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  • „Ich habe noch das Bild im Kopf, wie nah die Wolken waren“

    Der Migrant*innenbeirat setzt sich dafür ein, Menschen mit Migrationsgeschichte in politische Diskurse zu integrieren. Beirätin Yameli Gómez Jiménez spricht mit luhze über ihre Ziele.

    Yameli Gómez Jiménez ist studierte Grafikdesignerin und Filmemacherin. In ihren visuellen Anthropologien bearbeitet und verarbeitet sie die Komplexitäten von Flucht, Zugehörigkeit, Selbstorganisation, Feminismus, Self Care und Menschenrechten – inspiriert von ihrer eigenen Migrationsgeschichte. Geboren 1990 in Mexiko, kam Yameli Gómez Jiménez 2014 nach Leipzig, um einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Seitdem lebt und arbeitet sie in Deutschland. Neben ihrer Arbeit bei verschiedenen politischen Vereinen ist Yameli Gómez Jiménez seit 2021 Mitglied des Migrant*innenberirat Leipzig. Über ihren Weg nach Deutschland, ihre Arbeit und ihr Engagement sprach sie mit luhze-Autorin Mara Bentzin im Juli 2024.

    luhze: Du bist im Frühling 2014 für einen sechswöchigen Freiwilligendienst nach Leipzig gekommen. Was ist dir als Erstes aufgefallen?

    Yameli Gómez Jiménez: Ich habe noch das Bild im Kopf, wie nah die Wolken waren. Leipzig hat mir von Anfang an gefallen. Allerdings durfte ich nicht länger hierbleiben, weil mein Aufenthaltsstatus nicht verändert werden konnte. Also musste ich zurück nach Mexiko und alles erneut beantragen. Im August kam ich zurück nach Deutschland, diesmal mit einem anderen Visum.

    Inwiefern unterschied sich deine Rückkehr nach Deutschland, um hier zu wohnen, von deinem ersten Besuch?

    Die erste Reise war mein erstes Mal in Europa und es hat sich wie Urlaub angefühlt. Aber das zweite Mal war hart, weil ich da bemerkt habe, wie schwer dieser Migrationsprozess ist. Ich musste mir beispielsweise eine Wohnung suchen, zu Krankenversicherungen recherchieren, den ganzen bürokratischen Prozess durchlaufen und schlussendlich auch die Sprache lernen.

    Hättest du dir gewünscht, dass du dabei Unterstützung erhältst?

    Ja. Ich denke, dass es mir sehr geholfen hätte, wenn mir gesagt worden wäre, als ich nach Deutschland gekommen bin: „Wenn du nicht weißt, wie hier die Sachen in Leipzig funktionieren oder du Probleme mit der deutschen Bürokratie hast – guck mal, hier ist eine Liste der ganzen Organisationen, zu denen du gehen kannst und die dir helfen können“. Jetzt, da ich in einem Verein arbeite und politisch engagiert bin, kenne mich aus mit den Unterstützungsnetzwerken in Leipzig. Damals nicht.

    Wenn du von dem Verein sprichst, bei dem du dich engagierst – welcher ist das? Könntest du ein bisschen mehr über deine Arbeit in diesem erzählen?

    Ich arbeite seit 2021 bei den „Internationalen Frauen“.  Normalerweise kommen die Klientinnen, weil sie neu in Leipzig sind und vor der gleichen Herausforderung stehen, die ich damals hatte: keine Ahnung, wohin sie gehen sollen. Dann begleite ich sie zu Behörden oder zu Arztterminen und unterstütze sie, wenn sie kein Deutsch sprechen. Oder ich verweise sie auf einen spezifischen Verein, wenn es um ein konkretes Thema wie Arbeit oder Ausbildung geht.

    Gibt es auch Strukturen in Leipzig, die Migrant*innen auf emotionaler Ebene unterstützen?

    Ja, zum Beispiel der „Verbund Gemeindenahe Psychiatrie Leipzig“ des Klinikums St. Georg, der einmal im Monat zu uns kommt. Sie bieten eine offene Sprechstunde für Migrantinnen und Migranten oder auch für Deutsche.  Wir fragen unsere Klient*innen ebenfalls, welche Bereiche sie interessieren. Dann nennen sie häufig den Wunsch nach Selbstständigkeit, Ausbildung oder Arbeit. Viele möchten auch ihre Sprachkenntnisse verbessern und suchen Tandempartner*innen oder Kontakte mit anderen Frauen.  Wir haben auch eine Kooperation mit dem Pögehaus, wo ich beispielsweise selbst Workshops gegeben habe – zu Stickerei, Kunsttherapie oder Sport.

    Darüber hinaus bist du Mitglied des Migrant*innenbeirates Leipzig. Wie kam es dazu?

    Ich war lange in einem Kollektiv mit Freundinnen politisch aktiv. Auch habe ich fotografisch Veranstaltungen von migrantischen Vereinen dokumentiert, wodurch ich in den Kontakt mit ihnen kam. So habe ich Menschen vom Migrant*innenbeirat kennengelernt, die mir von ihrer Arbeit erzählt haben. Da ich interessiert daran war, ging ich zu einer ihrer Sitzungen. In meinem Freund*innenkreis haben wir dann besprochen, dass wir uns eine Repräsentation der lateinamerikanischen Community wünschen. Schließlich ist mir der Gedanke gekommen, warum sollte ich mich nicht zur Wahl stellen?

    Wie läuft die Wahl des Migrant*innenbeirates ab?

    Die Wahl war sehr komplex. Alle Migrant*innen haben einen Brief erhalten, dass sie die Mitglieder des Migrant*innenbeirates wählen können. Natürlich war das für alle sehr komisch und viele dachten, es sei fake, weil Migrant*innen ja selten für irgendetwas wählen dürfen. Und dann bekommen sie auf einmal so einen Brief, der wahrscheinlich auch nur auf Deutsch ist. Nächstes Jahr gibt es eine Wahl. Ich hoffe, diese ist transparenter organisiert.

    Wie setzt sich der Migrant*innenbeirat zusammen?

    Der Migrant*innenbeirat existiert seit 2009. Bis 2021 wurden die Mitglieder durch den Stadtrat bestimmt. Seit 2021 werden zehn Mitglieder von den migrantischen Communitys gewählt, die restlichen sechs weiterhin durch den Stadtrat gesetzt. Das sind Personen mit Migrationsgeschichte, die schon die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Für die Wahl im nächsten Jahr können alle diese 16 Personen demokratisch gewählt werden. Sechs weitere Beiräte kommen aus den politischen Fraktionen.

    Ich habe gesehen, dass nur einer der Politiker*innen selbst Migrationshintergrund hat. Würdest du dir wünschen, dass mehr der Fraktionsvertreter*innen Migrant*innen repräsentieren?

    Es wäre gut, ist aber kein Muss. Ich denke, aber auch, dass jemand sich nicht nur auf Migration fokussieren muss, nur weil er*sie eine Migrationsgeschichte hat.

    Womit beschäftigt ihr euch in eurer Arbeit im Migrant*innenbeirat? 

    Wir haben eine monatliche Versammlung, bei der sich Vereine oder Projekte vorstellen. Manchmal berichtet auch die Ausländerbehörde, die Stadtverwaltung oder das Sozialamt über die Situation von Migrant*innen in Leipzig oder präsentiert Daten diesbezüglich. Zum Beispiel informiert uns das Sozialamt über die Unterbringungssituation in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete in Leipzig.  Mit den Mitarbeiter*innen von der Ausländerbehörde und dem Sozialamt stehen wir in einem sehr guten Austausch. Es fehlt noch immer, dass die Migrant*innen von diesen Institutionen besser informiert werden. Unser Ziel ist es, Brücken zwischen den Communitys und der Stadtverwaltung und deren Behörden zu bauen. Als Mitglied des Migrant*innenbeirats repräsentierst du nicht nur eine Region, sondern die gesamte migrantische Community. Natürlich hast du wegen der Sprache mehr Kontakt mit deiner Community, aber eigentlich könnte dich auch jede andere kontaktieren.

    Steht ihr im Austausch mit anderen Migrant*innenbeiräten?

    Wir sind in Kontakt mit Migrant*innenbeiräten in Chemnitz, Dresden und Zwickau, die jedoch keine Anträge stellen können. Wenn wir aber an Migrant*innen denken, die in Plauen oder im Erzgebirge wohnen – die haben keine Repräsentation. Dort braucht es auf jeden Fall mehr Netzwerke.

    Gibt es eine besondere Erfolgsstory, über die ihr euch gefreut habt?

    Vor einigen Jahren hat beispielsweise der Leipziger Zoo die Veranstaltungen „Hakuna Matata“ und „El Dorado“ organisiert, die wir als Exotisierung und Verstärkung von rassistischen Stereotypen empfanden. Zudem kritisieren wir die koloniale Vergangenheit des Leipziger Zoos. Als Migrant*innenbeirat haben wir deshalb einen Antrag beim Stadtrat eingereicht, der angenommen wurde und zum Abbruch der Veranstaltungen geführt hat. Die Entwicklung und Überarbeitung weiterer Formate erfolgt nun unter Einbezug des Migrant*innenbeirates, der Universität Leipzig, des Museums für Völkerkunde und des Vereines „Leipzig Postkolonial“.

    Titelbild: Internationale Frauen Leipzig e.V.

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