text eine Erinnerung für mich selbst. Eine Erinnerung daran, eine Stimme zu etablieren und lauter werden zu lassen, die meinem Resignationsgegrummel etwas entgegensetzt. Und jedes Mal nach dem „Ja, aber die Welt geht unter, blabla“ an all die Menschen denkt, die so viel Energie, Fürsorge und Leidenschaft dafür einsetzen, dass sie das eben nicht tut. Eine Erinnerung daran, dass es vermessen ist, dieses Engagement wegzugrummeln. Dass ich damit mein eigenes Engagement obsolet mache. Dass ich nicht möchte, dass mein Gegrummel Recht behält und so viel noch zu tun ist dafür, dass die Welt nicht unter geht, sondern stattdessen eine gerechtere werden kann. Es muss getan werden. Dieser Text ist eine Erinnerung daran, alles und jede Person zu unterstützen, die etwas tut, das eine positive Nachricht werden kann. 

     

    Anmerkung der Autorin: Doch noch ein konstruktiver Schluss. Ich hoffe, ich bin nicht allein mit meiner Optimismus-Griesgram-Dissonanz. Weitere Tipps zum Umgang mit dem inneren Griesgram können gerne an die luhze-Redaktion per Mail oder Instagram gesendet werden. 

     

    Fotos: privat

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